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Kitakrise befeuert Fachkräftmangel: Das System versagt

Ein desolates Kitasystem zwingt viele Berufstätige in Teilzeitverträge. Aktuelle Zahlen zeigen: Das Problem verschärft den Fachkräftemangel nicht nur heute, es birgt auch in Zukunft dramatische Risiken. Ein Kommentar.

3 Min.
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Fachkräftemangel: Kitakrise verschärft das Problem. (Foto: Kokulina-Shutterstock)

Betreuungs- und Pflegearbeit sind Themen, für die interessieren die meisten Menschen sich erst, wenn sie mittendrin stecken. Welcher kinderlose Mensch hätte beispielsweise gewusst, wie schwer sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in vielen Haushalten gestaltet – und vor allem, welchen immensen Einfluss das auf den Fachkräftemangel in Deutschland hat? Ich gebe zu: Auch ich hatte bis vor Kurzem noch gar keine Ahnung davon.

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Das hat sich schlagartig geändert, nachdem unsere Tochter vor sechs Wochen in die Kita gekommen ist. Nein, eigentlich schon vorher, als wir nach einem Kitaplatz suchten. Wir leben als dreiköpfige Familie in Berlin, hier haben die Hauptstädter ein Anrecht auf einen Betreuungsplatz. Und doch stehen viele Eltern vor der Frage: Will ich mein Kind wirklich hierlassen? Viele Einrichtungen, die wir sahen, waren in keinem guten Zustand.

430.000 Kitaplätze fehlen

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlten 2023 in Deutschland rund 430.000 Kitaplätze – trotz eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz. Die Lage sei inzwischen „untragbar“, heißt es von den Studienautorinnen und Studienautoren dazu. Diese Zahl ist schon allein deshalb bemerkenswert, da sich das Thema verschärft. Ein Jahr zuvor waren es noch 384.000 Kitaplätze, die in Deutschland fehlten.

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Das Problem besteht hauptsächlich im Westen, im Osten hingegen spüren Eltern ein anderes: Eine Fachkraft ist für zu viele Kinder zuständig. Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung zufolge sind fast 90 Prozent der Kitakinder in Ostdeutschland in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel nicht kindgerecht sind. Die Folge sind häufig geschlossene Gruppen aufgrund von Ausfällen. Überarbeitete Erziehende sind ein akutes Problem.

Doch auch die Eltern fühlen sich oft überfordert. Eine unmittelbare Folge der Umstände ist, dass sie sich für Teilzeit entscheiden: 50 Prozent der Frauen arbeiten in Deutschland in Teilzeit, davon haben 27 Prozent wegen der Kinderbetreuung die Arbeitszeit reduziert. Unter den Männern liegt die Teilzeitquote bei 13 Prozent, sechs Prozent davon aufgrund der Kinderbetreuung. Die Zahlen stammen vom Statistischen Bundesamt.

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Eltern wollen oft mehr Stunden arbeiten

Meine Partnerin und ich arbeiten beide in Vollzeit. Mit den Herausforderungen sind wir tagtäglich konfrontiert. Es sind nicht nur kranke Kinder in den Herbst- und Wintermonaten, die das Erfüllen der Wochenarbeitszeit zum Lottospiel machen, sondern auch kranke Erzieherinnen und Erzieher. Zudem droht in Berlin seit vergangener Woche ein unbefristeter Streik, der Eltern von rund 35.000 Kindern betreffen würde.

Und dennoch, in Vollzeit zu arbeiten, war eine bewusst getroffene Entscheidung. Wir wollen arbeiten, wie übrigens viele andere in Teilzeitverträgen befindende Frauen und Männer auch: Vier von zehn Eltern würden laut einer aktuellen Berufsstudie der HDI-Versicherung gerne mehr Stunden arbeiten, wenn die Kitasituation das zuließe. Für den Arbeitsmarkt hieße das, dass Hunderttausende Vollzeit-Fachkräfte hinzukämen.

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Der Einfluss auf den Arbeitsmarkt wäre kurz- bis mittelfristig gewaltig. Doch wie die Studie weiter zeigt, liefert die aktuelle Betreuungssituation auch langfristig genug Zündstoff für die Gesellschaft. Bei den 30 bis 34 Jahre alten Befragten ist die Sorge, Beruf und Familie nicht unter einen Hut zu bekommen, nämlich besonders groß. Mehr als jeder Dritte stellt seinen Kinderwunsch deshalb hinten an. Auch das birgt Risiken.

Denn viele Eltern wissen: mit dem fortschreitenden Alter ist das Kinderkriegen nicht mehr so leichtgetan. Kinderlose mögen heute den Arbeitsmarkt stützen, doch für den Staat könnte das in Zukunft dramatische Folgen haben, wenn niedrige Geburtenraten den Fachkräftemangel weiter verschärfen. Interessante Zahl dazu: Laut Statistischem Bundesamt war die Geburtenrate im Jahr 2023 sieben Prozent niedriger als im Vorjahr.

Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik

Deutschland hat viele Strukturprobleme, die der Wirtschaft schaden – neben einer überbordenden Bürokratie und einer schleppend laufenden Digitalisierung gehört auch der Fachkräftemangel dazu. Eine Lösung ist, mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu holen. Ich begrüße das. Jedoch wäre es auch an der Zeit, das volle Potenzial im Inland endlich zu heben. Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik. Wann kommt das endlich an?

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