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Analyse

Ungeschminkte Wahrheit: Der neue Natürlichkeitstrend in sozialen Netzwerken

Sixpack und Thigh-Gap waren gestern. Nichts liegt auf Social Media derzeit so sehr im Trend wie Pickel, Speckröllchen und Co.

Von Noëlle Bölling
5 Min.
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Das Posten vermeidlich perfekter Bilder auf Instagram war gestern. (Foto: Kicking Studio / shutterstock)

Influencerinnen wie Charlotte Weise machen es vor: Täglich präsentiert sie sich ihren knapp 135.000 Followern ungeschminkt und mit fettigem Haar – und wird dafür gefeiert. Mit ihrem herrlich ehrlichen Content zeigen sie, dass die Menschen nicht nur perfekte Bilder aus dem Beach-Club sehen wollen, für die bis zur letzten Pore Photoshop bemüht werden musste. Stattdessen glänzen sie mit Natürlichkeit – und beweisen, dass sich der Lebensunterhalt auch auf diese Weise verdienen lässt.

Mit Social Media zum Milliardengeschäft

Traumhäuser, Traumstrände, Traumkörper: Dafür sind Social-Media-Plattformen wie Instagram und Youtube bekannt. Und das Konzept hat in den vergangenen Jahren so gut funktioniert, dass daraus sogar eine eigene Berufsgruppe hervorgegangen ist. In den meisten Fällen präsentieren die Influencer ihr vermeintlich perfektes Leben und preisen ganz nebenbei allerhand Produkte und Dienstleistungen an, egal, ob Klamottenmarke, Kosmetiklinie oder Luxus-Resort. An erster Stelle steht hierbei natürlich eines – und das ist der Kommerz.

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Wie gut diese noch relativ junge Marketing-Disziplin funktioniert, beweist eine BVDW-Studie aus dem Frühjahr 2020: Mehr als jeder Fünfte gab hier an, schon einmal ein Produkt gekauft zu haben, weil er es zuvor bei einem Influencer gesehen hatte – bei den 16- bis 24-Jährigen sagte dies sogar mehr als die Hälfte der Befragten. Und das ist kein Wunder: Mehr als jeder Vierte konsumiert mindestens einmal täglich Content auf Social Media. Dadurch werden unzählige neue Touchpoints geschaffen, die durch die klassischen Medien niemals möglich wären.

Leider ist hinter den Kulissen nicht alles so rosarot, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag. Dass die teilweise extrem überteuerten Produkte (hier kostet ein aromatisierter Früchtetee zum Beispiel schnell 25 Euro im Vergleich zu knapp vier Euro für dieselbe Menge im Supermarkt) aber nicht das schöne Leben mit sich bringen, dass Influencer wie Dagi Bee oder Sami Slimani suggerieren, haben inzwischen viele bemerkt – sogar von einer gewissen Social-Media-Fatigue ist die Rede. Und auch im Rahmen einer Umfrage von Deloitte gaben mehr als sechs von zehn der Generation Y und Z an, gesünder zu sein, wenn sie weniger Zeit mit Social Media verbringen würden. Fast genauso viele sagten, sie wären glücklicher ohne Instagram, Tiktok und Co.

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Tatsächlich kann die scheinbare Dauerperfektion für junge Social-Media-Nutzer richtig gefährlich werden. Der Grund dafür: Die Pubertät ist eine wichtige Entwicklungsphase, in der das eigene Selbstbild maßgeblich vom Feedback anderer bestimmt wird. Sich mit anderen zu vergleichen, um den eigenen Platz in der Welt zu definieren, ist dabei ein wichtiger und andauernder Prozess. Bestehen die Inhalte, die Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren durchschnittlich zweieinhalb Stunden pro Tag konsumieren, allerdings lediglich aus gephotoshoppten Traumkörpern, ist ein Bezugsverlust zur Realität so gut wie vorprogrammiert.

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Ungeschminkte Wahrheit statt Glamour und Glitzer

Sogar einigen Influencern selbst ist das dauerhafte Streben nach Perfektion inzwischen zu anstrengend geworden. Aus diesem Wunsch nach mehr Natürlichkeit ist jetzt ein anderer, gegensätzlicher Trend entstanden – und der feiert den Mut zur Hässlichkeit. Vor allem unter dem Hashtag #mehrrealitätaufinstagram posten Instagrammerinnen wie Charlotte Weise, Dariadaria oder Vanezia_Blum Bilder, die sie zeigen, wie sie wirklich aussehen – und zwar mit unreiner Haut, Speckröllchen und fettigem Haar. Eine Influencerin, die genau mit dieser ungeschminkten Wahrheit erfolgreich geworden ist, ist die Österreicherin Antonia Schulze. Auf ihrem Instagram-Account Mutausbrueche zeigt sie regelmäßig, was das Absetzen der Pille mit ihrem Körper angerichtet hat – ein Thema, das viele junge Frauen beschäftigt. Auch heute, Jahre später, leidet sie noch immer unter Hautunreinheiten und Pickelmalen. Irgendwann war sie es schlichtweg leid, ihre vermeintlichen Makel zu verstecken, wie sie uns im t3n-Interview erzählt. „Nach eineinhalb Jahren des Schweigens und Schminkens, in denen es mir oft schlecht damit ging, war ich bereit, meine Probleme mit hormoneller Akne zu teilen“, berichtet Antonia im Gespräch. „Für viele führen wir ein ‚perfektes Glamourleben‘ und werden beneidet. Deshalb finde ich, dass es wichtig ist, den Menschen zu zeigen, dass auch bei uns nicht alles so ist, wie es oft nach außen scheint. Wenn wir zeigen, dass wir dieselben Probleme wie jeder andere haben, sorgt das stattdessen für Sicherheit und Verständnis.“

 

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Für Jacqueline Bourke, die als Head of EMEA Creative Insights bei der internationalen Bildagentur Getty Images tätig ist, liegt nahe, wieso gerade diese Offenheit so gut bei den Followern ankommt: „Die Beliebtheit ist darauf zurückzuführen, dass wir bei den Verbrauchern, insbesondere in Deutschland, einen starken Wunsch nach authentischeren Darstellungen feststellen können. Die Ergebnisse unserer erst kürzlich durchgeführten Visual-GPS-Studie belegen, dass sich acht von zehn der deutschen Konsumenten wünschen, dass Marken alle Arten von Körperformen, -größen und -typen zeigen. Die Untersuchung ergab auch, dass mehr als jeder Zweite im Alltag mit Bildern konfrontiert wird, die die Realität verzerrt darstellen, wobei Körperdiskriminierung für alle Generationen am häufigsten vorkommt.“

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Gemeinsam für mehr Realität auf Social Media

„Ich weiß, wie schlimm die Psyche und das Selbstwertgefühl unter diesen Umständen und Problemen leiden können“, berichtet Antonia alias Mutausbrüche weiter. „Deshalb mein Rat an alle, die manchmal an sich zweifeln: Du bist nicht alleine! Mein Kanal soll ein Ort für den Austausch sein, er soll einem das Gefühl geben, dass man mit diesen Problemen nicht alleine ist und es noch ganz viele andere Frauen gibt, die dasselbe beschäftigt. Und natürlich das Allerwichtigste: Unsere Haut bestimmt nicht unseren Wert!“ Die Visual-GPS-Studie von Getty Images hat ergeben, dass sich bisher nur sechs Prozent der Deutschen angemessen von der Werbung präsentiert werden. „Für mich ist es keine Überraschung, dass sich Verbraucher auf Plattformen wie Instagram nach Gleichgesinnten umsehen, mit denen sie sich ebenfalls identifizieren können“, sagt Jacqueline Bourke von Getty Images deshalb dazu.

Natürlich machen auch die natürlichen Schönheiten das alles nicht umsonst. Und wie wir bereits berichteten, können auch Influencer mit weniger Follower-Zahlen einen ordentlichen Batzen Geld für Kooperationen mit großen Marken kassieren – einer Studie zufolge sogar bis zu 30.000 US-Dollar pro Kampagne. Aber: Anders als Mega-Influencer wie Bibi und Co. nimmt Antonia längst nicht jedes Angebot an. Ganz im Gegenteil, so brach sie eine Kooperation mit dem Mode-Label Les Lunes beispielsweise von heute auf morgen ab, nachdem kritische Stimmen bezüglich des angeblich fair und ökologisch hergestellten Bambusstoffes laut wurden. Auch wenn es um Geld geht, scheint sie ihrer Authentizität und ihren Prinzipien demnach treu zu bleiben, und ist damit eines dieser Vorbilder, von denen wir uns in den sozialen Netzwerken mehr wünschen würden!

 

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BertaWo

Sorry, die Headline geht gar nicht. Mit „Mut zur Hässlichkeit“ fördern Sie ein unnatürliches Schönheitsideal. Sie unterstreichen damit, dass jede Frau, die sich natürlich präsentiert, weil sie gerade nicht der gefakten Glamourwelt und Modelmaßen entspricht, tendenziell hässlich sei. Diese Frauen sind imho natürlich schön. Die glatte (social) Medienwelt hat uns nur in jahrelanger Gehirnwäsche ein anderes Schönheitsideal eingepflanzt. Der Artikel rückt diese Aussage zwar dann wieder etwas gerade, aber trotzdem ist eine solche Headline für ein sonst so gutes Medium wie t3n imho nicht tragbar, ich würde fast sagen diskriminierend.

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Kirstin

Das wäre auch MEIN Kommentar gewesen. Ich bin über den XING-Newsletter drauf gestoßen, der die (ehemalige) Headline als Teaser genutzt hat. Es sieht so aus, als sei schnell gehandelt worden, denn mittlerweile lautet die Headline: „Ungeschminkte Wahrheit: …“. Gut für diesen Artikel, schade noch für den XING-Newsletter…
Kurz noch mein Kommentar: Genau solche Headlines und dahinterliegende Denkmuster, bei denen Natürlichkeit mit Hässlichkeit gleichgesetzt wird, sind Teil des Problems.
Danke für die alternative Headline!

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Noëlle Bölling

Liebe Kristin,
Liebe BertaWo,

herzlichen Dank für das Feedback und dass Sie mich und die Redaktion darauf aufmerksam gemacht haben! Das ist sehr wichtiges Thema und wie Sie dem Artikel entnehmen können, bin ich sehr froh darüber, dass auf sozialen Netzwerken derzeit ein gewisser Wandel spürbar ist. Damit dieser weiter vorangetrieben werden kann, sind solche Diskussion unbedingt nötig.

Antworten
Jörg

Ähm verstehe ich irgendwas nicht? Mutausbrueche ist doch genau so ein Insta-Account, wie er vermeintlich kritisiert wird: völlig glattgebügelt und unnatürlich. Okay, da stechen die beiden ‚Pickelbilder‘ raus. Aber das ist jetzt das neue Umdenken? Oder einfach ein Anbiedern?

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