Früher oder später kommen die meisten Menschen an einen Punkt, an dem sie darüber nachdenken, etwas in ihrem Leben zu verändern. Nicht selten sind es auch berufliche Fragen, die umtreiben: Macht mir mein Job noch Spaß? Studiere ich das richtige Fach? Will ich mehr Freiheit? Oder mehr Sicherheit? Wir haben unsere t3n-Leser auf Twitter gefragt, ob sie selbst schon einmal vor Karriereumbrüchen standen. Und wie sie sich dabei fühlten beziehungsweise fühlen. Sechs Leser haben uns ihre Geschichten ausführlicher aufgeschrieben. Ein Blick auf ihren Werdegang zeigt, dass kaum ein Neustart ohne Ängste geschieht, dass neue Herausforderungen manchmal lähmen können, aber dass am Ende häufig ein großer Gewinn steht. Sechs Geschichten, die motivieren sollen, Veränderungen offen gegenüberzustehen.
„Ein roter Faden? Fehlanzeige!“
Von Julia Kümper
„Es gibt so einige Brüche in meinem Lebenslauf. Rückblickend ergänzen sie sich, auch wenn mir das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht klar war. Zunächst habe ich Physik und Geschichte auf Lehramt studiert, dann gewechselt und Physik gegen Politikwissenschaft getauscht (B.A.) und auf Partizipation (M.A.) spezialisiert. Parallel zum Master im Bereich Hebammenwissenschaft gearbeitet und einen Studierendenverein gegründet. Danach war ich angestellt als Innovationsberaterin für KMU an der Hochschule Osnabrück. Interessant, projektbasiert – und doch: perspektivlos. Ein roter Faden? Bislang nicht erkennbar. Wie also die Zukunft gestalten? Gespräche mit meiner Familie sowie Freunde und Freundinnen haben ergeben: Eine Gründung ist spannend. Und so ist mein Unternehmen Match-Watch entstanden, das viele meiner Erfahrungen und Kompetenzen vereint und das mich nicht zuletzt auch zur Geschäftsführerin des Venture Villa Accelerators formte. Brüche können respekteinflößend sein, aber jeder Mensch geht den eigenen Weg. Geht ihr euren.“
„Ich brauche Sicherheit“
Von Sarah Ganter
„Ich habe Modedesign studiert – ein typischer Mädchentraum. Aber anstelle eines glamourösen Designerjobs habe ich viele unbezahlte Praktika gemacht. Irgendwann habe ich entschieden, dass ich zu alt bin, um kostenlos zu arbeiten. Ich habe dann einige Jahre als selbstständige Designerin und nebenbei im Modeverkauf gearbeitet – beides jedoch halbherzig. Verkauf war nie meine Leidenschaft und die Selbstständigkeit war mir zu riskant. Ich brauche Sicherheit. Ich hab mich entschieden, ein zweites Mal zu studieren. Ich hatte wenig Bedenken, weil ich einfach nichts zu verlieren hatte. Ich wollte unbedingt etwas in meinem Leben ändern und brauchte eine neue Perspektive. Ich entschied mich zu einem Informatikstudium und habe es trotz meines schlechten Mathe-Abis erfolgreich abgeschlossen. Durch meinen Umstieg in die IT habe ich Jobsicherheit, bessere Gehaltschancen und auch mehr Selbstverwirklichung gefunden. Durch das breite Jobangebot konnte ich etwas finden, das wirklich zu mir passt. Statt Mode kreiere ich jetzt Industrie-4.0-Software und kann in meinem Job verschiedene Disziplinen wie UX-Design, Programmierung und Management verbinden. Ich rate jedem, einen Neuanfang zu wagen, wenn er oder sie das Gefühl hat, festgefahren zu sein.“
„Ich hatte schlaflose Nächte“
Von Tina Burkhardt
„Schon während meines Studiums habe ich meine erste Tochter bekommen. Anstatt wie geplant nach Tokyo zu gehen, habe ich dann als rechte Hand der Geschäftsleitung angefangen. Der Job war spannend und hat mir ermöglicht, Beruf und Kind unter einen Hut zu bringen. Trotzdem hatte ich als berufstätige Mutter immer für mich das Gefühl, mehr leisten zu müssen und nie ausfallen zu dürfen. In der Elternzeit mit der dritten Tochter habe ich mit meinem Mann viel über Vereinbarkeit und die Frage, was uns Sinn gibt, diskutiert. Unsere große Leidenschaft sind Menschen und Bildung. Wir wollen die Zukunft mitgestalten. Also haben wir vor vier Jahren noch einmal komplett bei Null angefangen, unsere Vision einer Lernwelt des 21. Jahrhunderts gebaut und unsere Shiftschool – Deutschlands erste Akademie für Digitalisierung – gegründet. Ich hatte dabei schlaflose Nächte, weil ich ein ‚analoger‘ Mensch war und zunächst keine Ahnung vom Gründen hatte. Bis heute bin ich jedoch froh, dass ich diesen Neustart gewagt habe. Es ist ein unglaubliches gutes Gefühl, wenn der Job so viel Freude macht.“
„Es geht mir um Sinnhaftigkeit“
Von Enise Lauterbach
„Ende 2018 entschied ich mich, meine klinische Tätigkeit nach 15 Jahren zu beenden. Ich kündigte an Heiligabend meine unbefristete Chefarztstelle in einer kardiologischen Rehabilitation. Es ging mir in meinem Schaffen immer um Sinnhaftigkeit. Leider hat mir das Gesundheitswesen hierzulande gezeigt, dass Profite über dem Wohl der Menschen stehen. Ich war todunglücklich, in so einem Umfeld zu arbeiten, in dem ich nichts bewegen konnte. Next Step: die Gründung eines Medizintechnik-Startups. Wir haben eine KI-basierte App entwickelt mit dem Ziel, die Versorgungssituation von mehr als zwei Millionen Menschen mit Herzinsuffizienz in Deutschland zu optimieren. Die Initiative ‚Make Your Wish‘ von Microsoft inspirierte mich, meine Idee – den ‚Herz-Held‘ – einzureichen. Die Vorstellung, zu scheitern, zu versagen und Häme ausgesetzt zu sein, ist recht präsent. Noch schlimmer finde ich jedoch den Gedanken, nichts zu wagen und mich selbst zu verlieren. Die wichtigste Unterstützung kommt von meinem Mann. Als das erste Mal das Wort Gründung fiel, war er zunächst skeptisch. Inzwischen findet aber auch er den Schritt unheimlich mutig und wichtig. Das bestärkt mich.“
„Ich schmiss mein Studium“
Von Tobias Kärcher
„Nach dem Abitur hatte ich wenig konkrete Zukunftspläne und den Kopf voll anderer Dinge. Dennoch war klar: irgendwas muss man ja studieren. Ich entschied mich für ein Studium der früh- und vorgeschichtlichen Archäologie. Das Studium zog sich und ich begann, als Online-Redakteur bei einem Hamburger Medienhaus zu jobben. Bald folgten auch erste Aufgaben im Marketing. Das – und dieses gerade aufkeimende Ding namens Social Media – zog mich schnell in seinen Bann. Ein paar Monate später begann ich ein Praktikum in einer Agentur. Ich schmiss mein Studium kurz vor dem Magister. Natürlich hatte ich eine Heidenangst, es würde sich bald als Fehler herausstellen: Ohne Abschluss scheitern in einer Branche, die ich erst seit kurzem kennengelernt hatte. Das Gute war: Es gab damals eh keine richtige Ausbildung für das, was ich vorhatte: digitale Werbekampagnen konzipieren. Vielleicht trieb mich diese Angst auch in den folgenden Jahren an. Im Nachhinein eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Heute weiß ich: Das Bauchgefühl ist in solchen Dingen ein guter Ratgeber. Wer mit seiner aktuellen Situation unzufrieden ist, sollte dringend etwas ändern.“
„Ich hätte das schon viel früher machen sollen“
Von Mike Linsenbold
„Ich war bis noch vor wenigen Jahren als Kfz-Meister tätig. Den Beruf übte ich seit 1991 aus. Heute habe ich meine eigene IT-Dienstleistungsfirma. Ich suchte neue Herausforderungen und mein alter Beruf wurde mit der Zeit immer anspruchsloser für mich – ich tat immer nur das gleiche. Plötzlich hatte ich morgens keine Lust mehr, zur Arbeit zu gehen. Selbst nach einem Urlaub habe ich meine Motivation nicht wiedergefunden. Da wurde mir klar, dass ich was ändern muss. Die Angst, dass das bisher sichere Gehalt wegbricht, hielt mich zurück, mich sofort selbstständig zu machen. Ich hatte einen guten Verdienst und soziale Absicherung. Ich baute mir 2004 also zuerst einmal ein Nebengewerbe auf und betreute einige Steuerbüros bezüglich ihrer Datev-Umgebung und IT-Infrastruktur. Ich machte nebenher viele Fortbildungen. Da ich etwas Geld auf der hohen Kante hatte und mir meine Frau, die den kaufmännischen Teil meiner Firma übernahm, in jeder Hinsicht den Rücken stärkte, wagte ich 2014 dann endlich den Schritt und kündigte meine Arbeitsstelle. Ich hatte direkt zu Beginn einige Aufträge zu erledigen und trotzdem hat mich eine Zeit lang die Angst vorm Scheitern fast gelähmt. Diese Angst verlässt einen zwar nie ganz, aber trotzdem denke ich heute, dass ich das alles schon viel früher hätte angehen sollen. In den Projekten meiner Kunden kann ich mich wieder verwirklichen.“
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