Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als Chatroulette der heiße Scheiß war? Die Plattform des Russen Andrey Ternovsky explodierte um das Jahr 2010 herum förmlich. Dann entdeckten echte und angebliche Exhibitionisten das Angebot und besiegelten seinen Untergang. Ternovsky versuchte ein paar Dinge, unter anderem startete er einen Premiumdienst, der Paare zusammenführte. Parallel investierte er in Kryptowährungsunternehmen. Chatroulette sitzt heute im schweizerischen Zug, dem ersten Kypto- und Fintech-Hub der Schweiz. 2019 startete er dann die aktuelle Offensive, um Chatroulette zu „seriösieren“.
Startup-Event von Bits & Pretzels über Chatroulette
Dass Chatroulette aus dem Schmuddelimage raus ist, zeigt eine Veranstaltung aus dem letzten September: Die deutsche Startup-Konferenz Bits & Pretzels organisierte ein dreitägiges Event auf der Plattform. Kern stellte das „Founders Roulette“ dar, das die Teilnehmer zusammenführte. „Zwar ohne Nacktbilder, aber voller überraschender Gespräche“, stand im Programm der Konferenz. Auch die Frauenquote auf der Plattform mit dem Penis-Image steigt wieder: Von 11 Prozent 2019 auf aktuell 34 Prozent.
KI und Bitcoin-bezahlte Moderatoren
Im Zuge von „Chatroulette 2.0“ testete der Gründer diverse Tools, unter anderem KI-Software von Amazon und Microsoft, für einen moderierten Kanal ohne Nacktheit. Parallel lässt er einen unmoderierten laufen, der sich jedoch abnehmender Beliebtheit erfreut. Ternovsky plant, ihn im Sommer einzustellen. Der entscheidende Schnitt kam mit dem Einsatz von Hive, dem Tool, das auch unangemessene Inhalte auf Reddit aufspürt. Das Unternehmen gibt an, dass über zwei Millionen Menschen in mehr als 100 Ländern Bilder mit Schlagworten versehen. Mit diesen Daten füttert es das selbstlernende System. Hive habe mehr als 600 Millionen Frames von Chatroulette-Videos verarbeitet, heißt es. Es half dabei, die Chats mit unangemessenem Inhalt um 75 Prozent zu reduzieren. Innerhalb von Sekunden erkennt es Verstöße und warnt menschliche Moderatoren, die dann eingreifen.
Nutzer kehren nicht zurück
Nachdem sich damit das vordringliche Problem von entblößten Geschlechtsteilen gelöst hat, rückt ein anderes hervor: 90 Prozent der Chatroulette-Besucher kommen nicht wieder. Ternovsky sagte dem Magazin Wired gegenüber: „Die Herausforderung besteht wirklich darin, etwas Wertvolles zu bauen, das die Leute dazu bringt, es regelmäßig zu nutzen, anstatt es nur als einmalige Sache zu sehen.“ Das gelingt nur, wenn sich Menschen immer mal in längeren Unterhaltungen ausgetauscht haben. Länger bedeutet in diesem Zusammenhang: über 45 Sekunden.