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Digitale Schule: So könnte die Pandemie das Lernen verändern

Die Pandemie zwingt die Schulen in Deutschland, sich zu digitalisieren. Ein Blick nach Estland zeigt, was es in diesem Prozess zu beachten gilt.

5 Min. Lesezeit
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Schule am Küchentisch ist in der Pandemie fast Normalzustand. (Foto: Juliya Shangarey/ Shutterstock)

Seit über einem Jahr müssen Schulen in Deutschland immer wieder auf Distance Learning umstellen. Während der Umstieg hierzulande vor allem am Anfang teils chaotisch lief, ist er den Schulen im digitalen Vorreiterstaat Estland vergleichsweise leicht gefallen. Beide Länder haben im letzten Jahr sowohl die Vorteile als auch die Schattenseiten ihrer Digitalisierungsstrategien kennengelernt.

Der digitale Staat: Was können wir von Estland lernen?

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Estland gilt als digitaler Vorzeigestaat. Das kleine baltische Land ist bekannt für seine Startup-Dichte, ermöglicht quasi alle Behördengänge online und bietet diese Services auch seinen weltweiten E-Residents an. Unsere Autorin Helen Bielawa lebt aktuell in Estland und recherchiert zu Innovationen im öffentlichen Sektor. In dieser Artikelreihe zeigt sie, was hinter Estlands Image steckt und was Deutschland davon lernen kann.

Estland: Digitale Lernplattform half beim Umstieg

In Estland gehörte Digitalisierung schon vor der Pandemie zum Alltag. Einen wichtigen Beitrag dazu haben Online-Plattformen geleistet, die fast alle estnischen Schulen nutzen. Die am weitesten verbreiteten Plattformen sind eKool und Stuudium.

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Als die Schulen im letzten März mit dem Distance Learning begonnen haben, waren wir gut vorbereitet.

Darüber laden Schülerinnen und Schüler Hausaufgaben hoch und Lehrkräfte die Noten. Auch Eltern haben Zugriff, um den Lernfortschritt ihrer Kinder nachzuverfolgen.

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„Als die Schulen im letzten März mit dem Distance Learning begonnen haben, waren wir gut vorbereitet“, sagt Laura Limperk-Kütaru, Leiterin der Abteilung internationale Beziehungen beim estnischen Bildungsministerium.

In Deutschland gibt es kein einheitliches Bild der aktuellen Lage. „Wer vorher schon digital geschult und ausgestattet war, hat den Umstieg gut geschafft. Die anderen haben einen riesigen Sprung nach vorne gemacht“, sagt Christian Büttner, Leiter des Instituts für Pädagogik und Schulpsychologie der Stadt Nürnberg. Als Vorsitzender des Bündnis für Bildung setzt er sich für digitalen Wandel in der Bildung ein.

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Digitale Infrastruktur ist die Grundlage

Deutschland hat den Nachholbedarf erkannt und 2019 den Digitalpakt Schule verabschiedet. Der Bund hat fünf Milliarden Euro für digitale Bildungsinfrastruktur bereitgestellt. Estland investiert dagegen schon seit Jahrzehnten in die digitale Infrastruktur. 1996 startete der damalige Präsident Lennart Meri das Programm Tiigrihüpe (Tigersprung) für die digitale Bildung. Inzwischen sind Schulen flächendeckend ans Internet angeschlossen, es stehen bei Bedarf Tablets zum Ausleihen bereit, Lehrerinnen und Lehrer wurden fortgebildet.

Beim Umstieg aufs Distance Learning während der Pandemie hat das den Esten allerdings nicht geholfen. Die Schulen waren perfekt ausgestattet, aber die privaten Haushalte nicht. Nicht alle Familien hatten einen guten Internetanschluss und ausreichend Geräte für alle Kinder.

„Wir hatten die digitalen Skills, die Plattformen, die Tools und das Mindset. Aber am Ende kam es auf die Infrastruktur an“, sagt Laura Limperk-Kütaru. Auch in Estland musste die Regierung also nachsteuern und mehr Geräte für bedürftige Schülerinnen und Schüler anschaffen.

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Eine neue Form des Lernens

Zu Digitalisierung gehört mehr als Internet, Tablets und Smartboards. „Das Digitale ist kein eigenständiges Fach, sondern eine Form des Lernens. Diese Logik verfolgen wir seit Jahren“, sagt Laura Limperk-Kütaru. Deshalb hatte die Weiterbildung von Lehrkräften von vorneherein Priorität.

Christian Büttner wünscht sich das Gleiche für Deutschland. „Es wird keine Schule wie vor Corona mehr geben, sondern eine neue Form von Schule nach Corona“, erwartet er. Mit neuen Lernmethoden, die digitale Tools sinnvoll einsetzen, werde sich die Bedeutung der Schule als Lebensraum verändern.

Es wird keine Schule wie vor Corona mehr geben.

Ein vielversprechendes Modell für eine neue Art des Lernens ist der sogenannte Flipped oder Inverted Classroom. Die Idee: Anstatt im Unterricht frontal Input zu bekommen und zu Hause die Inhalte alleine zu üben, könnte es auch umgekehrt laufen. Die Kinder würden sich das Wissen zu Hause aneignen, mithilfe von Videos, Apps und digitalen Lerninhalten. In der Schule würde dann gemeinsam geübt, diskutiert und vertieft.

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„Es gibt kein Schwarz oder Weiß“

In welchen Fällen Konzepte wie der Flipped Classroom Sinn ergeben, hängt vom Thema, Jahrgangsstufe und Schulform ab. „Ich glaube, dass die digitalen Instrumente den Unterricht besser machen, aber es gibt da kein Schwarz oder Weiß. Alles digital zu machen, ist nicht richtig, und alles analog ist es auch nicht“, sagt Christian Büttner.

Seiner Meinung nach können die Lehrerinnen und Lehrer das am besten entscheiden und es sollte keine Standardlösung von oben herab diktiert werden. Aber die Lehrkräfte seien in den letzten Jahren völlig allein gelassen worden mit dieser Aufgabe. Sie wüssten gar nicht, welche Angebote es gibt. „Im Endeffekt nutzt aktuell jeder, was er will“, bringt Büttner es auf den Punkt.

Vor dem gleichen Problem steht Laura Limperk-Kütaru. Auch in Estland sind es die Lehrerinnen und Lehrer, die die einzelnen Tools aussuchen und einsetzen. Und auch dort gibt es eine unübersichtliche Vielfalt an Apps, Youtube-Kanälen und Online-Plattformen. Deshalb gibt es neben den Vorreiterschulen auch in Estland Nachzügler, die keinen Gebrauch von den digitalen Möglichkeiten machen.

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Ein Code of Conduct für die digitale Bildung

Zwei Länder mit sehr unterschiedlichen Ausgangslagen stehen aktuell also vor dem gleichen Problem. Christian Büttner und Laura Limperk-Kütaru haben unabhängig voneinander die gleiche Lösungsidee entwickelt: Ein Code of Conduct. Eine Art Tüv für die digitale Bildung soll die Sicherheit und Verlässlichkeit von Inhalten und Software im Bereich Schule und Bildung prüfen. Das würde die Vielfalt an Tools wahren und die Entscheidungskompetenz bei den Lehrkräften belassen, aber ihnen die Verantwortung für Datenschutz und Qualität abnehmen.

Estland will parallel zu einem solchen Regelwerk eine Plattform entwickeln, auf der Lehrerinnen und Lehrer nach passenden Tools suchen können. Zusammen mit den Produktstandards würde die Plattform Lehrkräfte ermächtigen, die Digitalisierung der Schule selbst zu gestalten.

Interoperabilität statt Insellösungen

Neben Datenschutz und Funktionalität gibt es einen dritten Aspekt, der in einem Code of Conduct für digitale Bildungssoftware geregelt werden müsste: Interoperabilität. Damit Inhalte verschiedener Verlage in einer Plattform genutzt und beim Schulwechsel Daten übertragen werden können, müssen die Anwendungen standardisierte Schnittstellen haben.

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In Estland sind zumindest größere Anbieter in diesem Punkt einen Schritt weiter, sagt Laura Limperk-Kütaru. Basierend auf der nationalen Infrastruktur X-Road und der digitalen Identität nutzen sie Estlands sogenannte Educational ID. Schülerinnen und Schüler melden sich damit bei ihren Lernplattformen an. Die Infrastrukturen, die Estland seit den 90ern entwickelt hat, helfen also auch in der aktuellen Situation.

„Digitalisierung öffnet die ganze Welt“

„Wir haben Mitte der 90er die Digitalisierung der Schulen begonnen, weil wir erkannt haben, dass wir uns damit den Zugang in die ganze Welt öffnen“, blickt Laura Limperk-Kütaru zurück in die Zeit nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

Trotzdem hat die Pandemie auch in Estland als Brennglas für Problemstellen gewirkt. Sowohl Estland als auch Deutschland können daraus lernen: Dezentrale, lokale Entscheidungen über den Einsatz digitaler Tools machen im Bildungssektor zwar Sinn; aber bei einem so sensiblen und wichtigen Thema wie Bildung sind nationale Standards als Orientierungshilfe und Sicherheitsgarantie dennoch nötig.

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