Katastrophenwarnung in Deutschland: Warum Cell Broadcast der bessere Weg wäre
Wer in Deutschland vor einer drohenden Naturkatastrophe gewarnt werden möchte, der muss sich erstmal ein Smartphone zulegen. Dann habt ihr die Wahl: Installiert ihr euch die Warn-App Nina vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK), die vom Fraunhofer-Institut im Auftrag der öffentlichen Versicherer entwickelte Katwarn-App oder die an Kommunen und Städte vermarktete Bürger Info- und Warn-App (Biwapp) des Lüneburger Unternehmens Marktplatz. Immerhin sind alle drei Apps an das modulare Warnsystem des Bundes angeschlossen. Theoretisch sollten euch also alle drei Apps über etwaige Katastrophen informieren. In der Praxis hat das allerdings seine Tücken.
Schon bei dem als Warntag bezeichneten bundesweiten Probealarm im letzten Jahr zeigten sich deutliche Schwächen des Systems. Die Gefahrenmeldungen kamen bei den Warn-Apps mehr als eine halbe Stunde zu spät an. Bei einem echten Notfall wäre das mitunter zu spät. Außerdem haben nach Angaben der Bundesregierung derzeit nur etwas mehr als acht Millionen Deutsche die Nina-App installiert. Und selbst die haben von einer Warnung wenig, wenn sie im entscheidenden Zeitraum keine aktive Internetverbindung haben.
Im Gegensatz zur staatlichen Nina-App bietet die Katwarn-Lösung der öffentlichen Versicherer immerhin eine alternative Benachrichtigung per SMS an. Dazu muss die eigene Postleitzahl allerdings vorab per Textnachricht an den Dienst gesendet werden. Maximal können aber nur sieben Postleitzahlen registriert werden. Wer viel unterwegs ist, müsste sich demnach regelmäßig per SMS ummelden, um auf der sicheren Seite zu sein. Außerdem wird der Service nicht bundesweit angeboten.
Cell Broadcast: Es könnte so einfach sein
Seit Ende der 1990er Jahre existiert mit Cell Broadcast ein System, das im Katastrophenfall alle Personen in einem festgelegten Radius per Textnachricht warnen kann. Eine spezielle App ist nicht notwendig und die Technik wird heute im Grunde von allen Mobilfunkgeräten unterstützt. Das System wird unter anderem in den USA, Japan, Kanada und Südkorea eingesetzt. Seit 2012 gibt es auch einen darauf basierenden EU-Standard mit der Bezeichnung EU-Alert. Der wird auch bereits aktiv in den Niederlanden, Griechenland, Litauen und Rumänien für Katastrophenwarnungen eingesetzt. Seit letztem Jahr testet außerdem auch Italien den Einsatz von Cell Broadcast.
Dass mit Cell Broadcast im Notfall deutlich mehr Menschen erreicht werden können, zeigt sich anhand von Daten aus Neuseeland. Bei einem Testalarm im November 2019 erreichte eine per Cell Broadcast verschickte Warnung 70 Prozent aller Neuseeländer. Weitere sieben Prozent erhielten die Nachricht zwar nicht selbst, befanden sich zu dem Zeitpunkt aber in der Nähe von jemandem, der die Nachricht erhalten hatte. Hätte es sich um eine echte Katastrophe gehandelt, wären demnach 77 Prozent der Gesamtbevölkerung vorab gewarnt gewesen. Bei einem ähnlichen Versuch in den Niederlanden konnten im vergangenen Jahr sogar 94 Prozent der Bevölkerung erreicht werden.
Cell Broadcast hat darüber hinaus aber noch weitere Vorteile: Während die Infrastruktur hinter der Nina-App jetzt schon an zwei Warntagen in Folge zusammengebrochen ist, können Cell-Broadcast-Nachrichten innerhalb von Sekunden an die zu warnende Bevölkerung verschickt werden. Außerdem können Nachrichten parallel in verschiedenen Sprachen versendet werden. Die Katastrophenmeldungen erreichen über das System zudem genau die Menschen, die sich im Gefahrengebiet befinden. Auch im Fall eines überlasteten Mobilfunknetzes kann Cell Broadcast noch eingesetzt werden.
Warum gibt es das nicht in Deutschland?
Das ist eine Frage, die sich nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mittlerweile viele stellen. Darauf angesprochen, hat sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer jetzt gegenüber der Bild für die Einführung von Cell Broadcast ausgesprochen. Das sei bislang „immer gescheitert, weil der politische Wille an mancher Stelle gefehlt“ habe. Zuständig wäre in jedem Fall das seit nunmehr 16 Jahren unionsgeführte Bundesinnenministerium. Laut Innenminister Horst Seehofer hat das ihm unterstellte BKK im Frühjahr immerhin eine Machbarkeitsstudie zum Thema Cell Broadcast in Auftrag gegeben. Das Ergebnis erwartet der CSU-Politiker noch vor der Bundestagswahl im September.
Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland erklärte BKK-Leiter Armin Schuster, dass es nach seiner Sicht derzeit keine Argumente gebe, die komplett gegen Cell Broadcast sprechen. Es müssten jedoch, so Schuster, datenschutzrechtliche Bedenken geprüft werden. Datenschützer sehen das Cell-Broadcast-System allerdings unkritisch, da die Nachrichten schlicht an alle Endgeräte innerhalb einer gewählten Funkzelle verschickt werden. Personenbezogene Daten fallen nicht an. Schuster warnte außerdem vor hohen Kosten, die nach seiner Einschätzung zwischen 20 und 40 Millionen Euro liegen könnten. Zum Vergleich: Für die 2015 veröffentlichte Nina-App hat der Bund alleine bis Mitte 2016 schon 20 Millionen Euro ausgegeben.