Führungskräfte per Los bestimmen? Das ist schlauer, als es zunächst klingt
Beruflicher Erfolg und Führung kommen von Fleiß, Durchsetzungsvermögen und Leistung. Das haben wir so verinnerlicht und es ist im Prinzip richtig – aber nur ein Teil der Rechnung. Denn noch immer geht es im Geschäftsleben nicht so gerecht zu, wie man sich das erhofft. Verschiedene Forschungsarbeiten zeigen es – und viele Menschen im Berufsleben würden es aufgrund ihres Bauchgefühls bestätigen: Zum beruflichen Erfolg und dem damit verbundenen Belohnungssystem gehört neben der Leistung auch eine Portion Glück oder Zufall, je nachdem, als was man es bezeichnen will.
Forscher wie der US-amerikanische Ökonom Robert Frank haben nachgewiesen, dass Zufall und günstige Gelegenheiten einen vergleichsweise hohen Anteil an beruflichen Karrieren haben – und nicht selten darüber entscheiden, wer unter den Mitarbeitenden mit ähnlicher Ausgangsbasis und Eignung dann tatsächlich Chef oder Chefin wird. Doch psychologisch ist das natürlich unpopulär: Läuft’s im Unternehmen und in der eigenen Karriere gut, schreiben sich selbstbewusste Manager diesen Erfolg selbst zu. Und bei wem es schlecht läuft, der muss wohl eine Versager sein oder es beruflich nicht bringen. Externe Faktoren, von der Zusammensetzung des Teams über die konjunkturellen Rahmenbedingungen bis hin zum Momentum für bestimmte Themen oder Technologien, werden unterschätzt oder ausgeblendet.
Wie risikofreudig sind Frauen im Wettbewerb?
Ähnlich sieht die Sache bei der Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit aus. Frauen, so wird landläufig unterstellt, seien weniger risikofreudig und würden sich daher seltener an die Spitze eines Unternehmens drängen. Doch eine Studie im Fachmagazin Science Advances der Universitäten Bern und Zürich belegt, dass es sinnvoll sein kann, zunächst eine Gruppe ähnlich geeigneter Personen unterschiedlichen Geschlechts zu definieren und unter diesen danach das Los entscheiden zu lassen. In einem spieltheoretischen Rechenexperiment zeigte sich nämlich, dass Frauen mit dreimal so hoher Wahrscheinlichkeit in einer Führungsposition auch Risiko eingehen, wenn sie zuvor Teil der Losgruppe waren. Das Wettbewerbsverhalten zwischen Männern und Frauen ließe sich so neutralisieren oder aushebeln.
Denn frühere Studien hatten bereits nahegelegt, dass Frauen in Führungspositionen unter anderem deshalb unterrepräsentiert seien, weil sie sich selbst bei besserer Qualifikation seltener als Männer um eine Stelle bewerben. Auch treten Frauen im Durchschnitt nur etwa halb so oft wie Männer in Wettbewerbe ein, in denen nur eine Person siegen kann. Das Los über eine Stellenbesetzung entscheiden zu lassen, nachdem zuerst eine Handvoll geeignete Kandidaten ausgewählt wurde, könnte damit mehr Frauen dazu bringen, sich um einen Chefposten zu bewerben, ohne dass es sich dabei um eine der undankbaren Quoten handelt.
Vorauswahl und Losen: Sorgt für Bescheidenheit
Die Studie von Margit Osterloh, Bruno S. Frey und Katja Rost zeigte, dass sich Frauen keineswegs immer Wettbewerbs-avers verhalten. Nur in Gebieten, die oft von Männern dominiert werden (das trifft auf C-Level- und Führungspositionen ja immer noch zu), sei das Phänomen zu beobachten. Das Risiko einzugehen, hat aber auch etwas mit Gesichtsverlust und Standing in einem Unternehmen oder im Kollegenkreis zu tun: Denn der Losentscheid, nachdem man zu den „Auserwählten“ mit der entsprechenden Qualifikation gehört, bedeutet ja keinen Gesichtsverlust.
Umgekehrt überschätzen Manager, die in einem reinen Wettbewerb Führungskraft geworden sind, auch eher ihre Fähigkeiten und neigen häufiger zu Machtmissbrauch. Den Führungskräften, die durch ein „fokal-aleatorisches Verfahren“, also durch Losen unter nach Eignung ausgewählter Personen, in ihren Posten gekommen sind, ist dagegen eher bewusst, dass sie nicht allein aufgrund ihrer Leistung ausgewählt wurden. Das macht sie offener für Ratschläge Dritter, bescheidener und wertschätzender in der Zusammenarbeit.
Forscher an der ETH Zürich haben dazu in einem Laborexperiment 864 Probanden in Sechsergruppen mit jeweils einem Chef/Chefin gegeneinander antreten lassen. Teilweise wurde dieser über Leistungstests im Hinblick auf die Allgemeinbildung ermittelt, teilweise ausgelost oder per fokal-aleatorischem Verfahren gekürt. Probanden, die im Leistungstest zu Überschätzung neigten, missbrauchten deutlich häufiger die ihnen übertragene Macht und die Zufallswahl verhinderte dies dagegen weitgehend.
Keine Gefahr des Gesichtsverlusts
Natürlich ist all das nur ein spieltheoretisches Experiment und selbstverständlich kommt es dabei auch auf die Gerechtigkeit einer Vorauswahl an (und darauf, ob hier irgendwelche ungerechten Nebeneffekte reinspielen). Ob Unternehmen oder Teams sich für eine solche Idee erwärmen können, hängt aber auch vom Feld der Bewerber ab – will sagen: Gibt’s aufgrund von Erfahrung oder Fachkräftemangel nur einen Guten, der infrage kommt, verliert ein solches komplexes Verfahren seinen Sinn. Doch oft ist das ja gerade nicht so eindeutig.
Doch die Idee kann auch den Frieden und positiven Spirit im Team erhalten, weil niemand gegenüber dem neuen Vorgesetzten und Kollegen das Gesicht verliert, wenn er oder sie dann doch nicht zum Chef wird. Diese ausbleibende Niederlage führt dazu, dass auch konsensorientierte, Wettbewerbs-averse Mitarbeiter sich berufen fühlen, ihren Hut in den Ring zu werfen. Denn insbesondere, so die Theorie der Schweizer Wissenschaftler, erfolgreiche Frauen haben mit Sympathieverlusten zu kämpfen, sobald sie weniger erfolgreichen Männern begegnen.
Und damit sind wir wieder beim Frauenthema: Ein solches Konzept kann als Alternative zur Frauenquote zu mehr Bewerbungen von Frauen führen (die sich dann optimalerweise auch nicht als Quotenfrau fühlen) und bestehende Seilschaften unterbinden. Das Begrenzen von Seilschaften innerhalb von Professorendynastien war übrigens auch der Grund, warum schon im 18. Jahrhundert Professoren an der Universität Basel auf eine ähnliche Weise per Los aus einer Liste von drei Kandidaten bestimmt wurden.
Für welche Teamkonstellationen und Unternehmenskulturen sich ein solches Konzept eignet, ist natürlich zu diskutieren. Dass der Vorschlag aber weniger irritierend ist, als es auf den ersten Blick scheint, liegt jedenfalls auf der Hand.
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