Merkwürdige Beobachtung: Die Milchstraße scheint Masse zu verlieren

Am Rande der Milchstraße bewegen sich Sterne viel langsamer als Sterne in ähnlicher Lage in anderen Galaxien. Zu diesem Ergebnis kommen allein in diesem Jahr vier unabhängige Studien von verschiedenen Forschungsgruppen, die die neuesten Messungen des Gaia-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) auswerten.
Warum die randständigen Sterne sich so stark verlangsamt haben, bleibt aber unklar. Denkbar scheint, dass unsere Galaxie einen außerordentlichen Mangel an dunkler Materie aufweist. Das ist die Substanz, von der wir annehmen, dass sie als eine Art Schwerkraftgerüst für kosmische Strukturen dient. Eine andere Möglichkeit ist, dass schlicht unsere Vorstellungen von dunkler Materie falsch sind.
Da die Geschwindigkeit der Sterne eine Möglichkeit darstellt, eine Galaxie zu wiegen, kommen Forschende auch diesbezüglich nun auf andere Werte. Unter der Annahme, dass die Gravitationskraft, die jeder einzelne Stern erfährt, von der Gesamtmasse der Galaxie abhängt, muss sich eine Verlangsamung auch in Masse ausdrücken lassen.
Eine aus den aktuellen Gaia-Daten abgeleitete Studie, die jüngst in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde, schätzt die kombinierte Masse von Gas, Staub, Sternen und dunkler Materie in unserer Galaxie nunmehr auf das 200-Milliarden-Fache der Masse unserer Sonne. Das ist etwa fünfmal weniger als die Masse, die in mehreren anderen früheren Schätzungen ermittelt wurde.
Nachdem aber die sichtbare Materie der Milchstraße nicht weniger geworden ist, liegt die genannte Annahme, dass sich weit weniger dunkle Materie in der Milchstraße befindet als bisher angenommen, relativ nahe. Das berichtet der Scientific American.
Andere Forschende sehen in den neuen Ergebnissen nicht zwingend eine plausible neue Entdeckung. Sie halten es für möglich, dass die Gaia-Daten schlicht falsch interpretiert wurden oder dass wir einfach zu viele der nötigen Parameter für eine fundierte Beurteilung noch gar nicht kennen.
Tatsache ist indes, dass der 2013 gestartete Gaia-Satellit die bislang besten Möglichkeiten bietet, diese Art von Messung präzise auszuführen. Zu beachten ist allerdings, dass sich die Genauigkeit von Gaias Berechnungen im Gleichschritt mit der Dauer der Beobachtung seiner Sternproben verbessert.
Grund zur Skepsis hinsichtlich der Ergebnisse der neuen Studien bietet auch der Umstand, dass bislang keine weitere Galaxie gefunden werden konnte, die dieses merkwürdige Verhalten an ihren Rändern zeigt. Das würde dem kosmologischen Grundsatz widersprechen, dass es an keinem bestimmten Ort im Universum etwas Besonderes gibt.
Die Frage, ob sich unsere Milchstraße also tatsächlich verkleinert, ob sie geradezu leckgeschlagen ist und dunkle Materie verliert, oder ob wir einfach nur präzisere Messungen brauchen, wird die Weltraumforschung in den nächsten Jahren umtreiben. Neue Gaia-Daten jedenfalls sind 2025 zu erwarten.
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