Domainpfändung erklärt in 15 Fragen
Hintergründe zum Fall Nerdcore vs Euroweb findest du bei t3n.de übrigens in dem Artikel „Abmahnung – Nerdcore.de-Blogger verliert seine Domain“.
Inhaltsverzeichnis
- Was bedeutet „Domainpfändung“ überhaupt?
- Ist eine Domainpfändung erlaubt?
- Kann eine Abmahnung zu einer Domainpfändung führen?
- Was wird bei einer Domain gepfändet?
- Kann meine Domain gepfändet werden, obwohl ich sie für mein Blog/Unternehmen brauche?
- Kann eine Domain gepfändet werden, obwohl sie viel mehr wert ist als meine Schulden?
- Kann einer Domain gepfändet werden, obwohl sie Namen, Firma, Unternehmensnamen oder Marke entspricht?
- Kann ich mich vor der Pfändung durch eine Schutzübertragung der Domain retten?
- Wie kann eine gepfändete Domain verwertet werden?
- Wer bestimmt den Schätzwert einer Domain bei Übertragung „an Zahlung statt“?
- Kann man sich als Gläubiger durch die Angabe eines falschen Schätzwertes strafbar machen?
- Kann mich die Zahlung der Forderung des Gläubigers vor dem Verlust der Domain schützen?
- Welche Rolle spielt die DENIC bei der Pfändung einer Domain?
- Bin ich als Erwerber der gepfändeten Domain vor dem bisherigen Domaininhaber geschützt?
- Macht sich der Domainerwerber strafbar, wenn er die E-Mails an den alten Inhaber liest?
1. Frage: Was bedeutet „Domainpfändung“ überhaupt?
Eine Domainpfändung ist ein Teil des Vollstreckungsverfahrens und das letzte Warnzeichen an einen Schuldner, seine Verbindlichkeiten zu bezahlen. Der nächste Schritt ist die Verwertung der Domain, also deren Verlust. Ein typischer Fall der zum Verlust einer Domain führt:
- Ein Schuldner schuldet einem Gläubiger Geld, weigert sich aber zu zahlen.
- Der Gläubiger verklagt den Schuldner, gewinnt und erhält ein Urteil, in dem steht, dass der Schuldner zahlen muss.
- Der Schuldner will trotz Urteil immer noch nicht zahlen.
- Der Gläubiger beantragt beim Gericht, seine Geldforderung mithilfe der Domain zu erfüllen.
- Das Gericht ordnet zuerst die Pfändung der Domain an und verbietet damit dem Schuldner, über die Domain zu verfügen. Er darf die Domain zwar weiter nutzen, aber nicht auf andere Personen übertragen.
- Der Schuldner will trotz der Pfändung nicht zahlen.
- Der Gläubiger beantragt, die Domain zu verwerten.
- Das Gericht ordnet die Verwertung der Domain an. Die Domain wird nun zur Befriedigung des Gläubigers entweder versteigert, verkauft oder auf ihn übertragen.
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2. Frage: Ist eine Domainpfändung erlaubt?
Domains dürfen gepfändet werden. Das hat der Bundesgerichtshof, das oberste deutsche Zivilgericht, bereits im Jahr 2005 entschieden (BGH, Beschluss v. 05.07.2005, Az.: VII ZB 5/05).
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3. Frage: Kann eine Abmahnung zu einer Domainpfändung führen?
Ja, denn die Erstellung einer Abmahnung durch einen Rechtsanwalt kostet Geld. Der Empfänger einer (rechtmäßigen) Abmahnung muss diese Kosten dem Abmahnenden erstatten. Er schuldet damit dem Abmahnenden Geld. Wird er anschließend verurteilt, kommen noch die vom Gläubiger vorgestreckten Gerichtskosten dazu. Und wenn er diese Kosten dem Gläubiger nicht erstattet, kann dies – wie Frage 1 zeigt – in einer Domainpfändung enden.
Im Fall von Nerdcore.de hat René Walter auf eine Abmahnung nicht reagiert und auch die anschließende Gerichtsentscheidung nicht beachtet. Daher entschied sich Euroweb, die Erstattung der Kosten durch die Domainpfändung zu erreichen.
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4. Frage: Was wird bei einer Domain gepfändet?
Rechtlich gesehen wird nicht „die Domain“, sondern der Anspruch gegenüber der DENIC, die Domain einer bestimmten Server-IP-Adresse zuzuordnen („Konnektierung“), gepfändet. Denn die Domain ist für sich gesehen nur eine Abfolge von Zeichen. So ist die pure Zeichenfolge t3n.de wertlos. Diese Zeichen machen erst Sinn, wenn sie dem Server zugeordnet werden, auf dem sich die Inhalte des t3n Magazins befinden. Und diese Zuordnung nimmt die DENIC mit ihren „Primary Nameservern“ vor. Wer in seinen Browser t3n.de eingibt, wird dank dieser Zuordnung auf diese Seite hier geleitet.
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5. Frage: Kann meine Domain gepfändet werden, obwohl ich sie für mein Blog/Unternehmen brauche?
Dieser Frage ist unter Juristen noch nicht geklärt. Es gibt zwar ein Pfändungsverbot, aber dieses gilt nur für Arbeitsmittel, die für die persönliche Arbeitsleistung erforderlich sind, also Handwerkszeug darstellen wie z.B. das Notebook eines Journalisten oder das Taxi des Taxifahrers. Zudem schützt die Vorschrift nur natürliche Personen, also keine Handelsgesellschaften wie OHG, KG oder GmbH. Auch Kaufleute werden grundsätzlich aus dem Schutzbereich ausgenommen.
Damit bleiben nur Freiberufler und Gewerbetreibende ohne Kaufmannstatus über. Und in den bisherigen Fällen haben die Gerichte entschieden, dass eine Erforderlichkeit der Domain für persönlichen Erwerb entweder nicht überzeugend nachgewiesen wurde und eine neue Domain sowieso einfach und ohne großen finanziellen Aufwand beschafft werden kann. Dass dabei der SEO-Wert der Domain in Verknüpfung zu den Inhalten verloren geht, nahmen sie wohl als zwingende Folge in Kauf.
Im Fall Nerdcore.de wurde dieser Punkt nicht behandelt. Doch wenn der Domaininhaber selbst sagt, dass der Umzug auf die neue Domain zu keinen nennenswerten Leserverlusten führte, so spricht das für die Meinung der Gerichte.
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6. Frage: Kann eine Domain gepfändet werden, obwohl sie viel mehr wert ist als meine Schulden?
Grundsätzlich ja, da der Gläubiger sich aussuchen kann, welche Vermögenswerte er pfändet. Es steht dem Schuldner auch frei, andere Wertgegenstände zu veräußern und die Vollstreckung durch Zahlung der Forderung zu verhindern (s. Frage 12). Zudem erhält der bisherige Domaininhaber den Mehrwert der Domain, der die Gläubigerforderung übersteigt (aber s. Frage 11).
Im Fall Nerdcore.de begründete die Euroweb GmbH die Wahl der Domain als Pfändungsobjekt damit, dass sie sonst hätte prüfen müssen, ob Walter noch andere Vermögenswerte hat. Diese Überlegung war zwar moralisch bedenklich (was die Empörung der Netzgemeinschaft zeigte), aber rechtlich in Ordnung.
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7. Frage: Kann einer Domain gepfändet werden, obwohl sie Namen, Firma, Unternehmensnamen oder Marke entspricht?
Ja, wobei dieser Punkt umstritten ist.
Zwar sind Namen von Personen gar nicht pfändbar. So kann niemand dem Schuldner seinen Nachnamen wegnehmen. Auch Marken oder Unternehmensbezeichnungen sind nicht alleine pfändbar. Das bedeutet, man kann nur das gesamte Unternehmen oder die komplette Marke pfänden. Allerdings ist die Domain kein „Name“ des Unternehmens oder einer Person. Daher wird eine Domain lediglich mit einem Klingel- oder Ladenschild vergleichbar. Dieses darf man pfänden, weil das nicht die Namens- oder Geschäftsrechte berührt. Auch wenn Herr Schmidt sein Klingelschild verliert heißt er weiter Schmidt.
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8. Frage: Kann ich mich vor der Pfändung durch eine Schutzübertragung der Domain retten?
Das ist verboten und zwecklos. Mit dem Pfändungsbeschluss verbietet das Gericht jegliche Verfügung über die Domain. Da die DENIC über die Pfändung benachrichtigt wird, dürfte dies auch unmöglich sein. Aber auch wenn die DENIC einer Übertragung der Domain vom Schuldner auf einen Dritten zustimmen sollte, wird diese Übertragung unwirksam sein. Das bedeutet, die DENIC wird die Domain zurück übertragen.
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9. Frage: Wie kann eine gepfändete Domain verwertet werden?
Es gibt mehrere Wege, dabei sind in der Praxis die folgenden beiden relevant:
Zwangsversteigerung der Domain
Dabei wird die Domain typischerweise auf einem geeigneten Onlineplattform wie z.B. Sedo.de an den Meistbietenden versteigert. Den Erlös erhält der Gläubiger bis zur Höhe seiner Forderung. Ist der Erlös größer als seine Forderung, erhält der bisherige Domaininhaber den Mehrwert. Das ist der Regelfall, da der Gläubiger meistens an dem Geld und nicht an der Domain selbst interessiert ist. Zudem trägt hier der Schuldner das Risiko, wenn die Domain weniger wert ist als erwartet, weil sie zum Beispiel mit einem DISPUTE-Eintrag belegt ist.
Übertragung an den Gläubiger „an Zahlung statt“
In diesem Fall lässt sich der Gläubiger als neuer Domaininhaber eintragen. Seine Forderung gegenüber dem Schuldner erlischt dabei in Höhe des geschätzten Wertes der Domain. Ist der Schätzwert höher als seine Forderung, muss der Mehrbetrag an den Schuldner ausgezahlt werden. Der Nachteil dieser Methode ist, dass die Domain weniger Wert sein kann, als der Schätzwert (wenn sie zum Beispiel mit einem die Übertragung hinderndem DISPUTE-Eintrag belegt ist). Daher kommt so ein Fall nur vor, wenn der Gläubiger unbedingt die Domain selbst haben will. Entweder um sie selbst zu nutzen oder um den Schuldner zu ärgern.
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10. Frage: Wer bestimmt den Schätzwert einer Domain bei Übertragung „an Zahlung statt“?
Der Wert wird vom Gericht bestimmt. Hierzu greift das Gericht theoretisch auf Domainbewertungsverfahren zurück und bedient sich im Zweifel eines Sachverständigen. Praktisch gibt der Gläubiger einen Wert vor und der Schuldner kann entweder zustimmen oder Gegenargumente vorbringen.
Im Fall Nerdcore.de hat die Euroweb als Gläubigerin den Wert dieser Domain wohl mit 100 Euro angegeben. Das Gericht hörte René Walter als Schuldner nicht an, so dass ein Verfahrensfehler vorlag, den Walter geltend machte. Damit lag keine wirksame Übertragung der Domain vor.
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11. Frage: Kann man sich als Gläubiger durch die Angabe eines falschen Schätzwertes strafbar machen?
Ja, wenn man dem Gericht vorsätzlich einen falschen Schätzwert für die Domain in der Hoffnung angibt, dass er übernommen wird und man die Domain daher unter Wert erhält, wird ein strafbarer Prozessbetrug vorliegen.
Im Fall Nerdcore.de gaben die zuständigen Vertreter der Euroweb GmbH mit 100 Euro anscheinend einen viel zu niedrigen Schätzwert für die Domain ab. Wenn sie dabei vorsätzlich gehandelt haben, um die Domain weit unter Preis zu erhalten, beging sie einen versuchten Prozessbetrug.
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12. Frage: Kann mich die Zahlung der Forderung des Gläubigers vor dem Verlust der Domain schützen?
Ja! Geht der Betrag beim Gläubiger vor der Verwertung der Domain ein, hat dieser keinen Anspruch mehr darauf, die Verwertung durchzuführen.
Im Fall Nerdcore.de ist die Zahlung zunächst nach dem ersten Verwertungsversuch eingegangen. Da dieser jedoch unwirksam wurde, konnte wegen der Zahlung kein zweiter unternommen worden und René Walter konnte seine Domain behalten. Es war quasi eine Rettung in letzter Sekunde.
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13. Frage: Welche Rolle spielt die DENIC bei der Pfändung einer Domain?
Die DENIC wird als so genannte Drittschuldnerin bezeichnet. Das heißt, sie schuldete ursprünglich dem bisherigen Domaininhaber die Konnektierung der Domain auf eine von ihm angegebene Server-IP-Adresse (s. Frage 4). Nach der Übertragung der Domain schuldet sie dies dem neuen Inhaber. Das bedeutet, aus ihrer Sicht ist eine zwangsvollstreckte Domain nicht viel anders als eine reguläre Domainübertragung.
Im Fall Nerdcore.de hat die DENIC die Übertragung der Domain auf die Euroweb GmbH rückgängig gemacht, nachdem sie die rechtlichen Fehler in der gerichtlichen Entscheidung gesehen hatte. Damit hat sie sich selbst in Gefahr begeben, denn wäre die Übertragung doch wirksam gewesen und wäre Euroweb aufgrund der Weigerung ein Schaden entstanden, hätte die DENIC diesen ersetzen müssen.
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14. Frage: Bin ich als Erwerber der gepfändeten Domain vor dem bisherigen Domaininhaber geschützt?
Wer eine gepfändete Domain erwirbt muss selbst zusehen, dass niemand ein besseres Recht als er hat. Hier gelten dieselben Grundsätze wie bei der Registrierung von Domains. Man darf mit der Domainnutzung kein Namens- oder Markenrecht verletzen. Angenommen der Autohersteller Daimler erwirbt im Zwangsversteigerungsverfahren die Domain vw.de von Volkswagen. Er wird die Domain trotzdem nicht nutzen können, da Volkswagen weiterhin Inhaber der Marke VW ist und Daimler die Nutzung der gleichlautenden Domain untersagen kann. Daher sollte man vor der Ersteigerung einer Domain prüfen, ob man sie nutzen darf! Denn sonst kann es passieren, dass der Gläubiger sein Geld hat, der Schuldner seine Domain wieder und man als Erwerber der einzige Leidtragende ist.
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15. Frage: Macht sich der Domainerwerber strafbar, wenn er die E-Mails an den alten Inhaber liest?
Nein, §§ 202 und 202a Strafgesetzbuch umfassen entweder nur Schriftstücke oder verschlüsselte E-Mails. Ferner ist der neue Inhaber der Domain befugt, E-Mails unter dieser Adresse zu empfangen. Zudem wird das praktisch kaum nachprüfbar sein. Allerdings wird der neue Inhaber verpflichtet sein, die E-Mail zumindest über einen gewissen Zeitraum an den alten Inhaber weiter zu leiten und über Informationen, die er in Erfahrung bringt, Stillschweigen zu wahren.
Fazit
Domains können gepfändet werden, aber sie sind in der Praxis selten die erste Wahl. Dieser Beitrag zeigt warum. Die Rechtslage ist noch nicht sicher und der Wert der Domain nicht einfach feststellbar. Daher werden viel lieber Gegenstände oder Geldforderungen gepfändet. Im Fall Nercore.de liegt der Verdacht einer nicht wirtschaftlich sondern persönlich motivierten Pfändung der Domain nahe. Daher dürfte es ein Ausnahmefall bleiben, vor allem nach der beispiellosen Empörung, die der Euroweb GmbH entgegen gekommen ist.
Über die Autoren
Die Rechtsanwälte Thomas Schwenke, Dipl.FinWirt(FH), LL.M. (Auckland) und Sebastian Dramburg, LL.M. (Auckland) sind Partner der Kanzlei Schwenke & Dramburg in Berlin und beraten Unternehmen in Rechtsfragen beim Marketing, Webauftritten, Social Media und App-Development sowie bieten Workshops und Vorträge zu diesen Themen an.
ist die selbst ausgedachte Domain eines Blogs nicht eigentlich ein Werktitel und müsste sie nicht durch das Urheberrecht geschützt sein?
@shelog: Urheberrechtlich nicht, aber markenrechtlich könnte das problematisch sein, wenn der Werktitel die Domain selbst ist. Im Zweifel könnte aber der Werktitel gepfändet werden.
Als Nicht-Juristin kann ich das nicht verstehen. Also wenn Goethe heute lebte und arm wäre und hätte Mietschulden, könnte der Vermieter den Werktitel „Faust“ pfänden und an einen Boxer verkaufen? Und Goethe müsste das Werk dann umbenennen?
Ein sehr gut lesbarer und inhaltlich m.E. auch für Nicht-Juristen verständlich geschriebener Beitrag, der eine Menge Facetten des umstrittenen Themas beleuchtet.
Zur Frage „Pfändungsschutz“ bestimmter Berufsträger (und z.B. auch Blogger) nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO oder ergänzend „Vollstreckungsschutz“ nach § 765a ZPO (unter Einbeziehung verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte insbesondere im Hinblick auf die Kommunikations- und Informations-Grundrechte) bin ich, sehr verehrter Kollege, allerdings etwas anderer Meinung – entsprechend meinem Blog-Beitrag vom 22.01.2011.
In jedem Fall allerdings Kompliment für die erhellende und erfrischende Aufbereitung eines zunächst drögen Themas.
@shelog: In dem Fall würde eher den Tantiemanspruch gepfändet werden :). Ich müsste jetzt genau nachgucken, aber ich denke man könnte im solchen Fall mit der Kunstfreiheit gegen die Pfändung argumentieren. Was mich zu
@Ralf Petring bringt. Sehr gute Ideen, kann ich nur zustimmen. Ich zeigte hier den „sicheren“ Weg, aber Ihre Gedanken teile ich voll und ganz. Mit § 756a ZPO steht auch ein flexibles Hilfsmittel zur Verfügung.