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MIT Technology Review Feature

Dürre in Deutschland: Stadt, Land – kein Fluss mehr!

Manch einer sehnt sich derzeit nach sommerlichen Temperaturen, doch der Blick nach Berlin und Brandenburg im vorherigen Sommer zeigt’s: Auch hierzulande muss man sich plötzlich Sorgen machen, ob noch genug Wasser zum Duschen, Ackern, Autobauen da ist.

Von MIT Technology Review Online
14 Min.
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Der Heubach hat sich verflüchtigt. Über Jahrtausende hinweg plätscherte er über die Barnimer Hochfläche im Nordosten Berlins bergab in Richtung Müggelsee; zog Siedler an, die sich niederließen, wo immer sein Wasser Leben spendete – Menschen, Tiere, Pflanzen, alle tranken aus dem gut 34 Kilometer langen Flüsschen, das die Slawen „senca“ (Heubach) nannten und die Deutschen Senitz, ehe es seinen heutigen Namen Fredersdorfer Mühlenfließ bekam.

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Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 3/2023 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr die TR 3/2023 bestellen.

„Dies ist ein besonders steiles Stück, hier war historisch die Mühle“, sagt Martin Pusch. „Bisher ist hier zumindest im Winterhalbjahr immer Wasser geflossen.“ Nun schaut der 63-Jährige von der Brücke, die in Schöneiche bei Berlin über den einstigen Bach führt, hinab in eine vertrocknete Senke. Laub, Sand, Steine, hier und da ein wenig Gras – aber nicht einmal ein Rinnsal ist geblieben vom Mühlenfließ. Nur Findlinge, die sich durch die Landschaft ziehen, zeigen an, wo das Wasser früher so stürmisch bergab floss, dass es gebremst werden musste.

Jahr für Jahr plätscherte hier im Winter verlässlich das Fredersdorfer Mühlenfließ in Richtung Müggelsee. Nun braucht es mehrere Tage Schnee und Regen, damit sich zumindest wieder ein Rinnsal bildet. (Bild: Karsten Lemm)

Ein Drama ist das, ein klarer Warnruf der Natur – zumindest für den Experten. „Dass ein Bach austrocknet, ein größeres Alarmsignal gibt es ja gar nicht“, sagt Pusch, der am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im wenige Kilometer entfernten Friedrichshagen eine Forschungsgruppe zu Ökologie und Management von Fließgewässern leitet. „Einer der besten Indikatoren für den Wasserhaushalt ist die Wasserführung der Fließgewässer“, erklärt er. „Weil das der Überschuss ist, der aus der Landschaft herausfließt.“

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Hat der Haushalt ein Defizit, sinken die Pegel. Wird es nicht ausgeglichen, versiegen die Flüsse. Als Pusch 1993 nach Schöneiche zog, lieferte der Heubach noch genug Wasser für ein Freibad und eine Teichlandschaft, auf der Kanufahrten angeboten wurden. Heute ist davon kaum mehr etwas übrig. Das Wasser, einst im Überfluss vorhanden, macht sich rar.

(Bild: Helmholtz Klima Initiative)

Die Suche nach den Ursachen führt zum üblichen Verdächtigen, dem Klimawandel – zeigt aber auch, wie wachsende Städte, Industrie-Ansiedlungen und Verschwendung ein Problem verschärfen, das überall in Deutschland droht; auch wenn es in Berlin und Brandenburg schon jetzt besonders deutlich sichtbar wird.

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Schaut man auf Statistiken, die festhalten, was an Niederschlag vom Himmel kommt, scheint die Lage auf den ersten Blick stabil. Im Jahresmittel fallen auf Deutschland etwa 790 Liter pro Quadratmeter an Regen, Schnee, Graupel, Griesel oder Hagel herab. Das ist etwa halb so viel wie in der Schweiz und fast dreimal so viel wie im Sudan.

Regional verteilen die Mengen sich sehr unterschiedlich. Am nassesten ist es üblicherweise am Alpenrand und im Schwarzwald, am trockensten im Nordosten. „Niederschlagsmengen und deren räumliche Verteilung haben sich im aktuellsten 30-jährigen Zeitraum kaum verändert“, stellt der Deutsche Wetterdienst in seinem Nationalen Klimareport fest.

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Warum trocknen dann Bäche aus, verdorren Wälder, verschwinden Seen, muss in Hitzesommern wie 2022 die Schifffahrt auf dem Rhein eingeschränkt werden?

„Der Niederschlag hat sich nicht groß geändert, aber die Verdunstung nimmt stark zu“, erklärt Fred Hattermann, Hydrologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Hitzesommer häufen sich, und mehr Hitze bedeutet, dass Pflanzen und Böden, aber auch Flüsse und Seen mehr Feuchtigkeit an die Luft abgeben. „Diesen Klima-Effekt gibt es seit den 1990er-Jahren“, sagt Hattermann. „Die Verdunstung ist um 10 bis 15 Prozent gestiegen.“

Die zehn wärmsten Jahre, die Meteorologen in Deutschland seit 1881 gemessen haben, fallen alle in den Zeitraum von 2000 bis 2022. Das Jahr 2022 war auch gleich noch das sonnigste seit Messbeginn; zugleich fiel etwa 15 Prozent weniger Regen.

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Dazu kommt, dass die Natur immer weniger Zeit hat, sich zu erholen, weil Herbst und Frühling näher aneinanderrücken. „Unsere Reservoire füllen sich im Winter – und die Winter werden kürzer“, erklärt Hattermann.

Im langjährigen Mittel sind gut drei Wochen verloren gegangen: Zwischen dem Blattfall der Stiel-Eiche im November und dem Beginn der Hasel-Blüte im Vorfrühling lagen üblicherweise 120 Tage, so weisen es Aufzeichnungen für den Zeitraum von 1961 bis 1990 aus. Heute dauert ein typischer Winter nur noch 95 Tage; und der Jahr 2022 war mit 77 Tagen besonders kurz. Er verlief so mild, dass die Natur schon Ende Januar in den Vorfrühling startete.

Selbst Schnee und Regen helfen nur bedingt: Trockene Böden brauchen lange Kälteperioden, in denen wenig Feuchtigkeit verdunstet, um sich zu regenerieren. Kommt die Wärme mit dem Frühling zu früh zurück, droht die nächste Dürre. „Die Grundwasserspiegel fallen seit Jahrzehnten“, sagt Hattermann. „Wir müssten jahrelang überdurchschnittlich viel Regen haben, um zu den alten Pegelständen zurückzukommen.“

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Wie durstig die Böden in vielen Teilen Deutschlands weiterhin sind, zeigt der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Noch Ende Februar war die Karte tiefrot gefärbt – ein Zeichen für „extreme Dürre“ oder „außergewöhnliche Dürre“ im Gesamtboden, dessen Feuchtigkeit bis in eine Tiefe von 1,80 Metern gemessen wird. So weit reichen die Wurzeln vieler Bäume.

So trocken waren deutsche Böden am 19. Februar 2023 laut Dürremonitor Deutschland. Besonders um Berlin – im dunkelroten Bereich – herrscht extreme Trockenheit. Je dunkler die Färbung, desto trockener ist der Gesamtboden, in gelben Zonen ist es bereits ungewöhnlich wasserarm. (Bild: UFZ-Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung)

Für die Landwirtschaft ist vor allem der Oberboden wichtig – die ersten 25 Zentimeter. Da sah es im Februar noch besser aus, aber das will nicht viel heißen. „Bodenfeuchte hat einen Jahresgang“, erklärt Andreas Marx, der den Dürremonitor betreut. „Der oberste halbe Meter ist im Winter immer nass, im Sommer immer trocken.“

Ob eine Dürre droht oder nicht, entscheidet sich an der Bodenfeuchtigkeit im Vergleich zum langjährigen Mittel – und da bietet sich in weiten Teilen Deutschlands ein klares Bild. „Die Böden sind wesentlich trockener, als sie es normalerweise wären“, sagt Marx. „Wir sehen eine Trockenheit, wie wir sie normalerweise nur alle 50 Jahre erwarten würden.“

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Los ging es mit dem Dauersommer-Jahr 2018, das einen Rekord nach dem anderen aufstellte: mehr Sonne als gewöhnlich, mehr Hitze, kaum Wolken, kaum Regen. Ein Traum für alle, die Mallorca in Münster und Mannheim suchten; ein Albtraum für Landwirte, die Missernten und Ertragseinbußen von bis zu 70 Prozent beklagten. „Im April 2018 hatten wir die ersten Tage mit Temperaturen von mehr als 30 Grad“, erinnert sich Marx. „Die Böden sind außergewöhnlich schnell ausgetrocknet, und die Hitze hat lange angehalten. 2019 ist dann noch ein Hitzejahr hinterhergekommen.“

Schnell zogen viele daraus einen Schluss, der den Umweltforscher ärgert: dass Deutschland sich an trockene Jahre gewöhnen müsse, dass Dürre „der neue Normalzustand“ sei. „Dafür gibt es wissenschaftlich keine Anhaltspunkte“, betont Marx. Denn Modellrechnungen sagen für die Republik tendenziell eher mehr Niederschlag voraus – nicht weniger. Die aktuelle Dürre ist für Marx deshalb „ein massiver Ausreißer“. Ein Extrem also, kein Dauerzustand. Es muss nur mal wieder genug regnen und schneien, so wie 2021, als der Westen und Süden einen nassen Winter bekamen und die Böden sich erholen konnten. „Da hat man schön gesehen, wie es sich ausgleicht“, sagt Marx.

In Berlin und Brandenburg dagegen hat sich die Dürre festgesetzt, zehrt seit 2018 ohne Unterlass eine Region aus, die immer schon mit Trockenheit zu kämpfen hatte – weil sie in einer Übergangszone vom atlantischen zum Kontinentalklima liegt und weil Sandböden, die für Brandenburg typisch sind, schneller Feuchtigkeit verlieren als ertragreiche Lösslandschaften oder Talauen entlang großer Flüsse. Dazu kommen Monokulturen aus Nadelwald, die alles noch schlimmer machen, da Fichten und Kiefern als immergrüne Bäume auch im Winter durstig bleiben und ständig Feuchtigkeit an die Luft abgeben.

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Auch 2003 war ein Sommer der Hitzerekorde. Da stellte Martin Pusch zum ersten Mal fest, dass die Spree nicht mehr verlässlich durch Berlin nach Westen floss, wo sie in die Havel mündet – sondern zurück nach Osten, in den Müggelsee. „Das war damals unvorstellbar“, erinnert sich der IGB-Forscher. „Inzwischen ist es in heißen Sommern zur Regel geworden. Das liegt daran, dass von Osten zu wenig Spreewasser in den See hineinfließt und rings um den See sehr viel Trinkwasser abgepumpt wird.“

Puschs Büro liegt nur wenige Hundert Meter vom Seeufer entfernt. Wer den Wissenschaftler besucht, erlebt eine Idylle: Wasser, so weit das Auge reicht; Enten, die durch den See gleiten; am Ufer Schilf, Bäume, Sträucher – ein Paradies für Städter, die Erholung in der Natur suchen und sie direkt vor der Haustür finden.

Dem Ökologen zeigt sich ein anderes Bild: Pusch sieht zu wenige Pflanzen, im Sommer zu viele Blaualgen und allgemein zu wenig Auf und Ab im Wasserstand, weil der 7,3 Quadratkilometer große See aufgestaut ist, um der Stadt als gigantischer Speicher für gut 36 Millionen Kubikmeter Süßwasser zu dienen. „Es sieht aus wie eine Idylle“, sagt Pusch. „Aber nur, solange man nichts weiß über das System.“

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Nun gerät dieses ohnehin gestörte System zusätzlich unter Stress. Fast vier Millionen Einwohner zählt Berlin inzwischen, etwa 500.000 mehr als 2013. Dazu kommen noch einmal 1,1 Millionen Menschen im Umland der Hauptstadt. Alle verlangen nach Wasser: für die Dusche und die Spülmaschine, aber auch für neue Büros, Schulen und Fabriken. Ausgerechnet in einer Region, die in Dürrejahren gerade noch 400 bis 450 Liter Niederschlag pro Quadratmeter erhält.

„Wir sind an der Grenze der Nutzbarkeit der Wasserressourcen“, sagt Pusch. Nutzbar sei eben nur der Überschuss – und der werde durch den Klimawandel, die kürzeren Winter, die höhere Verdunstung im Sommer immer geringer. „So kann man auch erklären, dass eine relativ kleine Verschiebung der Wasserbilanz schon große Auswirkungen hat auf die Verfügbarkeit des Wassers.“

Als wäre das nicht genug, zahlt die Spree nun auch noch die Zeche für das Ende des Braunkohleabbaus in der Lausitz: Über Jahrzehnte wurde Wasser aus den Gruben in die Spree gepumpt. Seit 2007 hilft der Fluss, die Gruben zu fluten. So entsteht rings um Cottbus eine künstliche Seenlandschaft, eine neue Touristenattraktion für die strukturschwache Region.

„Jetzt haben wir diese Seen, wo vorher Landoberfläche war“, sagt Pusch. „Und Seen verdunsten noch mehr Wasser als Landoberfläche, sodass die Spree also dauerhaft weniger Wasser hat.“ Gäbe es eine Alternative? Nein, sagt Pusch. Überließe man die Natur sich selbst, würden die Gruben sich mit saurem Grundwasser füllen. „Es wäre kein Leben darin, und man könnte auch nicht darin baden“, erklärt der Forscher. „Wenn man einmal die Büchse der Pandora öffnet, gibt es keinen einfachen Weg zurück.“

Die Sorgen um die Spree sind eine Besonderheit Berlins – doch sonst ist die Hauptstadt kein Einzelfall. Das Wachstum der Großstädte, die sich in Pendler-Distanz ins Umland ausbreiten, führt in vielen Regionen zu Verteilungskonflikten ums Wasser. Hamburg etwa versorgt sich vorwiegend aus der Lüneburger Heide – wo zusätzlich der Coca-Cola-Konzern aus zwei Quellen Mineralwasser schöpft. Im Rhein-Main-Gebiet warnen Umweltschutzverbände seit Jahren davor, dass fallende Grundwasserspiegel Tausende Hektar an Wald verdorren lassen.

„Die heute noch gesicherte selbstverständliche Verfügbarkeit von Wasser zu jeder Zeit an jedem Ort ist perspektivisch auch bei uns durch die Klimakrise infrage gestellt“, notiert die Bundesregierung nüchtern im Entwurf ihrer Nationalen Wasserstrategie. „Nutzungskonflikte können entstehen oder verstärken sich.“

In Grünheide, zwölf Kilometer östlich von Berlins Stadtgrenze, hat sich der Streit ums Wasser längst so weit verstärkt, dass er durch die ganze Republik schallt. Es klang nach einem Triumph, dass es der Landesregierung gelungen war, Tesla nach Brandenburg zu locken: Eine Gigafactory für die Produktion von 500.000 Elektroautos im Jahr, 12.000 neue Arbeitsplätze und die Aussicht auf weitere Unternehmen, die sich im Umfeld ansiedeln könnten – eigentlich ein Segen für die wirtschaftlich unterentwickelte Region.

Wenn es nur genug Wasser gäbe, um die Fabrik mit den 160.000 Litern zu versorgen, die sie jede Stunde verlangt – im Jahr so viel wie eine Stadt mit 31.000 Einwohnern. Und wenn die Gigafactory nicht ausgerechnet in einem Trinkwasserschutzgebiet stünde, direkt über einem der wichtigsten Reservoire der Hauptstadtregion. „Es wäre für die regionale Wasserversorgung katastrophal, wenn auf dem Tesla-Gelände Schadstoffe ins Grundwasser gelangen würden und dieser Grundwasserkörper nicht mehr nutzbar wäre“, sorgt sich IGB-Forscher Pusch.

Der örtliche Wasserversorger WSE fühlt sich durch die Ansiedlung der Gigafabrik überrumpelt. Schon lange habe man erkannt, „dass wir auf einen Mangel hinsteuern“, erklärt Sandra Ponesky, Sprecherin des Verbands. Spätestens 2050 würden auch andere Versorger im Berliner Umland an ihre Grenzen stoßen. „Wir sind durch Tesla 20 Jahre in die Zukunft katapultiert worden“, sagt Ponesky. „Für uns als sehr langfristig planendes Unternehmen der Daseinsvorsorge ist das quasi über Nacht passiert.“

Schon jetzt sieht sich der WSE am Limit, hat verfügt, dass Neukunden nur noch 105 Liter Wasser pro Person und Tag verbrauchen dürfen, meldet auch bei der Ansiedlung von Betrieben oder dem Bau weiterer Schulen und Kitas Bedenken an. „Wir müssen Entwicklungen ausbremsen, weil wir die Reserven nicht haben“, argumentiert Ponesky. „Das wollen wir nicht und niemand ist begeistert.“

Ein Mangel an Daten verschärft die Misere noch. Ob im Boden womöglich ungenutzte Grundwasserreserven schlummern, kann der WSE nicht sagen – das herauszufinden sei Aufgabe der Landesbehörden. Auch die Wirtschaft wünscht sich genauere Erkenntnisse. „Die Angaben sind sehr unterschiedlich“, klagt Robert Radzimanowski, Fachbereichsleiter Regionalpolitik bei der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg. „Die letzten grundlegenden Untersuchungen gehen zurück in die DDR-Zeit.“

Solche Wissenslücken sind weit verbreitet. Zwar gibt es in Deutschland viele Tausend Messstellen, die Pegelstände von Seen und Flüssen oder die Beschaffenheit des Grundwassers ermitteln – doch die Erkenntnisse verteilen sich auf diverse lokale Wasserverbände, Forschungsinstitute, Bundes- und Landesagenturen. „Für den Wasserhaushalt ist es wichtig, dass Daten vorliegen“, sagt UFZ-Forscher Andreas Marx. Wie viel Wasser wird in welchen Sektoren verbraucht? Wer betreibt eigene Brunnen? Welche Mengen werden entnommen? Niemand habe derzeit einen Überblick, klagt Marx. „Es gibt kein Monitoring-System.“

Vielleicht auch deshalb, weil lange Zeit niemand das Bedürfnis hatte, sich solche Einblicke zu verschaffen. Die Gefahr, auf dem Trockenen zu sitzen, schien das Problem ferner Länder zu sein. 2018 sei ein Weckruf gewesen, sagt Marx. „Seit 2018 ist der Umgang mit Wasser zum Thema geworden. Zum ersten Mal haben wir Mangel erlebt. Das führt dazu, dass man sich anpasst.“

Weniger verbrauchen und möglichst nichts mehr verschwenden: Das sind die wohl wichtigsten Leitgedanken bei der Anpassung.

Verschwendung beginnt beim Offensichtlichen: der Nutzung von Trinkwasser für die Toilettenspülung, für Industrieprozesse, für alles, was sich theoretisch auch mit gesäubertem Brauchwasser erledigen ließe. Verschwendung wird aber auch bei jedem Wolkenbruch zum Thema. Wassermassen, die Innenstädte überschwemmen, richten nicht nur hohe Schäden an – sie fehlen auch, wenn bald darauf die nächste Hitzewelle folgt. Denn der Trend geht zum Extrem, auch wenn sich die Niederschlagsmengen im Durchschnitt nicht nennenswert verändern mögen: Mal regnet es eher zu viel, mal zu wenig.

Deshalb überlegen vorausschauende Städte, wie sie Betonwüsten in blühende Landschaften verwandeln können. Viel Grün auf Dächern, an Häuserwänden und Gehwegen; Parks, die Parkplätze ersetzen; Sickerflächen am Straßenrand: So sollen auch dicht besiedelte Metropolen die Chance bekommen, überschüssiges Wasser aufzunehmen und für später zu speichern.

In Amsterdam und Kopenhagen haben sich solche Schwammstadt-Konzepte schon bewährt. Nun ziehen deutsche Städte nach. Berlin gilt dabei als Vorreiter, auch aus der Not geboren: In der Innenstadt fließen Abwässer aus Haushalten und Betrieben gemeinsam mit Regenwasser durch die Kanalisation. Läuft das System bei Starkregen über, verschmutzt die Brühe natürliche Gewässer mit Chemikalien, Mikroplastikabrieb von Autoreifen und anderen Rückständen, die eigentlich in der Kläranlage landen sollten.

Agrarwissenschaftler Thomas Gäbert setzt auf Vielfalt. Im Winter werden die Felder mit Zwischenfrüchten bepflanzt, um den Boden mit Humus anzureichern. Blühstreifen schützen vor Erosion, ehemalige Entwässerungsgräben dienen jetzt als Wasserspeicher. All das, damit die Pflanzen eine Chance bekommen, Dürrephasen länger zu überleben. (Bild: Karsten Lemm)

So investiert die Stadt nun 150 Millionen Euro in den Bau unterirdischer Speicherbecken und verschärft die Umweltauflagen für Immobilienfirmen. „Wer neu baut, darf Regenwasser nicht in den Kanal geben“, betont Astrid Hackenesch-Rump, Sprecherin der Berliner Wasserbetriebe. Zugleich verspricht der Senat Hausbesitzern Fördermittel, wenn sie Dächer und Fassaden begrünen, und versucht, bei der Stadtentwicklung die Gefahr von Dürre und Sturzfluten mit einzuplanen. Etwa, indem Sportplätze bewusst tiefer angelegt werden, damit der Rasen überschüssiges Wasser aufnehmen kann. „Wir müssen mit Flächen kreativer umgehen“, sagt Hackenesch-Rump.

Zur selben Einsicht sind auch die Bauern der Agrargenossenschaft Trebbin gelangt. Sie bauen auf ihren Äckern rund um das 10.000-Einwohner-Städtchen südlich von Berlin neuerdings auch Hirse, Sommerdurum und Kichererbsen an – alles Sorten, die sich gut mit Hitze und Trockenheit vertragen. Die Gegend habe „sehr schöne Sandböden“, erzählt Thomas Gäbert, Geschäftsführer der Agrargenossenschaft. „Aber was den landwirtschaftlichen Ertrag angeht, sind wir bundesweit im unteren Fünftel. Viel weniger geht kaum.“

Schon in normalen Jahren mussten die Bauern überlegen, wo es sich lohnte, etwas anzubauen – und dann kam die Dürre. Pausenlos, seit 2018. „Eine so zusammenhängende Phase von Trockenheit, das gabs hier selten – vielleicht sogar noch nie“, seufzt Gäbert. Der 40-jährige promovierte Agrarwissenschaftler steht im Februar, gut eingepackt in Winterpullover und Jacke, auf einem der Felder, die in diesem Sommer für die Kichererbse vorgesehen sind. Als er 2020 beschloss, die eigentlich aus Asien stammende Hülsenfrucht in Brandenburg anzubauen, war es ein Experiment. „Wir haben diese Kultur ausgewählt, weil wir denken: Die passt hier gut her“, berichtet Gäbert. „Das hat sich in den ersten Jahren auch bewahrheitet.“

Zusätzlich investieren die Bauern in naturnahe Methoden der Landwirtschaft, die ihre Böden besser gegen Hitze, Dürre oder Wolkenbrüche schützen sollen. Alles hängt dabei mit allem zusammen: Kühe liefern Dung, der die Böden mit Nährstoffen anreichert. Nährstoffe, die nicht nur die Pflanzen brauchen, sondern die auch Regenwürmer, Bodenbakterien, Pilze und Mikroben füttern.

„Diese Tierchen unterstützen mich dann dabei, Humus aufzubauen“, erklärt Gäbert, „bringen aber auch verschiedene physikalische Vorteile mit sich.“ Einer davon: Je mehr Winzlinge sich durch den Boden graben, umso besser kann die Erde Feuchtigkeit aufnehmen, weil sich dann Makroporen bilden – kleine Röhren, die Wasser speichern.

Zusätzlich liegen auf den meisten Äckern Zwischenfrüchte: eine Mischung aus Leindotter, Strandhafer, Sonnenblumen und anderem Gründünger, der den Böden hilft, besser durch den Winter zu kommen. Lange habe sich die Mehrheit der Landwirte gegen solche Zwischenfrüchte gesperrt, erzählt Gäbert: zu hohe Kosten, zu wenig Nutzen. „Aber so, wie die Niederschlagsverteilung in den letzten Jahren war, sehe ich ausschließlich Vorteile.“

Auch Blühstreifen hat Gäbert durchgesetzt, ebenfalls nach langen Diskussionen. Und die Kanäle, die sich durch die Landschaft ziehen, nutzen die Bauern nicht mehr zur Entwässerung, wie es früher der Fall war, sondern – im Gegenteil – um das Wasser zu halten. Daneben liegen Grünflächen brach, damit benachbarte Felder länger feucht bleiben.

All das, um den Pflanzen eine Chance zu geben, länger durchzuhalten, wenn jeder Tag zählt. Noch stehen Pfützen am Wegesrand, grau liegen die Äcker unter einer Wolkenwand. Doch wehe, wenn die Sonne erst wieder vom Himmel brennt. Eine Woche kein Regen, „dann sind die obersten zehn Zentimeter so trocken, dass es schon wieder staubt“, sagt Gäbert und schaut sich um. „Man wird das hier nicht wiedererkennen. Das geht so schnell, das kann man sich kaum vorstellen.“

Dieser Artikel stammt von dem Journalisten Karsten Lemm.
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