Es ist auf den ersten Blick erstaunlich: Anlässlich eines Treffens der Improving Web Advertising Business Group (IWABG) beim World Wide Web Consortium (W3C) gab Google-Ingenieur Michael Kleber am Dienstag bekannt, die geplanten Tests mit der Tracking-Alternative FLoC zunächst nicht in der Europäischen Union (EU) starten zu wollen.
Google fürchtet DSGVO-Strafen
Dabei soll das „Federated Learning of Cohorts“ gerade die datenschutzfreundliche Alternative zum bisherigen Tracking werden. FLoC soll dazu dienen, große Gruppen von Menschen in Clustern zusammenzufassen und aus den Gruppeneigenschaften Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Der Ansatz soll Einzelpersonen effektiv „in der Menge“ verschwinden lassen. Dabei wird die geräteinterne Verarbeitung genutzt, um den Browserverlauf zu schützen. Eine Identifikation eines einzelnen Nutzers soll damit nicht mehr möglich sein.
Was hält Google also davon ab, die vermeintlich bessere Methode in der EU zu testen? Die Antwort lautet: offene Fragen, die sich nicht schnell und sicher beantworten lassen. Dabei dreht sich alles darum, welches Unternehmen als Datenverantwortlicher und welches als Datenverarbeiter bei der Erstellung von Kohorten fungieren wird und was überhaupt als Datenverarbeitung gilt.
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Es ist zum Beispiel möglich, dass schon die durch den Webbrowser erfolgende Einordnung in eine Kohorte und die Verknüpfung mit einer FLoC-ID als personenbezogene Daten im Sinne der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) gelten könnten. Dann würde die Verarbeitung personenbezogener Daten zur Generierung der Kohortenzuordnung ohne die entsprechende Einwilligung bereits einen Verstoß darstellen.
Ein weiteres Problem könnte sich aus der E-Privacy-Richtlinie ergeben. Aus dieser Sicht könnte es einen Verstoß darstellen, dass Nutzer keinen klaren Hinweis erhalten und keine Wahlmöglichkeit darüber bekommen, wie ihre Daten zur Erstellung von Kohorten verwendet werden. Datenschützer hatten sich seit Längerem nicht unbedingt überzeugt von Googles Plänen gezeigt.
Publisher und Advertiser zeigen sich verschnupft
Diese rechtlichen Fallstricke will Google nun zunächst einer Klärung zuführen, bevor FLoC auch in Europa getestet werden kann. Ursprünglich sollten die Tests mit Advertisern bereits im zweiten Quartal starten. Das wird nun nur für Regionen außerhalb des Geltungsbereiches von EU-Recht passieren.
Publisher und Advertiser reagieren verschnupft auf diese bislang nicht bekannte Einschränkung vonseiten Googles. Privacy-Experte Robin Berjon von der New York Times bringt es auf Twitter auf den Punkt:
Er fragt, ob er das richtig verstanden habe, dass niemand bei Google vor dem Einstieg in die neue Technologie darüber nachgedacht hat, zu prüfen, ob man sie in Europa überhaupt rechtmäßig einsetzen darf. Das ist sehr pointiert und erfreut sich daher einiger Zustimmung.
Tatsächlich beeilt sich Google, zu versichern, dass das Konzept der „Privacy Sandbox“ mit der Kern-Technologie der FLoCs natürlich weltweit ausgerollt werden wird und dass das „so schnell wie möglich“ erfolgen soll. Nur das Problem mit der DSGVO … tja, das wird der Suchmaschinenriese wohl erst noch klären müssen!
Ich hoffe doch sehr, dass die europäische Rechtsprechung diesen eklatanten DSGVO-Verstoß umgehend stoppt. Wie kann eine Technologie DSGVO-konform sein, die mir – gegen meinen ausdrücklichen Willen – personenbezogene Werbung ausspielt? Ich rufe ja auch nicht bei einer Fachzeitung an und reiche eine Liste der Themen ein, zu denen ich Werbung abgedruckt haben möchte.
Diese Technologie könnte dann beispielsweise bedeuten: ich suche, wegen einer akuten Erkrankung, nach Heilverfahren, bekomme aber nur personenbezogene Werbung der Pharmaindustrie ausgespielt, während mir Fachartikel über neue, erfolgreiche physiotherapeutische Verfahren vorenthalten werden.
Wer Suchmaschinennutzerin der ersten Stunde und nicht vollkommen verblödet ist konnte es die letzten Jahre ständig beobachten: wie sinnvolle Informationen zu Gunsten kommerzieller Interessen aus den Suchergebnissen verschwanden.