Die Coronakrise nervt uns alle. Viele hassen das Homeoffice, mir macht das überhaupt nichts aus. Das Feierabendbier mit den Freunden an der Spree oder das Wochenende in witziger Grillrunde ist etwas, das mir viel mehr fehlt – gerade aktuell bei dem schönen Frühlingswetter. Natürlich macht man Abstriche, denn ändern lässt sich das vorerst nicht. Mit einem Kumpel hatte ich letztens einen kleinen Konflikt diesbezüglich. Er meinte, er wüsste „nichts mit seiner Zeit anzufangen“. Er wolle einfach nur wieder arbeiten gehen. Momentan ist er auf Kurzarbeit und nur drei Tage die Woche für jeweils vier Stunden vom Homeoffice aus am Ball. Der Vollständigkeit halber: Das Geld reicht trotzdem.
Auf sein Gejammer folgte meine neunmalkluge Antwort: „Bro, es gibt immer etwas zu tun!“ Und dann kam es zur Diskussion. Ich erzählte davon, dass ich beispielsweise den Balkon gerade klarmache, dass ich am Wochenende mit einem Kollegen einen Guide zum Umzug ins Homeoffice geschrieben habe, dass ich auch wieder mehr Sport mache als noch vor einem Monat. Ich erzählte, dass ich mit dem Gedanken spiele, die Arbeitsplatte in der Küche auszutauschen. Meine Freundin und ich machen auch jeden Morgen vor der Arbeit einen Spaziergang. Montags laufen wir zum Fruchtgroßhändler und holen per To-Good-To-Go-App einen Obstkorb für die Woche.
Er: „Toll, auf so etwas habe ich aber keine Lust.“
Ich: „Okay, fair enough!“
Das Problem, das er allerdings hat, ist ein anderes: Es geht gar nicht um keine Lust, es geht darum, dass er es nicht schafft, abzuschalten. Er ist in der Eventbranche tätig und es gewohnt, dass immer alles auf Druck passiert. Am Abend noch eine E-Mail, weil der Partner in Seattle jetzt anfängt zu arbeiten. Am Wochenende zwischen Frühstück und Mittag nochmal schnell zum Messeaufbau, um zu checken, ob alles reibungslos läuft. Berufliches und Privates war immer vermischt. Lange hat er deshalb auch gesagt, dass sein Job nerve, dass er sich was Neues suchen müsse und dass er gar keine Zeit mehr habe, eigenen Dingen nachzugehen. Jetzt hat er die Zeit und kommt darauf nicht klar.
Er hat sich über die Jahre so hart entlang des Jobs konditioniert, dass er die neugewonnene Freizeit jetzt nicht zu nutzen weiß. Wir haben noch eine ganze Weile hitzig über Vor- und Nachteile der aktuellen Corona-Situation für ihn diskutiert. Sein Beispiel gleicht einem bekannten Phänomen: Wenn sich Job und Privatleben derart stark vermischen, sind die Menschen quasi immer auf Puls. Die Gedanken immer im Job. Eine Studie der Universität Zürich, die in der Fachzeitschrift Business and Psychology veröffentlicht wurde, brachte es auf den Punkt: „Die Vermischung führe dazu, dass sich Arbeitnehmer schlechter erholen können.“ Eine Abgrenzung passiere nicht mehr.
Er: „Kennst du das? Wenn nach dem Projekt dieser Fall ins Loch kommt?“
Ich: „Na logo!“
Er: „Mir fehlt das Loch. Und zu wissen, dass es nach einer Woche weitergeht.“
Ich habe ihn gefragt, ob er es nicht merkwürdig findet, dass das, was er seit Monaten kritisiert, jetzt das ist, was ihm am meisten fehlt. Ich sagte, er habe jetzt die Möglichkeit mal abzuschalten und Dinge zu tun, für die er vorher, nach eigener Aussage, keine Zeit hatte. Er weiß, dass ich Recht habe und wird leiser. Aber was sind denn die Dinge, die es zu tun geben könnte, fragt er. Ich google nach „Dinge, die man während Corona tun könnte“ und bekomme unzählige Ratgeber ausgebreitet, klicke jedoch nur auf einen Business-Punk-Artikel mit dem Titel: „Acht Dinge, die du in der Quarantäne lernen kannst“. Dazu zählen Kochen, Sportmachen, Instrumente und Nähen.
Er: „Nähen?“
Ich: „Why not? Das holt dich auf jeden Fall runter!“
Er: „Hat aber keinen Nutzen.“
Was sind die Dinge, die man tun könnte?
Wir reden übers Nähen, kommen zum Stricken und enden beim Puzzeln. Ich sage zu ihm, dass alles, was ihn runterholt, einen Nutzen hat. Ich habe Kollegen, die beispielsweise gamen. Ich würde meine Zeit nie damit verbringen, mich am Wochenende vor einen Rechner zu setzen, um PC-Games zu zocken. Trotzdem verstehe ich den Drive dahinter. Für sie ist das Erholung. Sie gehen darin auf, sie bauen virtuelle Türme, laufen durch virtuelle Welten und bekämpfen virtuelle Gegner. Am Ende passiert sogar das Unmögliche: Ich rate dazu, sich einfach eine Playstation zu holen und mal ne Runde – wie zuletzt als Teenager – GTA zu zocken. Halt zum Runterkommen.
Er: „GTA war geil!“
Ich: „True, oder Gran Tourismo. Kannste Stunden mit verbringen.“
Er: „Aber ist trotzdem absurd.“
Desto länger wir uns unterhalten, desto mehr merke ich, wie sehr er im „Mehr, mehr, mehr!“ steckt. Ich erzähle von den anfänglichen Phasen eines Burnouts: der Zwang, sich zu beweisen, der verstärkte Einsatz, die Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse, die Verdrängung der eigenen Bedürfnisse, die Umdeutung der Werte. Er sagt „Quatsch.“ Ich sag „Siehste!“ Diese Phasen, die ich lehrerhaft runterbete, sind mir bekannt. In meiner Familie gab es bereits einen Burnout. Nichtsdestotrotz muss das für meinen Kumpel nicht das Gleiche bedeuten. Hellhörig werde ich dennoch. Allmählich kommen wir wieder auf Erfreulicheres zu sprechen. Sein Sohn wacht aus dem Mittagsschlaf auf.
Er: „Immerhin er hält uns auf Trab.“
Ich: „Und das ganz ohne Jobloch.“
Er ist ein guter Vater und Ehepartner. Er kümmert sich um seine Familie. Er fühlt sich verantwortlich und will, dass es an nichts mangelt. Den Spagat hat er immer gut geschafft, aber jetzt muss es sich für ihn anfühlen, als wäre er ein einbeiniger Artist. Bleibt ein Spagat mit einem Bein ein Spagat? Ich glaube ja, er hat jedoch seine Zweifel. Der Kleine braucht jetzt seine Aufmerksamkeit: was essen, spielen und dann eine Runde mit dem Laufrad durch den Park. Ich fahre auch wieder nach Hause und denke über das Gespräch nach. Während Corona wieder mehr Zeit für sich zu haben, sei ein Geschenk, liest man oft. Ich merke nach dem Erlebnis, dass das nicht alle so empfinden.
Die Coronakrise zu managen, ist eine Herausforderung. Wir sprechen viel über Ansteckungsraten und blicken zitternd auf das Gesundheitssystem. Wir vergleichen in einem Zug auch die Entwicklung der Wirtschaftszahlen. Ich verstehe das. Der Virus stellt die Systemfrage. Etwas anderes jedoch kommt in der Causa zu kurz. Die psychologischen Auswirkungen auf viele Menschen, die immer funktioniert haben und sich jetzt plötzlich nutzlos vorkommen. Freud sagte einmal: „In dem Augenblick, in dem ein Mensch den Sinn und Wert seines Lebens bezweifelt, ist er krank.“ Für viele Menschen liegt der Sinn in ihrer Arbeit. Die Krise, so dämmert es mir, hat viele Gesichter.
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Das Gefühl kenne ich zu gut. Ich war über 10 Jahre in der Eventbranche, vor 6 Jahren war mir das „mehr mehr mehr“ zu viel und ich habe mich ernsthaft mit Alternativen auseinandergesetzt und mich für ein nebenberufliches Fernstudium entschieden. Das war mit dem alten Arbeitgeber nicht möglich, also bin ich gegangen und hab mich selbstständig gemacht.
Nach 9 Monaten hatte ich dann einen Kunden, der mir einen Teilzeitjob angeboten hat, was sehr gut gepasst hat. Dann ging das Studium dahin und ich kam Richtung Abschlussarbeit, was ich auch mit dem Teilzeitjob nicht für kompatibel gehalten habe. Ich wollte aber auch keine weiteren Zugeständnisse mehr. Mein Arbeitgeber hatte mich immer sehr gut unterstützt, ich fühlte mich aber gegenüber meinen Kollegen bevorteilt und wollte das nicht noch weiter strapazieren.
Dann habe ich einen Studentenjob angenommen 4 Tage Woche, Wochenenden frei, die erste Zeit habe ich die Zeit natürlich mit der Abschlussarbeit verbracht, als die fertig war, war dieses Loch da. Es war ein wirklich komisches Gefühl aber so blöd es klingt, ich habe mir einfach eine Art Stundenplan für die freie Zeit gemacht bis ich wieder von selbst wußte was damit anzufangen. Das hat aber tatsächlich einige Wochen gedauert.