Durchbruch: Gelähmter kann über Gehirn-Elektroden wieder Sätze formulieren
Die Forscher der University of California in San Francisco sprechen von einer „Weltpremiere“, einem „technologischen Meilenstein“. Ihnen gelang es, über das Auslesen von Gehirnaktivitäten die entsprechenden Impulse in passende Sätze umzuwandeln. Der erste Einsatz bei einem Gelähmten zeigte erstaunliche Erfolge, wie ihr Artikel im New England Journal of Medicine darstellt.
Schritt 1: Sprachmuster analysieren
Die Wissenschaftler brachten zunächst Elektroden-Arrays bei Patienten an, die noch das Sprechen beherrschten und sich einer Gehirnoperation unterzogen. Die Sensoren im Sprachzentrum dienten dazu, Vokale und Konsonanten zu identifizieren und Muster zu analysieren, die bestimmte Wörter ergeben. Als Nächstes wollten die Mediziner beweisen, dass ihre Methode Patienten helfen kann, die keine Sprachfähigkeiten mehr besitzen. Aufgrund von Hirnschäden durch Unfälle, Krankheiten oder Schlaganfällen verlieren viele Menschen die Fähigkeit, zu sprechen. Häufig sind ihre sonstigen kognitiven Fertigkeiten dabei nicht eingeschränkt.
Elektroden-Aufnahme am schwer gelähmten Patienten
Sie fanden eine Versuchsperson, die durch einen Hirnstamm-Schlaganfall unter Anarthrie (Verlust der Fähigkeit zu artikulieren) und spastischer Querschnittslähmung leidet. Dem Mann implantierten sie ein hochdichtes Multielektroden-Array in den sensomotorischen Kortex – also in die Steuerzentrale des Gehirns für Sprache. Sie zeichneten darüber insgesamt 22 Stunden lang Signale auf, während der Patient versuchte, Wörter aus einem Vokabular von 50 Wörtern auszusprechen. Das dauerte 48 Sitzungen lang.
Deep-Learning-Algorithmen helfen bei der Zuordnung
Sie fütterten einen Computer sowohl mit seinen Daten als auch denen der gesunden Patienten. Deep-Learning-Algorithmen erstellten Computermodelle für das Erkennen und das Klassifizieren von Wörtern anhand der Gehirnaktivitäten aus dem Kortex. Diese Computermodelle kombinierten sie mit einem natürlichen Sprachmodell, das Wahrscheinlichkeiten für das nächste Wort in einem Satz errechnet. Diese Kombination setzten die Spezialisten dazu sein, um ganze Sätze zu kodieren, während der Teilnehmer versuchte, sie zu sagen. Das ist insofern außergewöhnlich, weil sich zuvor Forschungen in diesem Bereich darauf konzentrierten, Patienten das Buchstabieren über Hirnstrommessungen zu ermöglichen. Die neue Methode arbeitet jedoch mit kompletten Wörtern und kurzen Sätzen.
Das Ergebnis: Fast organische Kommunikation
Der Teilnehmer, der sich selbst den Namen „Bravo-1“ gab, leidet unter einer starken Lähmung. Er kann weder Hals, Kopf noch Gliedmaßen normal bewegen und kommuniziert mit einem Pen an seiner Baseball-Cap, um Buchstaben auf einem Touchscreen anzuwählen. Die Forscher erarbeiteten mit ihm einen Satz der 50 für ihn wichtigsten Wörter. Darunter fielen „Wasser“, „Familie“ und „gut“. Wie beschrieben zeichneten sie die Gehirnaktivität bei seinen Versuchen, sie auszusprechen auf und fütterten ihre Brain-Machine damit. Anschließend stellten sie ihm Fragen wie „Wie geht es ihnen?“ – und er antwortete nur über das neuronale System. Das Computersystem entschlüsselte durchschnittlich 18 Wörter pro Minute aus den Hirnströmen. Eine nachgeschaltete Autokorrektur, ähnlich der im Smartphone, half dabei, eine Trefferquote von 75 Prozent im Mittel zu erreichen. Der Spitzenwert lag bei 98 Prozent. Die Wissenschaftler jubeln. „Unseres Wissens nach ist dies die erste erfolgreiche Demonstration der direkten Decodierung ganzer Wörter aus der Gehirnaktivität von jemandem, der gelähmt ist und nicht sprechen kann,“ sagt Mitautor der Studie Edward Chang dem Magazin Sceince Altert.