KI statt Kanzler? Drei Zukunftsszenarien für künstliche Intelligenz in der Politik

Von Kriegen über wirtschaftlichen Unsicherheiten bis zum Klimawandel scheint es, als könnten menschliche Politiker:innen den zahlreichen Krisen kaum gerecht werden. Wäre es also vielleicht eine bessere Alternative, künstlicher Intelligenz diese Aufgabe zu überlassen?
Während diese Idee für viele futuristisch klingt, zeigen Umfragen ein erstaunlich hohes Interesse an KI-gestützter Politik. Im Rahmen einer Studie der IE University wurden 2021 insgesamt 2.769 Personen aus elf Ländern dazu befragt, ob sie es befürworten würden, wenn nationale Parlamentssitze durch KI ersetzt würden. Das Ergebnis: In Europa sprachen sich 51 Prozent der Befragten dafür aus, in den USA 60 Prozent. Die größte Zustimmung kam aus China, wo 75 Prozent diese Option befürworteten.
Der Philosoph Ted Lechterman von der IE University hat in einem Beitrag für das akademische Magazin The Conversation drei mögliche Szenarien entworfen, wie KI künftig in der Politik eingesetzt werden könnte.
Szenario 1: Chatbots als Politiker:innen
Schon vor der Einführung von ChatGPT gab es Experimente mit KI in politischen Ämtern. 2017 trat in Russland ein Chatbot namens Alisa gegen Wladimir Putin an, in Neuseeland kandidierte der Chatbot Sam im selben Jahr für das Parlament. Und auch in Dänemark und Japan wurden KI-basierte politische Initiativen getestet.
Chatbots hätten theoretisch einige Vorteile: Sie sind nicht korrupt, benötigen keine Ruhepausen und könnten rund um die Uhr auf Anfragen von Bürger:innen reagieren. Zudem verfügen sie über enorme Rechenkapazitäten, um komplexe Sachverhalte zu analysieren. Allerdings haben heutige KI-Modelle entscheidende Schwächen: Sie neigen zu Halluzinationen und sind anfällig für Cyberangriffe. Außerdem spiegeln sie die Vorurteile ihrer Trainingsdaten wider.
Ein weiterer kritischer Punkt: Politische Institutionen sind auf menschliche Eigenschaften wie Empathie und moralisches Urteilsvermögen angewiesen – Fähigkeiten, die Chatbots bisher nicht besitzen. Ohne technologische Durchbrüche bleibt die Idee von KI-Politiker:innen also vorerst eine Utopie.
Szenario 2: KI-gestützte direkte Demokratie
Ein radikalerer Ansatz wäre die vollständige Abschaffung von Politiker:innen zugunsten einer KI-gestützten direkten Demokratie. Der Physiker César Hidalgo schlägt vor, dass Bürger:innen ihre politischen Präferenzen in persönliche KI-Agenten einspeisen, die dann eigenständig verhandeln und Gesetze entwerfen. Auf diese Weise könnten Bürger:innen direkter in politische Prozesse eingebunden werden, ohne dass sie selbst Zeit und Fachwissen investieren müssten.
Dieser Ansatz könnte theoretisch das Vertrauen in die Demokratie stärken und die Wahlbeteiligung erhöhen. Doch die Verantwortung würde bei den Entwickler:innen der Algorithmen liegen, die den politischen Prozess steuern. Zudem bleibt fraglich, ob Bürger:innen die komplexen Systeme ausreichend verstehen können, um gut informierte Entscheidungen zu treffen.
Szenario 3: Algocracy – Politik ohne Menschen
Das radikalste Szenario ist die vollständige Automatisierung der Politik durch Algorithmen. In einer sogenannten Algocracy würden KI-Systeme politische Entscheidungen ohne menschliches Zutun treffen. Die Logik dahinter: Wenn KI eines Tages bessere Entscheidungen trifft als Menschen, wäre menschlicher Input überflüssig.
Doch selbst wenn diese Technologie irgendwann Realität würde, blieben fundamentale Fragen offen: Was passiert mit der Autonomie der Bürger:innen? Welche Rolle spielen Verantwortung und Transparenz, wenn Maschinen regieren? Das mag nach einer dystopischen Vorstellung klingen, laut Lechterman zwingt uns die Vorstellung einer Algocracy aber dazu, über die grundlegenden Werte der Demokratie nachzudenken.
KI könnte zukünftig eine größere Rolle spielen
Angesichts der aktuellen Grenzen der Technologie erscheint es wenig sinnvoll, menschliche Politiker:innen vollständig durch KI zu ersetzen. Sie könnte aber künftig unterstützen, indem sie politische Prozesse nachvollziehbarer macht und komplexe Informationen besser aufbereitet. Damit KI die Demokratie stärkt und nicht gefährdet, braucht es jedoch klare ethische Richtlinien und Transparenz.