Hamburger Startup Novocarbo: „Wir machen aus CO2 nachhaltige Produkte“
„Wir machen aus CO2 nachhaltige Produkte“, sagt Venna von Lepel, CCO von Novocarbo, im Videocall. Bei dem Hamburger Startup dreht sich alles um „Carbon Removal“, also die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Das Ziel: bis 2030 jährlich eine Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre ziehen.
Konkret funktioniert die Dekarbonisierung mit einer Technologie namens PyCCS (Pyrogenic Carbon Capture & Storage), einer der „ganz wenigen Negativtechnologien“, wie von Lepel erklärt. Dabei wird Kohlenstoff aus der Luft extrahiert und in Form von Pflanzenkohle („Biochar“) gespeichert.
Das Schöne daran: Je mehr von der Pflanzenkohle eingesetzt würde, desto besser sei das für den Planeten.
CO2-Speicher Pflanzenkohle
Pflanzenkohle ist ein festes Produkt, das beispielsweise als Bodenverbesserer in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt. Es kann aber auch in vielen anderen Bereichen beispielsweise als Baustoff – insbesondere in der Betonproduktion – oder im Spritzguss eingesetzt werden.
Als Ausgangsstoff für die Produktion von Pflanzenkohle werden sogenannte biogene Reststoffe verwendet. Das könne alles sein, von Nussschalen über Feinsieb der Holsschnitzelproduktion bis hin zu Reststoffen aus der Landwirtschaft, die ansonsten entweder verbrannt oder verrotten würden. Diese Reststoffe werden mittels Pyrolyse unter hohen Temperaturen um die 650 Grad und ohne Sauerstoff pyrolysiert, also erhitzt – so entsteht Pflanzenkohle.
„Wir nehmen solche Stoffe, von denen wir wissen: Wenn wir sie nicht nutzen, dann würde das CO2 freigesetzt“, so von Lepel.
Nebenprodukt: Regenerative Wärme
Ganz nebenbei fördert Novocarbo den Ausbau erneuerbarer Energien.
„Während wir CO2 aus der Atmosphäre ziehen, produzieren wir regenerative, klimaneutrale Energie“, sagt von Lepel. Regenerative Wärme, um genau zu sein. Das sei anders als bei der Konkurrenz, die Energie brauche, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen. Gerade die Direct-Air-Capture-Technologie, die von Lepel als Komplement zu der Lösung bezeichne, brauche viel Energie.
Um diese Überschussenergie bestmöglich zu nutzen, geht Novocarbo sogenannte „Heat-as-a-Service“-Partnerschaften mit Industrie- oder Energieunternehmen an den Standorten seiner Dekarbonisierungsanlagen ein.
Die Reihenfolge sei dabei: erst der Vertrag über die grüne Wärme, dann der Park. Denn die Novocarbo-Anlagen seien dezentral überall installierbar. Eine Anlage ist dabei in etwa so groß wie drei Garagen, erklärt von Lepel.
Bislang gibt es zwei solcher Carbon-Removal-Parks: einen im Ruhrgebiet, bei dem der Partner ein Stahlunternehmen ist, und einen in Grevesmühlen an der Ostsee zwischen Berlin und Hamburg. Dort werde die Wärme von den Stadtwerken gekauft.
Besonders über die Kooperation mit dem Stahlunternehmen freut sich von Lepel: „Es ist schön, insbesondere in einer schwer zu dekabonisierenden Industrie wie der Stahlindustrie einen Betrag leisten können“, sagt sie. Das Biochar-Business laufe dabei parallel zu der Wärmeproduktion.
Die Maschinen für das Pyrolyseverfahren werden zugekauft. Denn je nachdem, was die Anforderungen des oder der jeweiligen Klient:in sind, variieren die Voraussetzungen. Je nach Verwendungszweck der Pflanzenkohle, Energiebedarf und Inputmaterial wird die passenden Technologie gewählt.
Wie geht es weiter?
„Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssen wir CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Größte Einsparungsanstrengungen allein werden da nicht ausreichen“, sagt von Lepel.
„Laut IPPC müssen wir bis 2050 15 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Biochar wird dabei langfristig drei bis fünf Gigatonnen schaffen. In dem Bereich wird auch Direct-Air-Capture in etwa landen“, so von Lepel. Keine der Negativtechnologien werde es allein schaffen.
Um zu dem großen Ganzen beizutragen, will Novocarbo die Extraktion von einer Million Tonnen CO2 bis 2030 erreichen. „Um das zu schaffen, müssen wir extrem schnell sein“, sagt von Lepel. Dass es das kann, hat das Startup in den letzten zwei Jahren bereits gezeigt.
Nach der Gründung 2019 war die ausgebildete Landwirtin von Lepel Mitarbeiterin Nummer 3. Heute zählt das Startup rund 20 Mitarbeitende (Ende 2021 waren es noch sechs). „Wir haben wahnsinnig eingestellt“, sagt von Lepel. Dieser Scale-up müsse jetzt erst einmal verarbeitet werden.
Bislang sei das Startup durch eine Pre-Seed-Runde im niedrigen einstelligen Millionenbereich finanziert. Für das erste Halbjahr 2023 sei eine Seed-Runde über fünf Millionen Euro geplant. Mit dem frischen Kapital soll die Expansion in Europa sowie nächstes Jahr der Schritt in die USA und nach Kanada vorangetrieben werden.
„Ich bin eine hoffnungslose Optimistin“, sagt von Lepel über ihre Sicht auf die Zukunft. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade einen großen Wandel in der Wirtschaft erleben. Diese grüne Transformation können und wollen wir mit Novocarbo vorantreiben.“