Digitalisierung im Mittelstand: So geht’s

(Foto: republica.com)
„Auf jeder Verbandstagung, auf jedem Kongress die gleiche Botschaft: ‚Macht Digitalisierung! Jetzt!‘ Und wenn man mal nachfragt, warum denn bitte, dann kommt da nichts.“ Frank Haberstock, Mitglied der Geschäftsleitung der Firma Perschmann, kann dieses ständige Digitalisierungsgerede nicht mehr hören. Dabei ist der Werkzeughändler aus Braunschweig, der zur Hoffmann Group gehört, schon mittendrin im Thema. Und das seit nunmehr vier Jahren. Ohne Appell. Ohne Hype. Einfach aus einer Nutzenargumentation heraus.
Digitalisierung kein Selbstzweck
Dass Unternehmen vom Hype um die Digitalisierung genervt sind, erlebt auch Roland J. Gördes, Geschäftsführer der hannoverschen Unternehmensberatung GRC Consulting (GRC). „Unsere mittelständischen Mandanten empfinden Digitalisierung schon fast als Schimpfwort.“ Dabei geht es gar nicht darum, sich auf irgendeine neue Sau zu setzen, nur weil die gerade durchs Dorf getrieben wird. „Wenn Digitalisierung ohne Bezug zum Unternehmen und zum Markt daherkommt, macht sie schlichtweg keinen Sinn“, ist Gördes überzeugt. Ein Unternehmen wird nicht allein dadurch erfolgreicher, dass es auf Teufel komm raus Prozesse digitalisiert: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß-digitalen Prozess“, hat es Thorsten Dirks von Telefonica Deutschland einmal auf den Punkt gebracht.
Tatsächlich ist ein Großteil der Unternehmen schon auf digitalen Pfaden unterwegs. „Unternehmen kommunizieren per Mail und präsentieren sich über eine Website. Sie betreiben ein ERP-System und dokumentieren ihre Prozesse in digitaler Form. Auch in der Wertschöpfung ist Digitalisierung schon längst angekommen. Zeichnungen beispielsweise gehen digital an Lieferanten und können dort direkt weiter verarbeitet werden“, beschreibt Gördes die Situation. „Die Ratlosigkeit der Unternehmer kommt daher, dass sie den Hype für sich nicht einordnen können“, ist der Mittelstandsexperte überzeugt.
Nicht „ja oder nein“, sondern „wie viel“
„Statt zu überlegen, ob sie sich mit Digitalisierung beschäftigen müssen, sollten Unternehmen sich vielmehr bewusst machen, wo sie gerade stehen“, rät Dr. Jan-Frederik Engelhardt, Digitalisierungsexperte bei GRC. „Wenn Unternehmen merken, dass vieles, was sie bisher ganz selbstverständlich tun, schon zur Digitalisierung gehört, dürfte sich schon gehörig Druck abbauen.“
Nach dem Bewusstwerden des Status Quo kommt der nächste Schritt: Klären, ob es noch mehr Digitalisierung braucht. Ein sehr bodenständiges, aber dennoch entscheidendes Motiv, um die Digitalisierung im Unternehmen voranzutreiben, ist laut Engelhardt schlichtes Aufräumen. „Bei vielen Mandanten liegen wahre Schätze im Unternehmen herum – Daten, die niemand nutzt oder clevere Einzellösungen, die bisher nicht miteinander abgestimmt sind“, weiß Engelhardt. „Wenn Unternehmen vorhandene Potenziale besser nutzen können, zahlt sich Digitalisierung unmittelbar aus.“
So richtig spannend wird es, wenn das Unternehmen die eigenen vier Wände verlässt und die Marktsicht einnimmt. „Vier Fragen geben eine gute Orientierung, um Chancen zu erkennen“, so Gördes:
- Wo möchte ich mich mit meinem Unternehmen hin entwickeln?
- Wo muss ich meinen Wettbewerbern hinterhereilen?
- Wo kann ich eigene Wettbewerbsvorteile ausspielen?
- Habe ich Produkte, die ich digitalisieren, mit denen ich vielleicht besser dastehen kann?
Mit diesen Fragen ist das Unternehmen mitten im Geschäftsmodell-Check. „Genau von dort müssen auch die Impulse kommen, etwas zu verändern. Digitalisierung ist niemals der Ausgangspunkt, sondern stets nur eine mögliche Antwort auf die Frage, wie das Unternehmen am Markt erfolgreicher agieren kann“, stellt Gördes die Reihenfolge richtig.
Digitalisierung zu machen, einfach nur, weil das gerade dran ist, weil alle davon reden, wird kein Verständnis in der Belegschaft hervorrufen. Und es wird auch keine zusätzlichen Punkte am Markt bringen. „Erst wenn der Kunde und sein Bedarf als Referenzgröße ins Spiel kommen, wird ein Schuh draus“, so Gördes. Er rät Unternehmen dazu, vor allem besonnen zu bleiben:
- Sei wachsam. Was bewegt sich in deinem Umfeld?
- Sei unaufgeregt.
- Mach zunächst eine Standortbestimmung.
- Nutze diese, um dich strategisch zu positionieren.
- Kläre dann die Frage: Muss ich in Sachen Digitalisierung fitter werden (beispielsweise durch gesetzliche Anforderungen oder durch veränderte Kundenbedarfe)?
Einmal zurücklehnen bitte
Um das Geschäftsmodell zu reflektieren, ist es wichtig, sich für einen Moment vom Tagesgeschäft zu lösen. Statt Abarbeiten steht jetzt Hinterfragen, Kreieren, Schlussfolgern auf der Agenda. „Genau diese Muße fällt vielen unserer Mandanten schwer“, stellt Berater Gördes fest. „Kunden anzurufen, Ware einzukaufen oder eine Maschine zu warten, lässt sich am Ende des Tages einfach leichter legitimieren. Dabei ist das Zurücklehnen erfolgsentscheidend, weil durch reines Abarbeiten wenig Neues entstehen kann“, weiß Gördes.
Frank Haberstock und die Firma Perschmann haben es genauso gemacht. Sogenannte Trendscouts fangen den Kundenbedarf ein. Ein Führungsteam reflektiert regelmäßig, wie sich der Bedarf entwickelt und spiegelt diesen am Geschäftsmodell. „Das hat dazu geführt, dass wir derzeit vor allem unser Transaktionsgeschäft konsequent digitalisieren. Im Wertschöpfungsgeschäft hingegen investieren wir verstärkt in menschliches Know-how und Kreativität“, erklärt Frank Haberstock. „Die Dienstleistung beim Kunden bekommt einen völlig neuen Stellenwert. Klar liefern wir auch noch Werkzeuge. Aber sie sind schlicht Mittel zum Zweck. Der Fokus liegt darauf, unsere Kunden besser zu machen. Denn nur so sichern wir letztlich auch unsere eigene Zukunft“, ist Haberstock überzeugt.
Mehr zum Thema: Business Model Canvas: Mit dieser Methode bringst du dein Geschäftsmodell in Form
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https://www.bilendo.de/lp/digitalisierung-von-unternehmen
„Jungs, wir müssen Digitalisierung machen.“ – Not sure, ob hier gleichzeitig auf die fehlenden Frauen in MINT Fächern und Vorständen angespielt wird, oder sich „Leute, wir müssen Digitalisierung machen.“ zu viel des Gutes wäre – und womöglich sogar den typischen T3N Leser abgeschreckt hätte…
Mädels, wir sollten uns über solche Unachtsamkeiten ruhig und besonnen beschweren. Aber wir sollten uns beschweren.
Käse zum whine?
https://insights.stackoverflow.com/survey/2016#developer-profile-gender
Erst dachte ich: Oh, ein Digitalisierungsartikel. Dann war schnell klar: Paid Content von GRC. Und die können scheinbar nur Reifegrad-/Statusbestimmung und homöopathisches Reden über Digitalisierung und raten daher von allem was konsequent ist ab. Und das Standardzitat aller Hobbydigitalisierer darf auch nicht fehlen. Macht die Augen auf! Viele freuen sich über solche Alibiartikel – andere handeln und gewinnen.
Es ist dennoch erschreckend zu sehen, wie viele Unternehmen (und teilweise ganze Branchen) sich auch noch im Jahre 2017 nicht mit den digitalen Themen auseinandersetzen. Knapp 30% aller deutschen Unternehmen haben noch nicht mal eine eigene Website… Hoffentlich findet hier ein Umdenken statt, ansonsten wird es künftig sehr viel mehr Insolvenzen geben.
Hallo.
interessanter Artikel. Hier noch ein weiterführender Beitrag: https://www.unternehmerich.de/Digitalisierung.html