Wann sind wir Digitalversteher überflüssig?
Der Einzug der Computer in Unternehmen und Behörden auf breiter Front liegt nun bereits rund 50 Jahre hinter uns. Der Durchbruch des Internets als Massenmedium in der westlichen Welt etwa 20 Jahre. Das iPhone ist mehr als zehn Jahre alt.
Und dennoch sprechen alle immer noch von den Herausforderungen der Digitalisierung. Muss die digitale Revolution nicht irgendwann einmal zum Ende kommen? Fakt ist: Wer heute 35 oder jünger ist, ist fast immer bereits mit Computern aufgewachsen. Wer noch jünger ist, kennt das Internet seit Kindheitstagen – und wer heute groß wird, wächst mit dem Smartphone auf und kann mit klassischen Computern oftmals schon gar nicht mehr viel anfangen.
Verliert der Begriff Digitalisierung seine Bedeutung?
Könnte es also sein, dass für die jetzt Jungen digitale Technologien und der Umgang mit Smartphones und Software eine solche Selbstverständlichkeit sind wie der Umgang mit Wasser und Strom heute? Und wird digitale Technologie damit so alltäglich, dass der Begriff der Digitalisierung an sich seine sinnvolle Bedeutung verliert?
Die Antwort darauf ist vermutlich ein klares Jein. Der Umgang mit Smartphones bei Jüngeren gehört sicher zu einer basalen Kulturtechnik, die wie Lesen und Schreiben fast jeder beherrscht und die vorausgesetzt werden kann.
Doch wenn es um mehr als den Umgang mit Whatsapp, Instagram und Facebook geht, wird es komplex. Wer weiß, wie er ein Selfie bei Instagram hochlädt, weiß noch nicht automatisch, welche Business-Intelligence-Lösung für ein bestimmtes Unternehmen am besten geeignet ist – ganz zu schweigen von heute gefragten Fähigkeiten von der Programmierung einer Software über Machine Learning und Big-Data-Analyse.
Das bedeutet aber auch: Mit der Fähigkeit, grundsätzlich zu wissen, wie Computer und Smartphone zu bedienen sind und wie das Internet funktioniert, kann heute in so manchen Unternehmen noch gepunktet werden. Das wird sich künftig ändern – dann sind Spezialisten gefragt.
Wenn es allerdings darum geht, die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen, reicht dafür weder das basale Wissen der Smartphone-Bedienung noch das Spezialwissen eines Datenwissenschaftlers.
Wer in Führungspositionen in Wirtschaft und Gesellschaft Entscheidungen treffen muss, ist gut beraten, die Dynamik der Digitalisierung zu verstehen. Dann geht es darum, die Bedeutung von Skaleneffekten, Netzwerkeffekten und anderen Rahmenbedingungen digitaler Wirtschaft zu kennen, die immer wieder zur Konsolidierung und Herausbildung großer marktbeherrschender Plattformen führen.
Dann geht es darum, zu verstehen, warum sich technologischer Fortschritt oftmals exponentiell entwickelt, während unser menschliches Denken nur linear funktioniert. Es geht um ein allgemeines Verständnis davon, wie Innovationen entstehen, wie sich technischer Fortschritt vollzieht und wie sich auch die Führungskultur im digitalen Zeitalter an die agilen Entwicklungszyklen der Abteilungen anpasst, in denen die Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden.
Digitale Expertise bleibt in Führungspositionen gefragt
Wenn es um Führungspositionen geht, sind durchaus noch immer Generalisten, Ingenieure, Betriebswirtschaftler, Psychologen, Sozial- und Geisteswissenschaftler mit Digitalexpertise gefragt.
Neben Experten werden diejenigen gebraucht, die ihr Fachgebiet nicht um die Fähigkeit ergänzen, Smartphone und PC bedienen zu können – das wird vorausgesetzt –, sondern die Dynamik einer Wirtschaft verstehen, die durch digitale Technologie geprägt und getrieben wird.
Um die eingangs gestellt Frage also zu beantworten: Digital-Experten werden wohl noch auf Jahrzehnte gebraucht werden. Sie zeichnen sich nur in Zukunft eben nicht mehr dadurch aus, dass sie Outlook einrichten können, sondern dass sie entweder Spezialwissen haben oder die wirtschaftliche Dynamik digitaler Ökonomie insgesamt verstehen.
Doch wird solches Wissen nicht auch binnen weniger Jahre Allgemeingut werden? Die Beobachtung, dass wir dazu neigen, die Auswirkungen einer Technologie kurzfristig zu überschätzen und langfristig zu unterschätzen, wird dem Zukunftsforscher Roy Amara zugeschrieben. Wann genau er das gesagt haben soll, ist nicht klar – doch Kollegen von ihm verorten die Aussage zwischen den 1960er und 70er Jahren.
Was er nicht erwähnt hat: Die Anpassungsfähigkeit des Menschen wird durch all den technischen Fortschritt kein Stück höher. Für Digital-Experten kann man daher wohl vorsichtig optimistisch sein: So schnell sich die Technologie auch wandelt – Experten, die ihren Mitmenschen diesen Wandel erklären und in der Lage sind, daraus Schlüsse zu ziehen, werden wohl noch lange gebraucht.
Naja, durch die Verbreitung von Privatautos wurden ja auch nicht KFZ-Mechaniker überflüssig, weil dadurch plötzlich jeder versteht, wie genau so ein Auto aufgebaut ist und funktioniert.
Mein Gefühl sagt mir sogar eher, dass die jüngeren die Technik dahinter weniger verstehen als früher, da die Bedienung so kinderleicht wurde, dass es selbstverständlich wird und man sich nicht wie früher noch mehr in die Thematik reinarbeiten muss.
Also ja, klar werden wir weiter gebraucht ;-) Höchstens vielleicht eine ausgereifte und gemeine KI wird uns irgendwann die Arbeit klauen.