Warum das Jahresgespräch in Zeiten agiler Arbeit ausgedient hat

Einmal im Jahr mit dem Chef an einem Tisch sitzen, die bisherige Leistung und die weitere Entwicklung besprechen: Für viele Arbeitnehmer ist das jährliche Mitarbeitergespräch ebenso vorhersehbar wie unbeliebt. In einer Umfrage der Talent- und Karriereberatung von Rundstedt im November 2017 gaben 35 Prozent der Befragten an, das Jahresgespräch sei für sie ein reiner „Alibitermin“, von dem sie keine nennenswerten Ergebnisse erwarteten. Fast 40 Prozent der deutschen Arbeitnehmer wünschen sich zudem häufiger Rückmeldungen zu ihren Leistungen – Tendenz, insbesondere bei der jüngeren Generation, steigend. Das klassische Beurteilungsgespräch als Instrument des Talent-Managements ist in die Krise geraten. Doch warum genau lässt die Methode zu wünschen übrig – und welche Alternativen gibt es?
Darüber haben wir mit Inga Höltmann, Gründerin der Accelerate Academy, gesprochen. Die New-Work-Expertin hat die Akademie für Führungskräfte gegründet, um sie für die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt fit zu machen – eine Welt, in der Hierarchien schwinden und Mitarbeiter eigenverantwortlich in verschiedenen Projekten tätig sind. Für die Berlinerin ist klar, dass Feedback heutzutage, in Zeiten agiler Arbeitsprozesse, ganz anders strukturiert sein sollte. Ständige Rückmeldungen und ernstgemeinte Reflexionen zu getaner Arbeit machen ihr zur Folge den Grundpfeiler unternehmerischen Erfolges aus.
Reife Organisationen suchen Alternativen und Ergänzungen für das Jahresgespräch

„Das Jahresgespräch ist nur noch die leblose Hülle einer eigentlich guten Idee“ – Inga Höltmann von der Accelerate Academy. (Foto: Axel Kuhlmann)
t3n.de: Inga, Hand aufs Herz: Hat das herkömmliche Jahresgespräch zwischen Chef und Mitarbeiter ausgedient?
Inga Höltmann: Naja, sagen wir es mal so: Gespräche und der Dialog sind die Hauptwerkzeuge in der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Führenden und das bleibt auch in Zukunft so. Ich habe aber den Eindruck, dass strukturierte und vorgeplante Jahresgespräche oftmals nur noch die leblose Hülle einer eigentlich guten Idee sind. Die gute Idee dahinter: verlässliche Strukturen für einen regelmäßigen Austausch schaffen. Nur leider sind sie in vielen Unternehmen meistens so regelgeleitet und müssen so minutiös dokumentiert werden, dass sie diesen Zweck kaum noch erfüllen können. Und meistens finden sie ja auch nicht wirklich auf Augenhöhe statt. Dann sollte man sich von ihnen verabschieden und sich lieber wieder auf das besinnen, worum es geht: den regelmäßigen Austausch auf Augenhöhe.
Wo genau liegt das Problem?
Der Austausch sollte kontinuierlich in die Arbeit integriert werden und selbstverständlich Teil der täglichen Arbeit sein. Vor allem die Kopplung der Gespräche an Gehaltserhöhungen oder Boni sind ein echter Konstruktionsfehler. In den Gesprächen sollte es um den Austausch über die Zusammenarbeit, über Entwicklungsmöglichkeiten oder Zukunftsperspektiven gehen. Stattdessen sind sie aber eigentlich ein Management-Werkzeug, das als Gesprächsangebot verhüllt daherkommt. Ich meine: Über Geld sollten wir in Unternehmen anders zu sprechen lernen und am besten auch nicht mehr unter vier Augen. Überhaupt frage ich mich, warum wir an dieser Zweierstruktur kleben sollten, wo wir doch zunehmend in Teams und in Kollaboration arbeiten. Oder vielleicht auch ganz hierarchielos ohne Chef – spätestens da wird überdeutlich, wie überholt dieses Ritual ist.
Was rätst du Unternehmen?
Ich rate vor allem, sich andere Strukturen zu überlegen, entlang folgender Fragen: Wie oft wollen wir uns austauschen? Auf welche Art? Und wie erkennen wir, dass wir den Rhythmus vielleicht erhöhen müssen? So ein System muss so flexibel sein wie die Arbeit, die man tut, und nicht regelgeleitet einmal im Jahr.
Was hat sich verändert in den vergangenen Jahren?
Es gibt noch immer Unternehmen, die gerade dabei sind, strukturierte Mitarbeitergespräche zu etablieren – und das kann auch durchaus richtig sein. Denn man sollte sich anschauen, woher sie kommen: Sie entstehen aus dem Wunsch heraus, Kommunikationskanäle beziehungsweise Gelegenheiten zu schaffen. Und insofern können sie auch ein wichtiger Zwischenschritt sein. Das funktioniert aber nur, wenn sie nicht zum Ritual erstarren und man sich zum richtigen Zeitpunkt auch traut, sie wieder abzuschaffen. Das Interessante ist, dass es Studien gibt, die einen Zusammenhang zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Jahresgesprächen nahelegen. Auch die Verweildauer im Unternehmen nimmt dann zu. Ich wage die Interpretation: Die Menschen sind dabei nicht vornehmlich glücklich, dass es die Gespräche gibt, sondern dass sie überhaupt ein Gesprächsangebot bekommen.

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Also hat sich gar nicht so viel verändert?
Doch, immer häufiger sehe ich in meiner Arbeit nämlich auch, dass sich Unternehmen von Jahresgesprächen verabschieden. Das ist eine gute Entwicklung, wenn damit andere Kommunikationsangebote kommen. Und das ist meistens auch der Fall: Fast nirgendwo wird isoliert das Jahresgespräch abgeschafft, sondern wenn wird es meistens ersetzt, sobald sich das Unternehmen grundlegender wandelt.
Was ist an dessen Stelle getreten?
Beispielsweise das Peer-Feedback, also Gruppengespräche innerhalb der Belegschaft. Den Boden für die Kommunikation im Team zu bereiten ist eine der wichtigsten Aufgaben der Führungskraft. Das funktioniert durch Meta-Kommunikation im Team und vor allem aber übers Vorleben: Offen sein, den Austausch zulassen und auch selbst Feedback annehmen sind dabei wichtige Zutaten für die Führungskraft.
Gespräche untereinander und auf Augenhöhe? Das klingt nach Wunschdenken.
„Wenn wir das Jahresgespräch abschaffen, geht die Reise erst richtig los.“
Ob Mitarbeiter sich trauen oder in der Lage sind, auch ihrer Führungskraft konstruktive Kritik zu geben, hat viel mit der Reife der Organisation zu tun. Das heißt, dass sich so etwas nicht über Nacht entwickelt, wenn die Jahresgespräche abgeschafft werden. Das stimmt und da muss die Führungskraft am Ball bleiben und die Mitarbeiter immer wieder ermutigen. So ein Ansatz ist ein langer Prozess und kann durchaus auch schmerzhaft sein oder von Konflikten flankiert. Man kann natürlich auch versuchen, solche Prozesse mithilfe von Software zu unterstützen. Da gibt es mittlerweile einige Services wie Company Mood oder Officevibe, mit denen Mitarbeiter sich untereinander bewerten und Unternehmen grafisch darstellen können, wie Teams miteinander arbeiten und wie die Mitarbeiter verknüpft sind.
Das heißt, dass ein Mix aus mehreren Methoden im Zweifel sogar zielführender sein kann.
Ganz genau. Denn es gibt eben nicht die eine, richtige Lösung. Ich denke, was uns klar sein sollte: Wenn wir das Jahresgespräch abschaffen, geht die Reise erst richtig los. Dann müssen wir nämlich suchen, was zu uns passt. Oder es vielleicht sogar selbst erfinden.
Wie lautet das Grundprinzip guten Feedbacks in Zeiten agiler Arbeitsprozesse?
Feedback sollte vor allem konstruktiv sein, das ist erst einmal nicht überraschend. Aber was ist konstruktives Feedback? Es sollte so geäußert werden, dass es mit Wertschätzung verbunden ist und konkrete Vorschläge und Ideen zur Verbesserung mitbringt oder zumindest den Raum eröffnet, sie gemeinsam zu erarbeiten. Leider habe ich das Gefühl, dass wir uns ganz generell zu wenig Zeit für so etwas nehmen, weil wir es als nicht produktiv empfinden und der Erfolg auch so schwer messbar ist.
Was noch?
Auch sollte Feedback so agil sein wie die Arbeit, die wir tun und sich ganz natürlich in unsere Tätigkeit einbinden, so dass wir es irgendwann als ganz normal empfinden Rückmeldung zu geben und zu empfangen. Es sollte quasi unser normaler Default-Status sein, unsere Arbeit zu tun und gleichzeitig über sie nachzudenken. Ist es nicht eher merkwürdig, das nicht zu tun? Das ist ja auch, was Digitalisierung ist: stetiger Wandel. Und da kann man nur dann Erfolg haben, wenn man sich nicht ausruht.
Liegt darin auch das größte Potential, das gutes Feedback im Unternehmen entfachen kann?
Auf jeden Fall. Wenn man sich anschaut, wofür Jahresgespräche gedacht sind, dann erkennt man schnell, dass sie hoffnungslos überfrachtet sind: Da soll es um Motivation gehen, Potenziale sollen entdeckt werden, Talente identifiziert und der Mitarbeiter entwickelt werden. Das alles in ein bis zwei Gesprächen im Jahr. Wie soll das gehen? Ihr Effekt dürfte unter diesen Umständen ziemlich schnell verpuffen. Das zeigt insofern, wie wichtig es ist, den Austausch über solche Themen fest in den Arbeitsalltag zu integrieren und permanent im Austausch zu bleiben. Leistung, Erwartungen und gemeinsame Ziele sollten kontinuierlich Thema sein, sodass man sofort gegensteuern kann, wenn etwas in die falsche Richtung läuft. Davon profitieren die Mitarbeiter, aber auch das Unternehmen. Der Lohn für eine gesunde Kommunikationskultur sind im besten Fall motivierte Mitarbeiter und funktionierende Teams und damit schlussendlich auch der unternehmerische Erfolg.
Das Gespräch mit Inga Höltmann ist Bestandteil des Artikels „Leistungsbeurteilung ohne Chef: Wenn Mitarbeiter Feedback geben“ im neuen t3n-Magazin, Ausgabe 51. Alle Themen des Heftes mit dem Schwerpunkt „Neue Arbeit“ kannst du hier einsehen. Lies auch: t3n 51: Weniger arbeiten – wie künstliche Intelligenz Freiräume fürs Wesentliche schafft
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