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Analyse

Das Digitale-Versorgungs-Gesetz: Zu spät für die Corona-Krise

Im November wurde das Digitale-Versorgungs-Gesetz beschlossen. Viel zu spät, wie in der derzeitigen Corona-Krise deutlich wird.

Von Noëlle Bölling
4 Min.
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(Foto: Shutterstock)

Im November 2019 wurde im Bundestag das DVG, das Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation, beschlossen. Viel zu spät, wie sich jetzt herausstellt. Denn das Coronavirus, das derzeit weltweit auf dem Vormarsch ist, zeigt jetzt die Versäumnisse der letzten Jahre deutlich auf.

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Wie wichtig die Digitalisierung des Gesundheitssystems tatsächlich ist, wurde spätestens in dem Moment deutlich, als erste Arztpraxen für Corona-Verdachtsfälle geschlossen blieben. Fakt ist: Den persönlichen Kontakt zu anderen Menschen zu meiden, ist das einzig Sinnvolle, wenn der Verdacht einer Infektion besteht. Stattdessen wird geraten, telefonisch Kontakt zu Ärzten und Kliniken aufzunehmen. Doch die Behandlung von vermeintlich Infizierten könnte auch sehr viel effektiver gehandhabt werden. Digitale Alternativen gibt es schließlich inzwischen zuhauf.

Deutsche Gesetze bremsten Digital Health-Entwicklungen aus

„Viel zu lange war das Fernbehandlungsverbot in Deutschland wie in Stein gemeißelt“, kritisiert Daniel Zenz. Er ist Geschäftsführer von Smart-Q, einem Softwareunternehmen, das bereits seit 2010 digitale Tools für die Bereiche Medizin und Pflege entwickelt. „Die digitale Versorgung, die von der Politik endlich forciert wird, muss sich ihren Stellenwert noch mühsam behaupten. Eine digitale Revolution über Nacht kann man also nicht erwarten. Für Covid-19 kommt das DVG zu spät.“

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Das sieht auch Simeon Atkinson so, der bereits seit mehreren Jahren als PR-Berater im digitalen Gesundheitswesen tätig ist: „Dass Deutschland die Digitalisierung des Gesundheitswesens in der Vergangenheit verschlafen hat, wird kaum noch angezweifelt. Das zeigt ein Blick auf andere Länder, die hier schon viel weiter sind. Deshalb ist das DVG lange überfällig. Wer weiß, welche digitalen Gesundheitsanwendungen wir jetzt gegen Corona einsetzen könnten, wenn das Gesetz ein Jahr früher gekommen wäre.“

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Wie sehr die Bundesregierung bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems hinterherhinkt, zeigt der Digital-Health-Index der Bertelsmann-Stiftung. In dem Bericht, der im November 2018 erschien, wurde der Digitalisierungsstand von insgesamt 17 EU- und OECD-Ländern verglichen. Deutschland landete hier gerade einmal auf Platz 16 – und gehört damit zu den Schlusslichtern hinter Ländern wie Israel, Portugal oder Italien. Die obersten Ränge belegen Estland, Kanada und Dänemark.

Neben den vergleichsweise strengen Datenschutzregelungen mangele es Deutschland an übergeordneten Strategien und finanziellen Förderungen für E-Health-Projekte, hieß es im Digital-Health-Index damals. Das bestätigt auch Nicolas Stoetter. Er ist als Managing Director bei Minddoc tätig, einem Unternehmen, das Online-Therapien für Menschen mit Depressionen oder Essstörungen ermöglicht. „Bislang gab es nur die Möglichkeit, mit einzelnen Krankenkassen individuelle vertragliche Vereinbarungen zu schließen. Das scheiterte einerseits daran, dass es keine klare gesetzliche Grundlage für digitale Gesundheitsleistungen gab. Andererseits war dieser Weg angesichts der immer noch sehr fragmentierten Krankenkassenlandschaft bisher extrem mühsam“, berichtet er uns im Interview. „Das DVG bietet Anbietern digitaler Gesundheitslösungen jetzt erstmals einen planbaren und skalierbaren Pfad in die medizinische Regelversorgung in Deutschland. Damit besteht Hoffnung, dass Startups endlich tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln können.“

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Andere Länder dienen als Digital-Health-Vorbilder

In Estland, dem Spitzenreiter des Digital-Health-Index 2018, ist das, was in Deutschland durch das DVG erst jetzt eine gesetzliche Grundlage bekommen hat, schon lange Realität. Hier wurde die Digitalisierung des Gesundheitssystems bereits seit den 90er Jahren aktiv vorangetrieben. Anstelle einer öffentlichen Debatte wurden die notwendigen Schritte hier direkt identifiziert und strikt umgesetzt. Ergebnis dieser Vorgehensweise: E-Rezepte, die E-Patientenakte und Gesundheitsportale gehören in estnischen Praxen und Kliniken schon lange zum Alltag.

Um den Anschluss nicht langfristig zu verlieren, war die Verabschiedung des DVG Ende letzten Jahres der erste wichtige Schritt. Dank des neuen Gesetzes dürfen Ärzte ihren Patienten neben Medikamenten und Behandlungen jetzt auch Apps verschreiben – zum Beispiel bei Migräne oder Diabetes. Die Kosten dafür werden wie gewohnt von der Krankenkasse übernommen.

Auch die elektronische Patientenakte soll durch das DVG bald flächendeckend genutzt werden. Die Kosten hierfür werden nicht nur ebenfalls erstattet – Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser sind zu einer Anschließung an das digitale Gesundheitsnetz sogar verpflichtet. Jens Baas, Vorstandvorsitzender der Techniker Krankenkasse, weiß, welche Erleichterungen das in der Praxis bedeutet: „Hausärzte können durch das neue Gesetz zum Beispiel Spezialisten aus dem Krankenhaus per Videoübertragung zu Rate ziehen. Bisher war dafür eine aufwendige Überweisung notwendig. Das DVG ist also ein Gewinn für alle Beteiligten.“

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Deutsche müssen offener für neue Technologien werden

Aber: Nicht nur die Bundesregierung hat eine Einführung digitaler Gesundheitssysteme verschlafen. Auch deutsche Ärzte und Patienten standen der Telemedizin bisher eher skeptisch gegenüber. So gaben im Rahmen einer Statista-Umfrage aus dem Jahr 2019 nur neun Prozent der befragten Konsumenten an, telemedizinische Services wie die digitale Fernuntersuchung, -diagnose und -überwachung überhaupt nutzen zu wollen. Gerade diese Technologien sind es jedoch, die in der gegenwärtigen Corona-Krise so gefragt sind, denn sie können einen wichtigen Teil dazu beitragen, dass der Kontakt zu anderen Menschen im Rahmen der Behandlung vermieden werden kann.

Simeon Atkinson meint: „Wir dürfen nicht vergessen, dass es außerhalb des DVG schon viele Möglichkeiten zur digitalen Versorgung gibt, die in Deutschland einfach noch nicht flächendeckend verbreitet sind, wie zum Beispiel die in diesen Tagen häufig genannte Videosprechstunde. Deshalb hoffe ich sehr, dass wir in Deutschland auch etwas Positives aus der Corona-Krise ziehen können: Nämlich ein stärkeres Bewusstsein und eine größere Offenheit für Digital Health – bei Ärzten und bei Patienten.“

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