Wie sieht ein erfülltes Leben aus? Die meisten Menschen würden wohl meinen, dass ein glückliches Familienleben, eine erfolgreiche Karriere, gute Freunde und genug Zeit, um sich selbst weiterzuentwickeln, wichtige Grundpfeiler seien. Wer am Ende seiner Tage darauf zurückblicken kann, wird vermutlich sehr zufrieden mit sich sein. Dieser Gedanke impliziert umgekehrt jedoch auch, dass das Leben – zumindest teilweise – unerfüllt bleibt, sobald eine dieser Säulen nicht fest steht oder Risse hat. Um das zu vermeiden, sprechen viele davon, ein Gleichgewicht herzustellen. Der Anglizismus „Work-Life-Balance“ ist in aller Munde.
Dass dieser Begriff uns jedoch negativ beeinflusst, behauptet die Soziologin Tracy Brower. „Wir müssen aufhören, nach Work-Life-Balance zu streben“, schreibt sie im US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Fast Company. Sie glaubt, dass die Art, wie wir die Dinge benennen, unsere Denkweise und somit unser Handeln grundsätzlich prägen. „Ich gebe zu, dass wir vielerorts ein Work-Life-Problem haben“, so Brower. Sie sei aber überzeugt davon, dass das Balance-Konzept zwischen Arbeit und Privatleben nicht hilfreich sei. Beides lässt sich nämlich nicht getrennt voneinander betrachten, so die Expertin.
Work-Life-Balance: Entweder oder?
Arbeit gehört zum Leben dazu. Ohne Arbeit kein Geld. Und ohne Geld kein Zuhause, kein Essen, kein Urlaub. Viele Dinge, die unser Privatleben bestimmen und uns glücklich machen, seien ohne Arbeit gar nicht möglich, schreibt die Soziologin. Der Begriff „Work-Life-Balance“ trenne Arbeit und Leben jedoch nur künstlich voneinander: Entweder wir arbeiten, oder wir leben! Sinnvoller ist es laut Tracy Brower, die beiden Bereiche als miteinander verbunden anzuerkennen: „Wenn du Arbeit als Teil deines erfüllten Lebens betrachtest, fällt es dir leichter, zu erkennen, dass der Erfolg in einem Bereich oft auf auch auf den anderen abfärbt.“
„Du kannst alles haben, nur nicht alles auf einmal.“
Das Wort „Balance“ lege nahe, dass Arbeit und Leben schnell aus dem Gleichgericht geraten können. Sie schreibt, dass sich bei vielen Menschen ein latentes Gefühl der Unsicherheit ausbreite, wenn sie das Gefühl haben, sie stecken in die eine oder in die andere Sache zu viel Energie. „Das Leben sollte man nicht als Risiko betrachten, bei dem man bei jedem Fehltritt aufpassen muss“, schreibt Tracy Brower. Die wenigsten Tage stünden im Zeichen der Balance: Manchmal müsse man länger arbeiten und sich auf dem Heimweg ein Abendessen besorgen. Und manchmal fällt der Betriebsausflug aus, weil die Familie zu Besuch kommt.
Das sei auch in Ordnung so, findet die Expertin. Im Leben komme es öfter vor, dass ein Lebensbereich zumindest zeitweise auch mal wichtiger als der andere ist. „Wir verdienen mehr als nur Balance“, erklärt Tracy Brower. Wer sich damit zufriedengebe, fordere zu wenig ein – vom Arbeitgeber genauso wie von sich selbst. Die eigene Sichtweise mache hierbei viel aus: „Wer mit einer positiven Einstellung an Freizeit und Arbeit herangeht, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass beides gut läuft.“ Wer jedoch das in Konkurrenz zum anderen setzt, erhöhe unnötig den Druck. Ihr Mantra: „Du kannst alles haben, nur nicht alles auf einmal.“
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