Das Ende der Prospektwerbung: Nachhaltig, aber riskant für die Handelsketten

Obi hat es getan, Rewe will es bald tun: Es geht um den Verzicht auf die regelmäßigen Werbeflyer, die stapelweise jede Woche im Briefkasten landen und schon lange nicht mehr die Auswirkungen haben wie einst. Das zumindest berichten Marketer:innen aus verschiedenen Handelssegmenten im Filialgeschäft, wenn man sie auf die Woche für Woche produzierten Werbebeilagen in Papierform anspricht.
Doch etwas ist bei Rewe anders: Denn mit der Kette verzichtet der erste große Lebensmittelhändler auf die Prospekte, die in aller Regel darüber entscheiden sollen, ob der:die Kund:in den wöchentlichen Lebensmitteleinkauf eben dort oder anderswo durchführt. Warum der Schritt jetzt bekannt gegeben wird, aber erst zum 1. Juli 2023 in Kraft tritt, bleibt indes ein Geheimnis des Unternehmens.
Doch die Abkehr von der Zettelwirtschaft könnte auch abgesehen von dem Mehr an Nachhaltigkeit, das durch den Schritt entsteht, etwas Gutes haben. Mehr als 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO₂, 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr sollen das sein, rechnet das Kölner Unternehmen vor. Mehr als 28 Milliarden Werbeprospekte sollen – hochgerechnet aufs Jahr und die gesamte Branche – in den Briefkästen landen.
Digitale Werbung kann viel persönlicher sein
Das Institut für Handelsforschung (IFH) Köln hat herausgefunden, dass immerhin neun von zehn Verbraucher:innen gelegentlich in die Blättchen, die da im Briefkasten landen, auch reinschauen. Doch rechtfertigt das diese Menge? Wohl eher nicht. Und so könnte der Verzicht, der wohl auch aus der aktuellen Papierknappheit und der Erkenntnis, dass der Streuverlust hoch ist, resultiert, dazu beitragen, dass die Unternehmen mehr in digitale Lösungen und personalisierte Werbung investieren.
Obi hat diesbezüglich schon entsprechende Angaben gemacht und auch Rewe-Marketingchef Clemens Bauer erklärt, dass sich digitale Lösungen besser regionalisieren lassen – und vor allem die Personalisierung hinzukommt. Denn ob ein 30-jähriger Single, männlich, mit einem bestimmten Konsumverhalten und Wertegerüst jetzt in Köln oder Duisburg seine Einkäufe erledigt, ist möglicherweise weniger entscheidend im Vergleich als die übrigen Kriterien.
Bauer glaubt, anhand von intensiven regionalen Tests in unterschiedlichen Umfeldern auch herausgefunden zu haben, dass der nicht ganz billige Prospekt teilweise sogar kontraproduktiv sein könne – oder zumindest schlechter performe im Vergleich zu digitalen Lösungen. „Mein Eindruck ist, dass wir in der Branche die aktuelle und tatsächliche Verkaufswirkung des gedruckten Handzettels massiv überschätzt haben“, erklärt Bauer gegenüber dem Branchenmagazin Horizont.
Hinzu kommt ein Element, das die Marketer:innen oftmals weniger bereitwillig herausstellen: Digital geht Marktforschung deutlich effizienter und besser – mal abgesehen davon, dass auch die ältere Kundschaft inzwischen ähnlich selbstverständlich auch das Smartphone oder Tablet für solche Dinge nutzt.
Jede Handelskette tickt bei Werbung anders
Wie gut das alles funktionieren wird, kann heute niemand sagen, zumal nicht nur ein Baumarkt oder eine Drogerie hier anders vorgeht als ein Möbelhaus oder eine Lebensmittelkette. Jedes Unternehmen hat aufgrund seiner Warensortimente, Filialstrukturen, Onlinemaßnahmen und aus vielen weiteren Gründen eine individuelle Customer Journey, die abgebildet werden muss.
Insofern ist das Experiment, das Obi und Rewe hier eingehen, zwar eines, das die gesamte Branche interessiert beobachtet. Doch der Erfolg des einen lässt sich beim anderen deswegen noch lange nicht kopieren. Aber klar ist, und daraus machen auch andere keinen Hehl, dass in vielen Häusern – von Edeka bis Kaufland, von Aldi bis Lidl, von Rossmann bis DM – über Sinn und Unsinn regelmäßiger Flyer nachgedacht wird und die teilweise wöchentlich und bundesweit verteilten Prospekte auf dem Prüfstand stehen. Gerade in Häusern, in denen digitales Marketing immer mehr Einzug hält, würden viele angesichts der schwierigen Personalisierbarkeit lieber heute als morgen auf Alternativen setzen.
Ich hätte derartige Papierwerbung schon lange von staatlicher Seite aus verboten. E-Mail gibt es ja nicht erst seit gestern und wenn ich mir die Papierberge angucke die hier bei mir so auflaufen und das mit den einzelnen Haushalten Multipliziere ist da definitiv massig an Papier einzusparen.