GitHub statt Abi – neue Wege in den Arbeitsmarkt der Zukunft
Erfahrungen und eigene Projekte zeigen, was potenzielle Arbeitnehmende wirklich für eine neue Position beitragen können, denn sie lassen Kompetenzen oft besser erkennen als jedes Zeugnis. Und die Expertise und Anerkennung, die ein:e Bewerber:in sich zum Beispiel durch die Auszeichnung „Top Developer“ auf GitHub geholt hat, kann zukünftige Arbeitgebende und Kolleg:innen sowohl beeindrucken, als auch als einen neuen Weg für die Bewerbung von IT-Spezialisten:innen ebnen.
Im Silicon Valley hat sich dieser Ansatz zur Auswahl von Mitarbeitenden längst durchgesetzt. Monatelang Top Developer auf GitHub gewesen zu sein, ist dort eine größere, relevantere Auszeichnung als jedes Abgangszeugnis. Hier sind es eher die Unternehmen, die sich darum bemühen, ihre Projekte interessant genug für Tech-Elite zu gestalten.
Auch Hands-on-Bewerbungsgespräche mit Beteiligung von Fachkräften sind die Norm, um leistungsstarke und teamfähige Mitarbeitende zu identifizieren. Bewerbende lassen ihre Fähigkeiten und nicht ihre Noten für sich sprechen. Viele Unternehmen haben sich von analytischen Nonsens-Fragen („Wie viele Tischtennisbälle passen in ein Flugzeug?“) und aufwendigen Assessment-Center-Testreihen gelöst. Konkrete Fähigkeiten sind gefragt. Am Whiteboard werden während der Interviews Lösungen zu realen Problemen skizziert. Es geht nicht einmal vorrangig darum, eine Aufgabe zu lösen. Man ist interessiert an der Herangehensweise an Probleme und an der Fähigkeit, Stärken und Schwächen eines Lösungswegs zu evaluieren.
In der klassischen Rekrutierung, die in Deutschland noch weit verbreitet ist, sind Zeugnisnoten, Uni-Rankings und Keyword-Bingo noch immer der gängigste Weg, Kandidat:innen für eine Position auszuwählen. Unternehmen wissen aber auch, dass formale Ausbildungserfolge, Zeugnisse und Zertifikate im IT-Umfeld nicht alles sind. Menschen, die nützliche Projekte entwickeln und mit anderen teilen, sind die begehrtesten Kandidat:innen in der Tech-Branche. GitHub ist eine Chance in dieser neuen Meritokratie: Jeder kann hier sehen, was ich kann. Das Konzept des Quereinstiegs spielt in dieser Welt keine Rolle, denn entweder bringe ich die Fähigkeit, komplexere Dinge zu lösen, eben mit – oder nicht. Woher ich sie habe oder wo ich sie vorher angewandt habe, ist maximal zweitrangig.
Viele Wege führen zur IT
Ein beendetes Studium oder eine Ausbildung sind im IT-Recruiting eine Voraussetzung, obwohl wir wissen, dass viele Gründer:innen und zentrale Mitarbeitende der großen Tech-Konzerne ganz andere Wege beschritten haben. Tech-Skills können sich parallel zu Schule und Universität entwickeln. Autodidakt:innen und enthusiastische Hobby-Coder:innen lernen mit Arduino programmieren, um private Projekte umzusetzen. Rezepte dazu finden sich im Internet, und die „Hobbyköche“ lernen schnell, mit neuen Zutaten zu arbeiten. Sie tauschen sich mit Gleichgesinnten aus, treffen sich in Maker-Spaces und virtuellen Gruppen und eignen sich Kompetenzen an, um an größeren Projekten mitzuwirken. Langsam werden die erlernten Fähigkeiten in Projekt-Portfolios sichtbar. Eigene Websites, die Datenverwaltung für ein lokales Unternehmen, eine nützliche Browser-Erweiterung oder eine App in Amazons Cloud Services – immer bedeutet das auch die Beantwortung ganz konkreter, praktischer Fragen. Mit sinnvoll gewählten Projekten entsteht so ein Portfolio, das in seiner Summe mindestens so aussagekräftig ist wie jedes Berufszertifikat.
Lernen, im Team zu arbeiten
Neben Programmierkenntnissen vermittelt Tech-als-Hobby aber so einiges mehr: Teamarbeit, Kommunikation, Selbstorganisation, Eigenantrieb und Networking. Alles Fähigkeiten, die über den Erfolg von Entwickler:innen genauso entscheiden wie Programmierkenntnisse. Genau diese Soft Skills werden vor allem im Austausch mit anderen Codern, mit der Arbeit an gemeinsamen Projekten gefördert. Wer anderen den eigenen Code erklären muss, ob online oder offline, der schärft dabei auch selbst den Blick und lernt, andere Perspektiven einzunehmen. Und nur wer die Gelegenheit hat, Fehler zu machen und sich in der Praxis auszuprobieren, wird wirklich auf den späteren Arbeitsalltag vorbereitet, in dem es oft vor allem auf Improvisation, weniger auf das Befolgen eines festen Weges, ankommt.
Am Ende werden so Selbstorganisation, Teamfähigkeit, Empathie und gute Kommunikation trainiert – essenzielle Soft Skills in einer Branche, die interdisziplinär und global agiert und in interkulturellen Zusammenhängen an gemeinsamen Projekten arbeitet.
Lebenslanges Lernen
Die meisten Menschen werden schon bald in Jobs arbeiten, für die man sich derzeit nicht ausbilden lassen kann. Die Halbwertszeit von erworbenem Wissen ist im Tech-Bereich sehr kurz. Wer langfristig Erfolg haben möchte, der muss sich darauf einstellen, die eigenen Kenntnisse immer wieder aufzufrischen und weiterzuentwickeln. Die Erwartung an Mitarbeitende ist stets auf dem neuesten Stand zu sein, um optimale Lösungen für Unternehmen zu entwickeln. Hier ist auch Eigeninitiative gefragt.
Über Foren und Plattformen im Netz können Wissenslücken heute ohne großen Aufwand geschlossen werden. Es gibt kaum eine Frage, auf die es nicht schon irgendwo eine Antwort gibt, und die meisten Inhalte stehen heute kostenlos online zur Verfügung – und werden ständig an sich verändernde Anforderungen und Standards angepasst.
Netzwerke aufbauen
Nie war es leichter, an Fach-Diskussionen mit Gleichgesinnten teilzunehmen und gemeinsam neue Lösungsansätze zu entwickeln. GitHub und Stack Overflow sind Plattformen der Coding Community, die Zugang zum Wissen von Millionen von Entwickler:innen geben. Hier kann man auch sein eigenes Profil ausbauen. Gute Beiträge können der Weg zu einem neuen Projekt, einer Gründung oder einer Anstellung sein.
Neue Wege gehen
In Deutschland ist eine abgeschlossene Ausbildung nach wie vor wichtiges Kriterium für den erfolgreichen Berufseinstieg. Es sollte aber kein unverrückbares Kriterium sein. Das ist bereits vielen Unternehmen klar und sie passen ihre Auswahlverfahren an, oder sie bieten Umschulungen an, um hochmotivierte Mitarbeitende zu finden. Hier können Experimente gewagt werden. Innovation entsteht nur da, wo neue Dinge ausprobiert werden. Unser Umfeld tut gut daran, Menschen mit einem breiten Spektrum an Erfahrungen und gelebter Begeisterung die Tür zu IT-Berufen in Deutschland zu öffnen.