Kündigung wegen ausgeschalteter Webcam? Das sagt die Arbeitsrechtlerin
Kürzlich haben wir über den Fall eines holländischen Mitarbeiters berichtet, der von seiner amerikanischen Firma Chetu fristlos entlassen wurde, nachdem er sich geweigert hatte, seine Webcam einzuschalten.
„Ich fühle mich nicht wohl dabei, neun Stunden am Tag von einer Kamera überwacht zu werden“, schrieb er als Begründung für seine Entscheidung an das Softwareunternehmen, für das er remote tätig war. „Das ist ein Eingriff in meine Privatsphäre und ich fühle mich sehr unwohl dabei.“
Zudem habe Chetu bereits die Möglichkeit, seine Arbeit zu verfolgen, da er seinen Bildschirm freigegeben habe und das Unternehmen alle Aktivitäten auf seinem Laptop überwachen könne.
Kündigung wegen „Arbeitsverweigerung“
Die Firma aus Florida zeigte kein Verständnis für die Bedenken des Mitarbeiters und kündigte ihm nur einen Tag später wegen „Arbeitsverweigerung“ und „Aufsässigkeit“.
Der Mann, der diesen Schritt als unverhältnismäßig ansah, klagte gegen die Kündigung und bekam recht. Insgesamt wurde er mit 75.000 Euro entschädigt.
Laut Gericht war es für das US-Unternehmen nicht zulässig, von seinem Mitarbeiter zu fordern, die Webcam den ganzen Arbeitstag über laufen zu lassen. Es spricht in seinem Statement von einer Menschenrechtsverletzung.
Das sagt die Arbeitsrechtlerin
Wie sieht die rechtliche Lage dazu in Deutschland aus? Darf ein Unternehmen von seinen Mitarbeiter:innen fordern, ihre Webcams eingeschaltet zu lassen? Und wie sind die Erfolgsaussichten einer Klage? Wir haben bei Barbara Geck, Partnerin bei Bird & Bird und Fachanwältin für Arbeitsrecht, nachgefragt.
t3n: Frau Geck, dürfen Unternehmen in Deutschland ihre Mitarbeitenden zwingen, ihre Webcams zu starten und angeschaltet zu lassen?
Barbara Geck: Eine dauerhafte Überwachung von Mitarbeiter:innen ohne konkreten Grund und Anlass ist auch in deutschem Recht unzulässig. Das Bundesarbeitsgericht hat mehrfach festgestellt, dass eine dauerhafte lückenlose Überwachung von Mitarbeitern einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt.
Eine Überwachungsmaßnahme muss daher konkret erforderlich und auch verhältnismäßig sein. Eine dauerhafte Überwachung von Mitarbeiter:innen ohne jeden konkreten Grund oder Anlass ist nicht zumutbar. Etwaige hierbei gewonnene Beweise wären in einem Prozess nicht verwertbar.
t3n: Wie sieht es beim Thema Datenschutz aus?
Geck: Datenschutzrechtlich dürfen nur für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Daten verarbeitet werden. Eine Kamera, die Mitarbeiter:innen während ihrer gesamten Arbeitszeit ununterbrochen überwacht, sammelt wesentlich mehr Daten, als im Rahmen des Arbeitsverhältnisses tatsächlich erforderlich sind.
Eine Ausnahme kann man sich nur denken, wenn besondere Sicherheitsinteressen betroffen sind, zum Beispiel in einem Atomkraftwerk oder an einem Ort, an dem besondere Wertgegenstände aufbewahrt oder verarbeitet werden.
Auch hier wird man aber im Zweifel nicht die Mitarbeiter:innen lückenlos überwachen dürfen, sondern nur die sicherheitsrelevanten Bereiche, zum Beispiel den Eingang zum Tresorraum. Solche Überwachungsmaßnahmen haben zudem offen zu erfolgen.
t3n: Heißt das, in Deutschland hätte ein Gericht ähnlich entschieden wie im Fall des Chetu-Mitarbeiters?
Geck: Ja. Da die Weisung, die Kamera dauerhaft angeschaltet zu haben, rechtswidrig ist, hätte auch in Deutschland in diesem Fall nicht gekündigt werden dürfen. Es handelt sich bei dem Fall um eine Verletzung des grundgesetzlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
t3n: Wäre der Mitarbeiter Deutscher und hätte hier geklagt, mit welcher Entschädigung hätte er rechnen können?
Geck: Er hätte im Zweifel Erfolg mit der Kündigungsschutzklage. Er kann möglicherweise auch einen Anspruch auf Schadenersatz auf Grundlage der Datenschutzgrundverordnung haben. Hierzu entwickelt sich gerade die Rechtsprechung, sodass im Moment zur möglichen Höhe des Schadenersatzes noch nicht viel gesagt werden kann.
Zudem hängt dies sehr von den Umständen des Einzelfalles ab: Wie sehr hat es den Mitarbeitenden tatsächlich belastet? Wie sehr wurde er oder sie unter Druck gesetzt, das zu akzeptieren? Was ist mit den Daten passiert? Wie gut werden diese dann vor Missbrauch geschützt? Und mehr.
t3n: Vielen Dank, Frau Geck!