Brain-Computer-Interface: Wie ein Patient einen Quadcopter allein mit Gedanken lenkt

Wer schon mal einen Quadcopter gesteuert hat, wird vielleicht gemerkt haben, dass es anfangs gar nicht so einfach ist, das Fluggerät ruhig und gezielt zu navigieren. Eine gute Hand-Augen-Koordination ist ebenso gefragt wie eine gewisse Fingerfertigkeit. Einem Team der Universitäten aus Stanford und Michigan ist es gelungen, einem gelähmten Menschen mithilfe einer Hirn-Computer-Schnittstelle (Brain Computer Interface, BCI) die Kontrolle über einen Quadcopter zu ermöglichen. Die Studie hat ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen und ist in dieser Woche im Fachmagazin Nature Medicine erschienen.
Hirn-Computer-Schnittstellen sind noch immer zu ungenau
Wie die Forscher schreiben, leben allein in den USA mehr als fünf Millionen Menschen mit schweren motorischen Beeinträchtigungen. Da ihre Teilnahme an vielen Freizeitaktivitäten eingeschränkt sei, wenden sich viele von ihnen Videospielen zu, wo es verschiedenste Möglichkeiten gibt, auch ohne Hände am Spielgeschehen teilzunehmen. Gehirn-Computer-Schnittstellen seien der nächste Schritt, um „eine ausgefeilte Steuerung von Videospielen zu ermöglichen“, heißt es. Allerdings haben viele BCIs noch Probleme mit einzelnen Fingerbewegungen oder anders gesagt: Sie sind für viele Anwendungen immer noch zu ungenau.
Das Team um den Neurochirurgen Matthew Willsey hat eine Gehirn-Computer-Schnittstelle entwickelt ist, die nach eigenen Angaben ein höheres Maß an Bewegungspräzision und -freiheit erreicht als bisher möglich. Das BCI mit seinen Mikroelektroden wurde in den Gyrus praecentralis eines nahezu komplett gelähmten, 69-jährigen Patienten – T5 genannt – implantiert. Der Teil des Großhirns beinhaltet den sogenannten Motorcortex, der für die Bewegungssteuerung und die Kontrolle von Hand- und Fingerbewegungen verantwortlich ist.
Anlernen der Hirn-Computer-Schnittstelle mit KI
Zunächst musste die Schnittstelle trainiert werden. Dazu hat der Patient eine virtuelle Hand beobachtet, die verschiedene Bewegungen ausgeführt hat. Er sollte sich analog dazu vorstellen, dass er die gleichen Bewegungen mit seiner eigenen Hand durchführt. Die entsprechenden neuronalen Signale wurden aufgezeichnet und mithilfe von maschinellen Lernalgorithmen, sprich mit künstlicher Intelligenz, analysiert. Somit konnten die Forscher sehen, welche Signale für welche Fingerbewegungen standen.
Der Unterschied zu früheren Studien bestand darin, dass die Schnittstelle nicht nur für vergleichsweise einfache motorische Aufgaben wie Mausklicken oder das Greifen eines Objekts konzipiert war, sondern auch komplexe Fingerbewegungen im mehrdimensionalen Raum darstellen sollte – Bewegungen, wie man sie in Videospielen oder eben zum Fliegen eines Quadcopters benötigt.
Tatsächlich war T5 in den folgenden Tests in der Lage, mit der Kraft seiner Gedanken drei Fingergruppen sowie den Daumen einer virtuellen Hand zu bewegen, die mit der Fernsteuerung eines virtuellen Quadcopters verknüpft waren. Allein mit dem Daumen konnte er das Fluggerät nach links, rechts, auf und ab steuern. Der Patient konnte den Quadcopter sowohl durch einen vorgegebenen Hindernisparcour navigieren, als auch spontan und zufällig auftauchende Ringe durchfliegen. Insgesamt ermöglichte das System die Navigation durch oder um 18 Ringe in weniger als drei Minuten, was den Forschern zufolge eine Versechsfachung der Leistung im Vergleich zu früheren Systemen bedeutet. Allerdings war das System bei weitem nicht unfehlbar; immer wieder wurden verschiedene Fingergruppen gleichzeitig aktiviert, was die Steuerung erschwerte.
Wie gut ist eine Hirn-Computer-Schnittstelle? Videospiele dienen als Lackmustest
Der Patient, der sich ausdrücklich gewünscht hatte, wieder einen Quadcopter fliegen zu können, beschrieb die Erfahrung mit dem Spielen eines Musikinstrument: „Stell dir vor du spielst Klarinette und nimmst das Instrument eines Anderen in die Hand. Du merkst sofort, dass es anders ist, aber dank deiner Erfahrung passt du dich entsprechend an.“ Die Steuerung des Fluggeräts sei „empfindlicher als die Finger“, er müsse sie nur „in eine Richtung kitzeln“.
Für Matthew Willsey und seine Kollegen ist die Forschung der nächste Schritt auf dem Weg, gelähmte Menschen stärker an Freizeitaktivitäten zu beteiligen. Tatsächlich sind Videospiele längst eine Art Lackmustest für die Fähigkeit von Hirn-Computer-Schnittstellen. So hat auch das von Elon Musk gegründete Startup Neuralink im vergangenen Jahr eine BCI vorgestellt, über das der Patient mutmaßlich Counter-Strike spielen konnte. Und ein Team der University of Texas in Austin hat gezeigt, dass sich die zum Spielen benötigten Hirnströme auch nichtinvasiv, sondern allein mithilfe von EEG-Kappen analysieren lassen.