Das Internet ist voll mit schönen Menschen. Öffnen wir ein soziales Netzwerk, dann lächelt uns die Schönheit entgegen. Wir sehen: perfekte Haut vor weichgezeichnetem Konzerntreppenhaus, High-Key natürlich. Manchmal sehen wir auch Menschen auf Bühnen, Menschen am Strand der Ostsee (immer ist es die Ostsee, was haben die alle mit der Ostsee? Die grenzt ja nicht einmal an Niedersachsen und Quallen gibt’s da auch). Oder extrem schöne Menschen an extrem schönen Arbeitsplätzen (manchmal auch an der Ostsee, meistens aber nicht).
Und ich weiß nicht, was ihr gerade macht, aber ich liege mit Corona im Bett, meine Haut ist trocken, meine Augenlider sind schwarz-lila, meine Lippen sind rissig und schlimmer als ich sieht eigentlich nur die Wohnung aus, da käme selbst der Gaußsche Weichzeichner an seine Grenzen. Ist aber egal, denn ich muss den Text ja nur schreiben und nicht im Videostream vorlesen. Das Internet ist derweil so vollgestopft mit schönen Bildern, dass wir uns langsam mal über den Stromverbrauch Gedanken machen sollten, all die Daten müssen schließlich gelagert werden. Wie viele Hi-Res Fotos verträgt der Klimawandel?
Erfolgsfaktor Schönheit
Neulich riet mir eine Freundin, mich professionell fotografieren zu lassen. „Bring viele Outfits mit, dann hast du auch gleich eine Serie“, sagte sie. „Alles in der gleichen Bildsprache. Das wirst du für deine Kanäle brauchen.“ An dieser Stelle sollte eine lustig-schlagfertige Antwort stehen, gäbe es da nicht ein Problem: Sie hat recht. Professionelle Porträts von mir würden mehr Menschen auf meine Texte locken. Und Reichweite ist Geld.
In den ersten Jahren meiner Selbstständigkeit als Autorin wies mich auch jemand ganz dezent auf einen Youtuber hin, der philosophische Inhalte transportierte und sich dabei auszog. Sollte natürlich nur ein Hinweis sein – die Story erzählte er mir allerdings dreimal, Zwinker-Zwinker, nur mal so.
Als Autorin habe ich tonnenweise gute Bilder von mir. Etwa zweimal im Jahr gehen mein Freund und ich raus und machen neue Porträts, als Selbstständige brauchen wir sie. Und doch ist das Gefühl schal. Welcher Teil meines beruflichen Erfolgs hängt an meinem Gesicht? Welche Chancen hätte ich nie bekommen? Ich werde es nie wissen.
Wir können nicht gewinnen
So lange Bilder über den Erfolg von Ideen entscheiden, gehen diese Fragen nicht weg. Und auch nicht die Ungerechtigkeiten, die darin stecken. Ich muss mir eigentlich keine Gedanken um die Qualität meiner Arbeit machen, schließlich strenge ich mich an. Und doch habe ich Angst vor jedem Angriffspunkt. Weil ich gelernt habe, dass für mich als Frau mein Erfolg von meinem Aussehen abhängt, gleichzeitig aber jeder Erfolg auch auf dieses Aussehen reduziert werden kann. Spaßfaktor meines Lebens: Bis ungefähr 34 fühlte ich mich zu jung, um ernst genommen zu werden. Und seither zu alt, um interessant zu sein. Das ist die Welt, die wir schaffen, wenn wir Aufmerksamkeit von Bildästhetik abhängig machen.
Und statt dass wir die Fixierung auf Bilder abschaffen, weiten wir sie nun auf Männer aus. Das ist das Gegenteil von klug. Denn wo Schönheit regiert, regieren immer auch Ungerechtigkeit und Selbstzweifel. Beides sind Faktoren, die die Kreativität hemmen und damit die Fähigkeit, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Mit den professionellen sozialen Netzwerken hat dieses Problem sich in der Arbeitswelt festgeklammert, aus der wir es eigentlich gerade heraus haben wollten.
In einem System, das Normschönheit als Faktor für professionellen Erfolg sieht, können Frauen nichts gewinnen und alle anderen künftig auch nicht mehr. Also außer Reichweite. Reichweite können wir natürlich gewinnen, wenn die Fotos gut sind. Reichweite erzeugen wir mit Schönheit und Freizügigkeit – die aber wiederum wahrgenommene Kompetenz kostet, was kurzfristig egal ist, langfristig aber zum Problem wird, wenn wir dann doch wieder mit unseren Ideen Geld verdienen wollen.
Wir waren auf einem so guten Weg
Körper verkaufen Ideen. Schönheit signalisiert Erfolg. Erfolg zieht Erfolg an. So funktioniert die Welt nun einmal. Aber die Bildsprache, die wir gerade in sozialen Netzwerken sehen, ist extrem. Der Zwang, sich professionell auf Model-Niveau zu inszenieren, ist in der Arbeitswelt angekommen. Die Kleidung transportiert eine Botschaft, die Körperhaltung sowieso, das Setting schmeichelt. Und das ist mehr als nur nervig. Es ist ein Problem. Weil wir gerade auf einem so verdammt guten Weg waren, uns von alten Vorurteilen zu lösen.
Anonyme Bewerbungen, kein Name, kein Foto, nur die Qualifikation zählt. Das waren die Ideen jener, die Arbeit gerechter machen wollten. Zu oft ist nachgewiesen worden, dass körperliche Attraktivität mit Intelligenz gleichgesetzt wird und Unsportlichkeit mit Faulheit. Zu oft sind Menschen wegen ihres Geschlechts diskriminiert worden, wegen ihrer Hautfarbe oder Haarstruktur.
Zählen sollten die harten Fakten. Also genau das Gegenteil dessen, was heute wichtig ist: professionelle Fotos. Weichzeichner, perfektes Licht, Schönheit überall. Selbst der Uralt-Trend des selbstvergessenen Fotos hat es in die Business-Netzwerke geschafft. Immer diese Paparazzi auf der Jagd nach Coaches, Speaker:innen und Marketing-Expert:innen.
Alle Menschen sind schön – nur weiß der Algorithmus das nicht
Die Inszenierungen ziehen Blicke auf sich. Genau so sind sie gedacht: Schau mal, hier schaut dich ein attraktiver Mensch an – was hat er oder sie wohl zu sagen? Werbung funktioniert so, Recruiting auch. Menschen vertrauen Menschen – und jenen, die wir anziehend finden, vertrauen wir am allerliebsten. In sozialen Netzwerken bleiben dann mehr Menschen am Beitrag hängen, dieser bekommt mehr Reichweite. Social Media, das potenziell demokratischste Medium, das je erfunden wurde, ist plötzlich eines, bei dem reine Haut und glänzende Haare über den Erfolg von Ideen entscheiden.
Dieser Trend ist problematisch, weil er jenen, deren Aussehen als normschön gilt, einen Vorteil verschafft. Da hält man mit dem Smartphone drauf, zwei, drei Filter drüber, fertig. Andere müssen sich mehr anstrengen, um mitzuhalten. Es kann eine Fußfessel sein, nicht dem zu entsprechen, was andere sehen wollen. Genauso kann es eine Fußfessel sein, exakt dem zu entsprechen – weil eben immer die Frage im Raum stehen wird, ob das Gesicht entscheidend war und nicht die Qualität der Arbeit.
Das entspricht nicht dem, was wir als Gesellschaft längst für Konsens erklärt haben wollten: Alle Menschen sind schön. Nur weiß das der Algorithmus der Plattform leider nicht.
Wir waren auf einem so guten Weg, das Primat der Schönheit abzuschaffen. Wie viele gute Gedanken gehen unter, weil wir sie nicht sehen? Die Fotos sind geil, und doch sind sie ein Armutszeugnis unserer Kultur: Wir verstecken die Kraft unserer Ideen hinter der Schönheit unserer Bilder. Damit haben wir einen gewaltigen Schritt zurück gemacht.
Das ist ein sehr guter Text; habe das bisher noch nicht so konzis auf den Punkt gebracht gesehen. Bin über einen in den RSS-Feed von heise.de geschmuggelten Link (geschickt, Heise…) hier gelandet, während ich Heise selbst eigentlich nur noch sporadisch lese; hier jedenfalls muss ich dann wohl mal öfter reinschauen.
Eine gute Reflexion der Realität, die leider jetzt auch Berufsleben Einzug gehalten hat. Zum Glück bin ich zu alt, um meinen Freundeskreis oder meinen Job über SocMedia-Accounts definieren zu müssen.
Im Berufsleben ist es natürlich ein doppeltes KO Kriterium.
Diversität sollten Verantwortliche und Gesellschaft ernst nehmen (wenn sie es denn so meinen), statt mit Hochglanz-Kampagnen nur zu inszenieren.