Diese Gründer beteiligen ihre Mitarbeiter: „Es nicht zu tun, wäre unfair!“
Mitarbeiterbeteiligungen statt hoher Gehälter sind ein probates Mittel für junge Unternehmen, ihre Mitarbeitenden zu halten und zu motivieren. Oft sind Startups nicht in der Lage, mit den Angeboten großer Konzerne mitzuhalten. Die Insurtech-Firma Getsafe hat einst mit einem reinen Online-Maklergeschäft angefangen, mittlerweile vertreibt sie eigene Versicherungspolicen. Das Geschäft soll trotz Coronakrise gut laufen, ließ Christian Wiens, CEO und Mitgründer von Getsafe, vergangenes Jahr auf Linkedin wissen: „Der März war mit mehr als 10.000 verkauften Policen der erfolgreichste Monat in der Geschichte von Getsafe“, schrieb er. Und auch heute, so gibt er im t3n-Gespräch zu verstehen, gehe es dem Unternehmen hervorragend.
Um das Team an diesem Erfolg teilhaben zu lassen, hat er exklusiv gegenüber t3n jetzt Beteiligungen für alle in der Belegschaft bekanntgegeben. „Wer bei einem Startup arbeitet, geht auch ein gewisses unternehmerisches Risiko ein“, sagt er. „Daher sollte sie oder er auch die Früchte der Arbeit ernten.“ Einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom nach, sind in jedem zehnten Startup (10 Prozent) ausschließlich die Führungskräfte mit Unternehmensbeteiligungen ausgestattet. In rund jedem Fünften (22 Prozent) sind es die Führungskräfte und einzelne ausgewählte Mitarbeiter. Die Beteiligung aller Mitarbeiter ist die große Ausnahme (8 Prozent). Wir haben mit Wiens über diesen Schritt gesprochen. Der, wie er glaubt, in Deutschland endlich Schule machen sollte.
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Insurtech Getsafe führt Mitarbeiterbeteiligung ein
t3n: Warum hat Getsafe sich entschieden, ein Mitarbeiterbeteiligungssystem für alle aufzusetzen?
Christian Wiens: Wir wollen Versicherung nicht nur anders, sondern bedingungslos besser machen. Und diese Mission beginnt von innen heraus. Unser Beteiligungsprogramm ist seit Gründung des Unternehmens wichtiger Teil unserer Kultur. Mit der neu eingeführten Beteiligung für ausnahmslos alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen wir jetzt den nächsten konsequenten Schritt.
Welchen konkreten Vorteil hat das?
Mitarbeiterbeteiligungsprogramme als Lockmittel, um geringere Gehälter zu bezahlen – das ist ein verbreiteter Irrtum. Viele Startups bieten Gehälter und Sozialleistungen, die teilweise deutlich über dem Branchendurchschnitt liegen. Bei der Mitarbeiterbeteiligung geht es um etwas anderes: Wer bei einem Startup arbeitet, geht auch ein gewisses unternehmerisches Risiko ein. Das ist das Spannende. Daher sollte sie oder er auch die Früchte der Arbeit ernten. Teil der Getsafe-Familie zu sein, bedeutet schon immer, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Nun haben wir den Unternehmenswerten auch Taten folgen lassen und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter demokratisch und gleichberechtigt zu Miteigentümerinnen und Miteigentümern von Getsafe gemacht, unabhängig von ihrer Funktion.
Wie limitiert sind eure Mittel, Mitarbeitenden einfach Bonuszahlungen für starke Leistung auszugeben?
Bonuszahlungen für starke Leistungen sind davon unabhängig, die gibt es trotzdem. Aber natürlich haben Mitarbeiterbeteiligungen auch eine Leistungskomponente. Top-Performer können zusätzliche Anteile erhalten.
Ein Mitarbeiterbeteiligungssystem ist vor allem dann sinnvoll, wenn man schnell wachsen will und einen Börsenstart oder Exit anvisiert. Das Signal: Ihr verdient mit, wenn wir reich werden. Ist das nachhaltig?
Ich würde die Frage gern umdrehen: Du hast dich bewusst für ein Startup entschieden, weil du einen Beitrag leisten magst, weil du an die Idee glaubst und etwas Großes mitgestalten willst. Bei uns arbeiten super talentierte Köpfe, die jeder Konzern sofort abwerben würde. Sie nicht an dem zu beteiligen, was wir jeden Tag gemeinsam als Team erreichen, ist das gerecht? Nein, es nicht zu tun, wäre unfair!
Sind die Anteile mit euren gleichbehandelt?
Die Unternehmensanteile der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden im Fall eines Verkaufs oder eines Börsengangs gleichbehandelt wie die Anteile von uns Gründern, ja. Ich bin stolz auf dieses Programm. Im besten Fall können unsere Mitarbeitenden bei einem Börsengang oder Exit ihre Gewinne nutzen, um selbst zu gründen oder zu investieren. Genau das braucht es in Deutschland, denn davon lebt unser Startup-Ökosystem.
Es gibt zwar nicht das eine dominierende Modell, aber häufig kommen Share-Matching- oder Discount-Pläne zum Einsatz. Welches System fahrt ihr?
Share-Matching und Discount-Pläne sind bei börsennotierten Unternehmen verbreitete Konzepte. Unter Startups, die noch nicht an der Börse gehandelt werden, sind andere Mechanismen üblicher. Bei Getsafe setzen wir auf sogenannte virtuelle Anteile oder Phantomaktien. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten virtuelle Anteile, die sich parallel zum Wert des Unternehmens entwickeln. Sie profitieren dadurch bei einem Verkauf oder Börsengang des Unternehmens, ohne jedoch Gesellschafter zu sein. Der große Vorteil: Im Gegensatz zu klassischen Aktienoptionen müssen virtuelle Anteile weder vorab versteuert, noch notariell beglaubigt werden und sind daher weniger aufwendig zu verwalten.
Wie hoch sind die virtuellen Anteile pro Mitarbeitenden?
Zu der Höhe der Mitarbeiteranteile machen wir keine Angaben.
In den USA sind Mitarbeiterbeteiligungen gang und gäbe, in Deutschland nicht. Woran liegt das?
Zum einen an der Mentalität. Unternehmertum, Risiken eingehen, große Visionen verfolgen, Scheitern – all das gehört in Deutschland nicht zum positiven Selbstverständnis, in den USA hingegen schon. Zum anderen an den schwierigen Rahmenbedingungen hierzulande. Die USA sind uns hier um viele Jahre voraus. In Deutschland ist der Prozess bürokratisch aufwendig und steuerlich unattraktiv. Deshalb fordern Gründerinnen und Gründer seit Monaten die Bundesregierung auf, die Mitarbeiterbeteiligung zu reformieren.
Wo liegt das Problem?
Das Hauptproblem liegt in der Besteuerung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen ihre Unternehmensanteile in der Regel sofort versteuern, obwohl zu diesem Zeitpunkt keine tatsächlichen Gewinne anfallen. Darüber hinaus werden tatsächliche Erlöse als Einkommen versteuert und nicht als Kapitalerträge. Es ist an der Zeit, dass die Mitarbeitenden den Investoren und Gründern nicht schlechter gestellt werden.
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Die Aktienkultur ist in Deutschland weniger stark ausgeprägt. Wie sehr wollen eure Mitarbeitenden überhaupt ein Beteiligungssystem? Gab es Umfragen?
Das stimmt, in Deutschland müssen viele Menschen noch an Aktien und Startup-Beteiligungen herangeführt werden. Darin sehen wir auch unseren Beitrag. Für uns ist es ein Selbstverständnis und Teil unserer Unternehmenskultur. Umfragen gab es nicht. Wir wollen in Vorleistung gehen. So ein Programm reaktiv einzuführen, wäre der falsche Ansatz.
Trotz der von dir beschriebenen Vorteile: Das Risiko einer unternehmerischen Beteiligung mit Aktien lässt sich für Mitarbeitende nicht wegdiskutieren. Werbt ihr intern für das System?
Wieso Risiko? Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erhalten mit Vertragsantritt ein Aktienpaket, das sich parallel zum Unternehmenswert entwickelt – zusätzlich zu ihrem normalen Gehalt und allen anderen Benefits. Geht Getsafe eines Tages an die Börse oder wird verkauft, profitieren sie dadurch. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das eher eine große Upside, aber kein Risiko.
Und wenn ihr scheitert und die Anteile nichts mehr wert sind?
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Die Möglichkeit, zu scheitern, gehört in der Startup-Welt dazu. Als eines der bestfinanzierten Insurtechs in Europa mit über 175.000 Kundinnen und Kunden haben wir aber bereits bewiesen, dass wir ein tragfähiges Geschäftsmodell haben.
Danke für das Gespräch.