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Analyse

Chipkrise: Jetzt fehlt die PS5 – aber das könnte erst der Anfang sein

Noch immer können Chips und ihre Komponenten nicht in ausreichender Stückzahl produziert werden. Das wird besonders in der Spieleindustrie sichtbar, die Folgen sind aber noch viel weitreichender.

8 Min.
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Die Playstation 5 wurde zum Symbol der Knappheit. Die neue Konsole von Sony scheint seit ihrer Veröffentlichung Ende 2020 kaum jemals in den Regalen, ob digital oder vor Ort, ­gesichtet worden zu sein. Scalper, die Konsolen aufkaufen und teuer wiederverkaufen, sollen schuld sein, die hohe Nachfrage ­natürlich auch. Aber vor allem: die Chipkrise. Die Knappheit an Halbleitern und Folien sorgte dafür, dass viele Menschen leer ausgingen – keine Konsole fanden oder enorme Summen für sie zahlen mussten.

Ein Symbol, das fehlleitet. Nicht nur, weil das Bild falsch ist: Die Playstation 5 verkauft sich in Rekordmengen. Sie ist in keinem Regal zu finden, weil sie stets sofort ausverkauft ist. Die Chipkrise hat nur dafür gesorgt, dass Sony nicht noch mehr produzieren konnte. Vor allem aber überdeckt die Fokussierung auf Konsumgüter ein tatsächlich essenzielles Problem.

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Wenn nicht genug Chips produziert werden, kann es langfristig in etlichen Branchen zu gravierenden Problemen kommen. Automotive, Medizin, kritische Infrastruktur und mehr. Welche Folgen kann die Knappheit hier haben? Und wie kann einer neuen Chipkrise vorgebeugt werden?

„Theoretisch hätte man das verhindern können. Aber praktisch: Nein“

Es war ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren und Ereignissen, das überhaupt erst zur Knappheit führte. Zu ­Beginn der Pandemie stornierten beispielsweise etliche Autohersteller ihre Chip­bestellungen. Sie gingen davon aus, dass die Nachfrage einbrechen würde. Sie brach aber nicht ein. In Texas mussten Halb­leiterfabriken aufgrund starken Schneefalls schließen.

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In Japan kam es in einer Fabrik für Mikro­controller zu einem ­Großbrand. Durch die Politik Donald Trumps gegenüber China kauften ­einige ­chinesische Unternehmen in großem Stil Chips auf. Eine ­Gemengelage also, die man kaum hätte verhindern ­können – oder?

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„Theoretisch hätte man das verhindern können. Aber praktisch: Nein“, sagt Harald Schenk, geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-­Instituts für Photonische Mikrosysteme. Die ­Fabriken für Mikrochips und deren Komponenten würden sowieso ständig am Rande der Vollauslastung arbeiten. Käme es dann zu Mehrbedarf, könne darauf kaum reagiert werden.

„Nur wenn diese ­Fabriken konstant bei etwa 95 Prozent Auslastung arbeiten, können die Chips zu erschwinglichen Preisen angeboten werden“, sagt Schenk. Einer Knappheit hätte also nur vorgebeugt werden können, wenn die Hersteller schon seit Jahren die Chips auf Vorrat eingekauft hätten. „Aber dafür will niemand Geld ausgeben.“

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Das Gegenteil sei vielmehr der Fall: Besonders in der Automobilbranche sei es üblich, „just in Time“ zu bestellen. Das bedeutet, dass die Hersteller sehr kurzfristig handeln. „Heute anrufen und morgen ist der Chip da. Das wurde bis zum Exzess betrieben“, sagt Schenk. Kommt es dann durch Umstände wie Naturkatastrophen zu Ausfällen, entsteht sehr schnell Knappheit.

Darum stehen jetzt Hunderttausende Autos auf Halde, können nicht ausge­liefert werden, auch wenn teilweise nur ein oder zwei Chips fehlen. Und es gibt einen weiteren Flaschenhals: Für einige hochperformante Mikrochips gibt es nur noch drei Hersteller. Intel, Samsung und TSMC, wobei Intel und Samsung größtenteils für den eigenen Bedarf produzieren.

Roboter in Action: Acht spannende Tech-Helfer im Einsatz

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Roboter in Action: Acht spannende Tech-Helfer im Einsatz Quelle: Diligent Robotics

Die Krise soll auch 2022 noch anhalten und befindet sich damit im dritten Jahr. Hergestellt werden die Chips noch immer in großen Mengen. Doch es braucht nur etwas mehr Bedarf, als produziert werden kann, um Probleme hervorzurufen. Harald Schenk erklärt: „Gehen wir davon aus, es gibt zwei Prozent an Mehrbedarf. Ich will ein Smartphone mit 30 Chips herstellen.

Bei jedem einzelnen der Chips laufe ich Gefahr, unter diese zwei ­Prozent zu fallen.“ Und schon seien viele Hersteller in etlichen Branchen nicht mehr in der Lage, ihr Produkt in ausreichender Menge herzustellen. Zwei Prozent können dramatisch werden.

Fehlende Hardware – fehlende ­Innovationen

Ein Blick in die Videospielindustrie, vorbei an der allgegen­wärtigen Playstation 5, kann andeuten, welche Auswirkungen diese Krise auf Innovation hat – sollte sie noch lange ­andauern. „2021 war es eigentlich Zeit für uns, neue Server zu kaufen. Schnellere, energetisch bessere“, sagt Kirk Lenke, CEO und ­Gründer vom in Hannover ansässigen Videospielstudio ­Nukklear.

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Neben den ­Servern hätten sie für ihre Arbeit auch neue ­Grafikkarten gebraucht – vergangenes Jahr hat das Studio die Arbeit an einem großen Online-Game im „Dune“-Universum begonnen. „Wir haben uns die Preise angeschaut und gesehen, dass wir teilweise den dreifachen Preis hätten zahlen müssen“, sagt er. Also gab es keine neuen Server und von den Grafikkarten nur die wirklich nötigen – für viel Geld.

Wer konkurrenzfähig sein möchte, kann nicht auf alter Hardware produzieren.

Noch könne das Studio überbrücken, mit älterer Hardware arbeiten oder auf Cloud-Services als Ersatz für eigene Server ­zurückgreifen. Aber irgendwann sei der Punkt doch erreicht, an dem neue Technik angeschafft werden müsse. „Es beginnt schon, wenn wir neue Mitarbeiter einstellen, die brauchen ja auch neue Geräte. Da warten wir jetzt schon teilweise Wochen, damit die ankommen“, sagt Lenke. Die Games-Branche, wie viele andere auch, ist angewiesen auf Chips. Es gibt keine Alternativen. Wer konkurrenzfähig sein möchte, kann nicht auf alter Hardware ­produzieren.

Wenn die PS5 da ist, könnten die Spiele fehlen

Besonders mittelständische Unternehmen können sich aber die stark gestiegenen Preise kaum leisten. So kann hier ein Innovationsstau entstehen, sollte die Knappheit sich noch über einen längeren Zeitraum hinziehen. Projekte könnten nicht so ausgeführt werden wie geplant. Neue Produkte, ob Hardware oder Software, blieben in der Herstellung hängen – oder müssten vereinfacht werden, um auch ohne modernste Technik zu laufen.

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In Bezug auf die Videospielindustrie könnte es zu der paradoxen Situation kommen, dass die, die nach langem Warten endlich eine Playstation 5 ergattern konnten, in einigen Jahren dann die eigentlichen Folgen dieser Krise zu spüren bekommen: ­ausbleibende Spiele.

Andere Branchen, größere Probleme

In anderen Branchen können die Probleme jedoch noch ­gravierender werden. „Die Chips in einem Auto müssen eine viel höhere Qualität haben als etwa in einer Spielkonsole“, sagt ­Wenke Weinreich, stellvertretende Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme. Sie ist für Entwicklungsaufgaben auf 300 Millimeter Wafergröße und damit für die Forschung im Bereich fortschrittlicher CMOS-Technologie zuständig, also für Halbleiterbauelemente. Anders als in der Konsole dürften ­diese Chips nicht einfach kaputtgehen – womöglich mitten auf der ­Autobahn.

Es wird möglich sein, auf einem Chip das unterzubringen, wofür heute noch zehn Chips benötigt ­werden.

Ähnlich sieht es in der Medizin aus, wo mitunter hoch ­spezialisierte Chips benötigt werden, die aber nur in geringer Stückzahl bestellt werden. „Hier werden zumeist Chips speziell designt, die dann anderswo produziert werden. Aber als Beispiel: Wie viele MRT mit Auswerte-Chips stehen denn schlussendlich in Kranken­häusern?“

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Die kleineren Stückzahlen, und damit zumeist die hoch spezialisierten Chips, hätten das Nachsehen. Denn es sei eben sehr viel lukrativer für die Chip-Produzenten, in ­großer Stückzahl herzustellen. Es bleibe zu hoffen, dass in einer Not­situation menschlich gehandelt würde und nicht ­kommerziell: Menschenleben vor Konsumgütern.

Auch die kritische Infrastruktur könnte betroffen sein

Dieses Gedankenspiel lässt sich auf etliche Bereiche aus­weiten. Die kritische Infrastruktur etwa. Aktuell besteht die ­Sorge, dass sie betroffen ist, weil zu viele Menschen wegen einer Corona­erkrankung ausfallen. Was, wenn es irgendwann dazu kommt, dass sie nicht aufrechterhalten werden kann, weil es an neuen Chips mangelt? Gleiches gilt für das Militär, die Cyber-­Abwehr oder selbst die Städteplanung, die durch Smart-City-­Konzepte immer stärker auf IT und KI setzt.

Sollte die Krise noch lange andauern oder noch weitere Krisen kommen, könnte es ­etliche Engpässe geben. Noch ist das nur ein Schreckens­szenario. Aber ließe es sich mit Sicherheit verhindern?

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Lassen sich diese Krisen verhindern?

„Wir sind eine so hochtechnologisierte Gesellschaft, wir ­werden nie wieder in eine Zeit zurückkommen, in der wir nicht auf Chips angewiesen sind“, sagt Wenke Weinreich. Ein Blick in die Zukunft zeigt vielmehr, dass das Gegenteil der Fall ist. Allein die Umsetzung der Idee des ­Metaverse würde bedeuten, dass noch mehr Computertechnik gebraucht wird.

Für VR- und AR-Geräte, für gigantische Server und leistungsstarke Rechner. Ebenso die Entwicklung hin zu Quantencomputern, die hoch spezialisierte Chips benötigen. Unsere Zukunft wird noch digitaler sein. Aber das Digitale braucht Hardware – und gerät sehr schnell in eine Krise, wenn die fehlt. Wie also kann dem vorgebeugt werden?

„Die Chipbranche ist bekannt dafür, sehr innovativ zu sein. Es wird effizientere Herstellungsmethoden geben“, sagt ­Wenke Weinreich. Einfach ausgedrückt: Es wird möglich sein, auf einem Chip das unterzubringen, wofür heute noch zehn Chips benötigt werden. Aktuell, besonders in der Krise, werde jedoch das Gegenteil betrieben.

Als Zwischenlösung wird ein ­fehlender hoch­performanter Chip etwa durch zehn weniger performante Chips ersetzt – die deutlich mehr Energie verbrauchen. Der Chipbranche die passenden Rahmenbedingungen zu geben, um innovativ ­arbeiten zu können, etwa durch Förderung und Standortvorteile, sei also eine Möglichkeit, um zukünftige Krisen unwahrscheinlicher zu machen.

Der größere Hebel wäre aber, die Zentralisierung in der Herstellung aufzubrechen. Je spezieller Chips werden, desto weniger Produzenten können sie herstellen. Diese Produzenten werden mit Anfragen überhäuft. Sollte auch nur einer ausfallen, sei es durch eine Naturkatastrophe oder eine politische Entscheidung wie sie etwa aktuell im Taiwan-Konflikt droht, dann kann das gesamte System kollabieren. Es bräuchte also Dezentralisierung – und dafür wiederum entsprechende staatliche Unterstützung.

Man kann es nicht aus dem Boden stampfen

Eine gesamte Produktionskette in einem Land wie Deutschland unterzubringen, dürfte freilich schwierig werden. Es braucht die passenden Rohstoffe, Ressourcen, den Platz und die Expertise. Das ist nicht von heute auf morgen aus dem Boden zu stampfen. Doch eine gewisse Technologieautonomie wird vonnöten sein, um künftige Krisen abzuwenden oder zumindest einzuschränken. „Die Verfügbarkeit modernster Technologien hat das Potenzial, das Wohl einer Region oder eines Staates stark zu beeinflussen“, sagt Harald Schenk.

Es muss also ein europäisches Projekt werden, einen Teil der weltweiten Produktion von Chips, die derzeit vor allem in China und den USA liegt, hier anzusiedeln. Erste Schritte werden bereits getan.

Im Dezember 2021 etwa wurde die Produktion von Mikroelektronik zu einem Important Project of Common European Interest. Das Ziel: „Durch Bündelung ihrer Kräfte stoßen die Mitgliedstaaten und die Industrie einen Prozess an, der zu wichtigen Investitionsentscheidungen führen wird, um die Widerstandsfähigkeit der europäischen Lieferkette für Halbleiter zu verbessern.“

Damit ist die Chipkrise mit ihren vielen, noch in weiter Ferne scheinenden Auswirkungen auf europäischer Ebene angelangt. An der jetzigen Knappheit werden diese politischen Maß­nahmen nichts mehr ändern. Aber sie könnten die digitale Zukunft ­sicherer machen. Und irgendwann steht dann sicherlich auch die ­Playstation 6 in den Regalen. Hoffentlich in ausreichender ­Stückzahl.

Dieser Beitrag ist zuerst im t3n-Magazin erschienen. Lust auf mehr Deep Dives und Long Reads zu Tech-Trends? Hier gehts zum Shop: https://t3n.de/store/

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2 Kommentare
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MS

Für ein MRT kann man einen fehlenden Chip auch einmal auf einem Spotmarkt zu überteuerten Preisen kurzfristig kaufen. Der Mehrpreis geht kalkulatorisch im Gesamtpreis des MRT eher unter.

Kritisch ist die Chipknappheit für Hersteller, bei sich denen der Einkaufspreis für den Chip in der Kalkulation für das Endprodukt überproportional niederschlägt.

Antworten
Felix

Also im Maschinenbau sind die Beschaffungsprobleme absolut pervers – Alles was irgendwie mit Elektronik zu tun hat (Steuerungen, Eingangs- und Ausgangskarten, Bedien-PCs, Frequenzumrichter, Motoren) – teilweise seit über einem Jahr nicht mehr zu beschaffen und die Lieferanten geben Lieferzeiten von bis zu 80 Wochen an.
Mittlerweile ist die Situation für einige Firmen die ich aus meiner Tätigkeit kenne und auch für meinen eigenen Arbeitgeber existenzbedrohend.

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