Warum uns die Chipknappheit noch länger beschäftigen könnte

Einige Experten sind vorsichtig optimistisch: So kann sich Branchenanalyst Alan Priestley vom IT-Marktforscher Gartner vorstellen, dass bereits im kommenden Jahr wieder Überkapazitäten auftreten. Beim Chipkonzern Intel warnt aber Firmenchef Pat Gelsinger, dass Probleme bei Fertigungskapazität und Verfügbarkeit nötiger Maschinen mindestens bis zum Jahr 2024 andauern dürften.
Experte Priestley setzt darauf, dass der groß angelegte Ausbau der Produktion bald Früchte trägt. Die Branche investiert seit ersten Anzeichen der Engpässe zu Beginn der Corona-Pandemie in neue Fabriken. „Deshalb werden wir wahrscheinlich 2023 oder 2024 Überkapazitäten haben“, prognostizierte er. Jedenfalls bis die weiter steigende Nachfrage sie aufzehrt.
Dieses Wechselspiel sei an sich typisch für die Chipbranche, betonte Priestley. „Sobald Nachfrage und Angebot im Gleichgewicht sind, wird investiert, um Kapazitäten für den nächsten Nachfrageschub zu haben.“ Die aktuelle Chip-Krise sei aber so heftig ausgefallen, weil in einigen Bereichen nicht genug in den Ausbau investiert worden sei – und gleichzeitig die Nachfrage mit dem verstärkten Arbeiten und Lernen in der Corona-Pandemie sprunghaft anstieg.
Noch komplexer macht das alles, dass es eben nicht die eine Halbleiter-Industrie gibt. Für verschiedene Aufgaben braucht es unterschiedliche Chips – und für die wiederum gibt es verschiedene Produktionsprozesse, die nicht beliebig austauschbar sind. Ein wichtiges Merkmal sind dabei die sogenannten Strukturbreiten – grob gesagt, wie fein die Schaltkreise gearbeitet sind. Je niedriger die Strukturbreiten in moderneren Produktionsverfahren, desto leistungsstärker und effizienter sind die Prozessoren.
Für so etwas wie einen Trafo oder andere einfache Aufgaben reichen betagte Produktionsprozesse – die zugleich weniger lukrativ sind, sodass sich die Kapazitäten dafür auf niedrigem Niveau eingependelt hatten. Und dann kam der Corona-Boom. So war es oft das Fehlen weniger einfacher Bauteile, das dafür sorgte, dass Autos oder Computer nicht fertiggestellt werden konnten.
Hinzu kommt, dass Chip-Werke nicht nur Milliarden kosten und über Jahre gebaut werden müssen – sondern auch nicht unbedingt flexibel sind. „Wenn ich eine Fabrik für Chips mit sieben Nanometern Strukturbreite baue, kann ich sie nicht ohne großen Aufwand auf fünf Nanometer umstellen“, sagt Priestley. Und es sei auch nicht so einfach wie in anderen Bereichen, die Produktion einfach ruhen zu lassen. Deswegen müssten die Unternehmen ihre Ausbau-Entscheidungen besonders vorausschauend planen – und neue Kapazitäten in einem Bereich seien nicht unbedingt hilfreich für andere Teile der Branche.
Ein weiteres Nadelöhr sind Maschinen zur Chip-Produktion. Bei den superschmalen Strukturbreiten kommt man nur noch mit UV-Lithografie weiter – und dafür ist der europäische Hersteller ASML praktisch der einzige Anbieter. Er ist entsprechend ausgebucht.
In der Industrie machen Geschichten von verzweifelten Maßnahmen die Runde. So erzählte ASML-Chef Peter Wennink bei der Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen von seinem Gespräch mit dem Management eines „sehr großen Industriekonzerns“, dessen Namen er für sich behielt. „Sie erzählten mir tatsächlich, dass sie Waschmaschinen aufkaufen, um Halbleiter herauszureißen und sie in Industriemodule zu stecken.“ Man könne natürlich sagen, das sei nur eine Anekdote, räumte Wennink ein. „Aber das passiert überall.“
Ein anderes Problem kam für die Branche mit dem Krieg in der Ukraine. Die Laser der Lithografie-Maschinen benötigen neben anderen Gasen Neon. Und das ist ein häufiges Nebenprodukt der Stahlherstellung. Das riesige Stahlwerk Azovstal in Mariupol, das von den russischen Truppen in ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Wochen beschossen und bombardiert wird, war ein wichtiger Neon-Lieferant. Der Wegfall der Lieferungen aus der Ukraine sorgte zwar für Störungen, wird von der Branche aber zu verdauen sein, sagte Priestley. „Es gibt auch andere Quellen“ – unter anderem die großen Stahlwerke in Südkorea.
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