„Das kann ich so nicht gelten lassen, was hast du noch?“ Ein solcher Satz ist in einem Streit oder einer Verhandlung ein Machtmove: Ich entscheide, über welche Argumente wir überhaupt reden – und das ist es nicht. Manche nutzen auch die Kurzform: „Was noch?“, bevor auf das Gesagte überhaupt eingegangen wurde.
In der Schule haben wir das Debattieren noch genau so gelernt: viele Argumente, sortiert nach schwachen und starken, wobei die schwächsten in der Mitte stehen und die starken am Anfang und Ende – das Sanduhrprinzip. Doch das Sanduhrprinzip teilt das Problem von Zahnputzuhren für Kinder: In der Mitte ist eine Sollbruchstelle.
Wäre dies ein Text darüber, wie du jeden Streit gewinnst, dann würde ich dazu raten, genau hier anzusetzen. Denn ein schwaches Argument macht eine ganze Position angreifbar.
Besser streiten: Wie man’s macht, macht man’s falsch
Andere sortieren ihre Argumente von schwach nach stark – geraten dadurch aber schon in den ersten Minuten rhetorisch ins Hintertreffen. Von stark nach schwach sortieren hilft auch nicht – selbst wenn der Anfang noch überzeugend ist, folgt die Selbstentwaffnung mit der Zeit. Das Gegenüber muss nur warten.
Also schreiben Menschen Listen mit Argumenten, grübeln, gliedern, planen. Doch genau so funktioniert eine gelungene Vorbereitung auf ein Streitgespräch nicht. Die Grundidee ist falsch. Wer mit einer Vielzahl von Argumenten bestehen will, der setzt auf das Prinzip Zufall und schwächt sich damit selbst. Auch eine gute Argumentationskette reißt an der schwächsten Stelle. Deshalb sind wenige starke Glieder stärker als eine lange Verkettung mit vielen weichen.
Argumentation lernen heißt Reduktion lernen
Die Masse von Argumenten mag sich wie eine Versicherung anfühlen: „Wenn der Chef das eine nicht akzeptiert, kann ich ein anderes probieren.“ So verhandeln Kinder um Süßigkeiten. Wenn Erwachsene so verhandeln, dann machen sie sich damit klein – und angreifbar. Sie entwerten ihre starken Argumente, indem sie sie gar nicht erst vertreten. Und jedes schwache Argument kann dazu genutzt werden, die Gegenposition zu vertreten. Man öffnet damit eine Tür zu sich selbst.
Nehmen wir das Beispiel des Urlaubsplans:
„Das wäre doch auch für die Firma gut, wenn ich danach erholt wiederkomme.“
Antwort:
„Sie sprechen da etwas Entscheidendes an: Der Sommer ist eine besonders wichtige Zeit für uns. Und genau deshalb kann ich Ihnen nicht freigeben.“
Darauf kann der oder die andere im Verlauf des Gesprächs sogar immer wieder zurückkommen: „Sie sagten es ja selbst, …“ So wird das eigene schwache Argument zum stärksten des Gegenübers.
Im Streit oder bei Uneinigkeit, aber auch in Verhandlungsgesprächen, ist es klüger, sich auf wenige starke Argumente zu konzentrieren und diese sehr gründlich durchzudenken. Ich rate in der Regel dazu, maximal zwei vorzubereiten. Und wirklich oft reicht eines. Steht es allein, wird es sogar noch stärker, denn es bekommt eine Bühne. So zum Beispiel:
„Es lässt sich nicht ändern. In den ersten drei Wochen der Sommerferien müsste ich meine Aufmerksamkeit zwischen meinem Kind und der Arbeit teilen. Ich möchte lieber Urlaub nehmen und davor und danach fokussiert arbeiten.“
Im Streit ist weniger mehr
Dagegen gibt es kaum Argumente und deshalb braucht es auch keine weiteren. Im Streit ist weniger mehr. Es mag sich seltsam anfühlen, auf diese Art bei der eigenen Position zu bleiben. Es gibt einem Streitgespräch aber sehr viel Ruhe. Das ist wichtig, wenn der Gegner mehr Erfahrung hat, aus einer Machtposition heraus verhandelt oder gern moralisch-emotional wird. Oder – das sind die nervigsten – aus einer selbstkonstruierten Version von Rationalität und Objektivität.
Bleibst du bei deinem Argument, dann kann auch ein Satz wie „Das kann ich nicht gelten lassen“, dich nicht davon vertreiben. Du kannst sagen: „Das ist aber entscheidend“, und dann abwarten. Du kannst auch fragen: „Warum nicht?“ Du könntest auch ganz offensiv sagen: „Es ist trotzdem der Grund, aus dem ich meine Position vertrete.“ Und dann lässt du das so stehen.
Du musst das Gespräch nicht lenken oder voranbringen. Warte erst ab, was jetzt passiert. Das zwingt dein Gegenüber zum Nachdenken. Und dieses Nachdenken könnte zu einer Lösung führen, die euch beiden dient – und mit der du bekommst, was du dir wünschst.