So digital sind unsere Krankenkassen wirklich
Wer denkt, die Digitalisierung der Krankenkassen hinke in Deutschland noch weit hinterher, der irrt sich. Tatsächlich sind AOK, Barmer, Techniker und Co. inzwischen äußerst gut aufgestellt und erweitern stetig ihr Angebot an digitalen Alternativlösungen. Das Problem: Nur die Wenigsten wissen, dass solche Möglichkeiten überhaupt existieren, wie eine Umfrage des Fachportals krankenversicherung.net jetzt herausfand.
Großes Angebot, wenig Bekanntheit
Egal, ob Auslandskrankenscheine herunterladen, Kontaktdaten ändern, Krankschreibungen einreichen oder Kostenrückerstattungen anfordern – all das ist mit den Apps der meisten deutschen Krankenkassen ganz einfach per Smartphone möglich. Laut der groß angelegten Studie, die krankenversicherung.net durchgeführt hat, bieten in Deutschland 12 der 15 mitgliederstärksten Kassen ihren Versicherten eine eigene App an. Vor allem für Arbeitnehmer oder die sogenannte Sandwich-Generation, die sich gleichzeitig um Kinder und pflegebedürftige Eltern kümmern muss, hat das viele Vorteile. Denn so können sie bequem per Smartphone die eigene sowie die Gesundheit ihrer Angehörigen managen und noch besser mit ihrem privaten und beruflichen Alltag in Einklang bringen, ohne dabei von Öffnungs- und Servicezeiten abhängig zu sein. „Die Krankenversicherungen in Deutschland haben überall dort mit der Digitalisierung begonnen, wo sich Kosteneinsparungen realisieren lassen. Beispielsweise bei der digitalen Einreichung von Arztrechnungen oder auch beim digitalen Postfach als Ersatz zur physischen Post“, beobachtet Ralf Pispers, Gründer und Geschäftsführer des Kölner Insurtechs PBM, das sich auf die personalisierte Kommunikation zwischen Versicherungen und ihren Kunden spezialisiert hat.
In der Theorie haben unsere Krankenkassen mit der Einführung eigener Apps also ihre Hausaufgaben erledigt. Manche haben für unterschiedliche Zielgruppen sogar gleich mehrere davon. So bietet die Techniker Krankenkasse beispielsweise eine eigene App für Allergiker und auch die Barmer ermöglicht ihren Versicherten mit der Teledoktor-App einen 24-Stunden-Telefonservice sowie eine (Video-)Chatfunktion und ein Wartezeitenmanagement für Facharzttermine – auch wenn Letzteres noch etwas ausbaufähig ist. Das Problem: Im Rahmen der Umfrage von krankenversicherung.net gaben gerade einmal 17,6 Prozent der Teilnehmer an, die App zu nutzen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer wusste hingegen nicht einmal, dass ein solches Angebot seitens ihrer Krankenkasse besteht. Und dasselbe gilt auch für die anderen Programme, deren Kosten von vielen Versicherungen gefördert oder sogar komplett übernommen werden. So erstattet zum Beispiel die DAK die kompletten Kosten für einen unbegleiteten Onlinekurs von Selfapy zur Stressbewältigung. Und auch Versicherte der Barmer haben beispielsweise die Möglichkeit, auf der Website ihrer Versicherung viele Sportkurse größtenteils kostenlos wahrzunehmen. Leider werden diese digitalen Gesundheitsangebote bisher aber nur wenig genutzt: Gerade einmal 3,3 Prozent derjenigen, die an der Umfrage von krankenversicherung.net teilgenommen haben, sagten, dass sie die digitalen Sportkurse ihrer Krankenkasse wahrnehmen. Bei den E-Mental-Health-Angeboten waren es sogar nur 1,7 Prozent.
Die Pandemie als Katalysator
Zwar hat sich laut krankenversicherung.net im Zuge der Coronakrise an den Nutzerzahlen digitaler Mental-Health-Programme nichts geändert, was die Digitalisierung der Krankenkassen im Allgemeinen betrifft, allerdings schon, wie Ralf Pispers von PBM weiterhin berichtet: „Die Pandemie hat von jetzt auf gleich die Notwendigkeit für neue, digitale Dialogformen gebracht. Denn Filialen und Berater waren, wenn überhaupt, nur per Telefon erreichbar. Gleichzeitig hat die Pandemie gezeigt, wie hoch die Akzeptanz der Mitglieder für digitale Kommunikationslösungen ist. In diesem Punkt wurden sie lange Zeit unterschätzt. Das zwingt die Versicherer jetzt, die zeitlichen Versäumnisse der Vergangenheit im Sprinttempo aufzuholen.“ Und er sieht eine weitere Entwicklung, die durch die Coronapandemie ausgelöst wurde und als durchaus positiv zu bewerten ist. „Man hat in Deutschland nach langer Zeit mal wieder damit begonnen, einfach zu machen. In der Vergangenheit ist die digitale Transformation und Innovation oft an der Erwartungshaltung gescheitert. Die sah so aus, dass eine neue digitale Lösung von Beginn an perfekt funktionieren muss“, berichtet er.
Das, was das Digitale-Versorgungs-Gesetz, das im Dezember 2019 in Kraft getreten ist, eigentlich leisten sollte, haben die Einschränkungen, die das Virus mit sich gebracht hat, jetzt quasi über Nacht bewirkt. Digitale Lösungen standen schon lange in den Startlöchern, doch jetzt können sie endlich loslegen. Nicht nur, weil sie in vielen Fällen wirklich tolle Alternativen zu den traditionellen Methoden bieten – sondern auch, weil die Krankenkassen in der der anhaltenden Pandemie schlichtweg darauf angewiesen sind. „Die Krankenversicherer müssen die neuen Lösungen allerdings noch viel stärker in die Kommunikation und den Kundendialog aufnehmen“, sagt Ralf Pispers von PBM. Und wenn man sich die Zahlen der Umfrage von krankenversicherung.net ansieht, gibt es dem nichts mehr hinzuzufügen. Bei den meisten Kassen sind die Angebote längst da, jetzt ist es an ihnen, für mehr Aufklärung unter ihren Versicherten zu sorgen. Letztlich ist das für alle Beteiligten eine klassische Win-win-Situation.
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