Diese kurze Erkältungswelle in meinem direkten Umfeld zeigte sich wie eine kleine Studie. Und sie bestätigte etwas, das wir alle wissen und das nur wenige berücksichtigen: Wer krank ist, sollte zuhause bleiben. Wer nicht zuhause bleibt, macht alles nur schlimmer.
Also ratet mal, wer inzwischen gesund ist? Genau: ich.
Und wer ist alles noch krank? Die, die (wenig) munter weitergearbeitet haben.
Vor fast zwei Jahren schrieb ich in meiner Kolumne: „Wer (…) von zu Hause aus arbeitet, der kann das Gröbste auffangen und sich parallel erholen.“ Damals war das ziemlich undenkbar. Was schlägt die Frau da vor? Krank von zu Hause aus arbeiten? Geht’s noch? Wer krank ist, ist krank!
Das sind schöne, starke Worte – und doch sind sie wertlos. Denn wer krank ist, geht meistens eben doch zur Arbeit. Aus Schuldgefühlen den Kollegen gegenüber. Aus Ehrgeiz. Um ein gutes Beispiel zu bieten. Um die eigene Stärke zu beweisen. Oder schlicht in der Hoffnung, dass es schon besser werden wird, wenn man erst einmal an der frischen Luft war.
Und wie es dann wirklich ist: Die Taschentücher knüllen sich in den Hosentaschen, die Nase läuft, der Husten ist so peinlich, dass man jedes Mal den Raum verlassen möchte, was aber irgendwann nicht mehr geht. Also: leises Röcheln, hüstel, wann ist der Tag endlich vorbei?
So werden wir in Zukunft nicht mehr weiterleben können. Schon immer kostet Präsentismus Geld – und Arbeitsstunden. Denn bevor der Kollege dann endgültig flach liegt, reißt er noch einige andere mit ins Verderben. Da dies weder ein Geheimnis ist, noch besonders überraschend kommt, schaden Erkrankte ihrem Unternehmen also bewusst.
In Zeiten einer Pandemie werden kranke Erwerbstätige zum gesamtgesellschaftlichen Risikofaktor. Doch während einige im Homeoffice arbeiten, sehen wir derzeit viele Menschen, die an ihren Arbeitsstätten nicht gebraucht werden, aber dennoch hinfahren. Einige bekommen es vorgegeben, weil das Vertrauen des Arbeitgebers fehlt.
Andere halten sich selbst für unersetzlich. Bei ihnen müssen wir ansetzen.
1. Rechnet nach
Bleibt eine erkrankte Person zuhause, dient dies dem Betrieb. Denn verursacht er oder sie einen höheren Krankenstand, leidet die Arbeit der ganzen Abteilung. Das wird Kunden kosten und mittelfristig das Ergebnis verschlechtern. Ein wenig Beobachtung wird schnell Muster aufzeigen: Wann war eine Person krank? Wann waren Weitere krank? Schon nach wenigen Wochen in der Erkältungszeit wird auffallen: Es beginnt mit einer Person, dann trifft es bald viele. Das erhöht den Druck auf verbleibende Kollegen. Die Abteilung wird als Arbeitsplatz unattraktiv.
2. Bedankt euch
Jemand meldet sich krank? Hier bietet sich eine Chance, sofort einzuhaken und ein sicheres Gefühl zu vermitteln: „Vielen Dank, dass du direkt zu Hause bleibst.“ Lobt die vernünftige Entscheidung und bestärkt den Erkrankten. Natürlich muss niemand lügen: Fehlt jemand, dann ist das schwierig für den Rest des Teams. Es hilft ein optimistisches „Wir kriegen das hin, schon dich und komm erst wieder, wenn du fit bist“.
3. Geht auf angeschlagene Mitarbeiter zu
… und schickt sie nach Hause! Eine freundliche, aber strikte Politik kann hier Geld sparen und die Organisation mittelfristig erleichtern. Natürlich wird es immer einen wichtigen Grund geben, warum der Mitarbeiter anwesend ist. Aber darin liegt eine Gefahr für alle, denn ein größerer Krankenstand kann die Funktionsfähigkeit der Organisation beeinträchtigen. Und deshalb muss die erkrankte Person nach Hause gehen.
4. Plant mit Krankheit
Firmen, Hotels, Restaurants und Bars, Redaktionen, Bekleidungsgeschäfte, wohl jede Abteilung dieser Welt ist auf einem Prinzip organisiert: Sie stellen so viele Menschen ein, wie sie brauchen. Dann wird ein Dienstplan erstellt und so, wie es geplant ist, so hat es zu laufen. Dieses Vorgehen wird dann unhaltbar, wenn Menschen krank werden. Und übrigens werden Menschen ständig krank.
Im Schnitt sind etwa vier Prozent der Mitarbeiter krank zu Hause, berichtet das Statistische Bundesamt. Das bedeutet: Eine Abteilung aus 25 Personen braucht einen mehr, um stets vollbesetzt zu sein. Auch in kleineren Betriebseinheiten kann es sich lohnen, vorausschauender zu planen. Denn wenn von Vieren einer fehlt, reißt dieser ein größeres Loch, dies macht den Arbeitgeber unattraktiver.
Auf den ersten Blick erhöht dies die Personalkosten. Ob diese langfristig höher sind als durch Präsentismus verursachte Schäden, darf sich nun jeder Chef selbst ausrechnen.
5. Konzipiert attraktive Lösungen
In Abteilungen mit hoher Zufriedenheit bleiben die Menschen ungern zu Hause. Sie wollen ja helfen, sie wollen dabei sein, sie wollen sich einbringen. Das ist toll – aber auch der Grund, warum Wissenschaftler eine zu hohe Loyalität als potentiell toxisch einstufen. Der Effekt kann gemildert werden – hier ist aber Kreativität gefragt.
Bei Schreibtisch-Jobs ist die Lösung für Erkältete offensichtlich: Er oder sie verlegt den Arbeitsplatz nach Hause. Es ist immer noch besser, von zu Hause aus zu arbeiten, als sich gar nicht zu schonen.
Um die Erholung zu fördern, könnte eine reduzierte Arbeitszeit sinnvoll sein, zum Beispiel auf 50 Prozent. Diese verhindert, dass die Arbeitszeit überschritten wird, wie es derzeit häufig passiert. Außerdem trägt dies der Tatsache Rechnung, dass Menschen zuhause meist konzentrierter arbeiten können – wenn sie nicht durch ständige Meetings unterbrochen werden.
In Berufen, in denen Anwesenheit notwendig wäre, kann ein Qualifizierungsprogramm helfen. Angebote gibt es im Netz genug. Onlinekurse zu Deeskalationtechniken sind für viele Menschen nützlich, ebenso Englisch-Kurse oder etwas zur Allgemeinbildung. Es muss auch gar nicht relevant für den tatsächlichen Job sein. Aus Studien wissen wir aber, dass Menschen loyaler sind, wenn eine Firma ihnen die Möglichkeit zur Weiterbildung gibt.
6. Arbeitet an einer klaren Vorgehensweise
Dass keine Lösung offensichtlich scheint, bedeutet nicht, dass es keine gibt. Bei Grippe und starken Erkältungen sollten Mitarbeiter dazu angehalten werden, sich zu schonen. Die höchste Eskalationsstufe der Krankheit sind deshalb immer Podcasts, Tee und Chili Con Carne.
Um Kollegen dazu zu bringen, bei ansteckenden Infekten zu Hause zu bleiben, hilft ein Team-Workshop, in dem konkrete Ideen entwickelt werden, wie (Über)Motivierte mit Erkältungen umgehen können.
Ein Beispiel:
Stufe 1: Leichtes Schnoddern oder Quarantäne als Kontaktperson
Die Person bleibt zu Hause, arbeitet remote oder bildet sich weiter, achtet dabei aber darauf, sich zu schonen.
Stufe 2: Deutliche Symptome einer Erkältung, aber nicht wirklich krank – kein Fieber
Die Person bleibt zu Hause, arbeitet remote oder bildet sich weiter, achtet dabei aber darauf, sich zu schonen. Erreichbarkeit nur in einer sinnvollen Kernzeit, Arbeitszeit etwa 50 Prozent.
Stufe 3: Krankheit mit leichter Temperatur
Die Person bleibt zu Hause, trinkt viel, isst gesund, macht einen kleinen Spaziergang und ist einfach mal krank. Erreichbarkeit nur in echten Notfällen.
Stufe 4: Richtig schön krank
Kolleg*in gilt als in der Sahara verschollen und wird in Ruhe gelassen.
Eine der Ursachen des Präsentismus wird immer die Unsicherheit sein: Passiert meiner Karriere etwas, wenn ich jetzt zu Hause bleibe? Was wird aus meinem Projekt? Es ist Sache der Führungskräfte, dieser Unsicherheit zu begegnen. Klare Absprachen dienen dann der Handlungsfähigkeit der Abteilung. Das macht Corona uns gerade deutlich – gültig war diese Tatsache aber schon immer. Auch eine Grippewelle lässt die Arbeit leiden. Besser also, Patient 0 bleibt im Bett und kuriert sich aus.