Es hätte alles so schön sein können, dachte sich Nadine Meier als der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub begann. Sie hatte die Reise frühzeitig gebucht, ihren Abgang gut organisiert und wollte sich eigentlich nur noch um das Tagesgeschäft und die Abwesenheitsnotiz ihres E-Mail-Accounts kümmern. Die junge Frau gehört zu der Sorte Mensch, die Stress versuchen zu umgehen. „Ich plane gerne im voraus, um böse Überraschungen zu vermeiden“, erklärt sie im Gespräch. Eigentlich eine Tugend, die ihr im Job zu mehr Beinfreiheit und Ausgeglichenheit verhilft. Und doch wird die gute Vorbereitung für sie des Öfteren zum Bumerang.
Kannst du nochmal schnell …? Wir hätten gerne, dass …! Du hast doch sicher noch Zeit für …? So etwas hört Nadine Meier nämlich häufig. Auch vor dem bevorstehenden Urlaub, denn ihr Teamleiter schafft es nicht zu einem Kundentermin. Sie solle einspringen, sich vorher mit den Kollegen abstimmen und die Zahlen in der Präsentation anpassen. Sie hätte doch nichts Großes mehr auf dem Zettel, meint ihr Chef. Dass so ein Termin jedoch gut vorbereitet sein will und die junge Frau bei dem Gedanken, es nicht zu sein, in Hektik gerät, übergeht der Vorgesetzte. „Mit mir kann man es ja machen“, sagt sie genervt. Ein klares „Nein!“ brachte sie nicht über die Lippen.
„Ein überzeugtes Nein erfordert eine reife Persönlichkeit!“
Ja-Sager werden oft zur Zielscheibe solcher Aktionen, da das Konfliktpotential im Umgang mit ihnen so gut wie gegen Null geht. Keine Diskussionen, kein Abwägen von Aufgaben, einfach Weiterdelegieren. Doch warum schaffen es so viele Menschen nicht, einfach „Nein!“ in derartigen Situationen zu sagen? Häufig finden sich die Gründe auf persönlicher Ebene. Vor allem der Wunsch nach Anerkennung kann der Auslöser sein, verrät uns die Hamburger Karriereberaterin Svenja Hofert. „Wer in der Kindheit beispielsweise gelernt hat, dass ein Nein zu einem Kontaktabbruch oder Liebesentzug führt, wird im Erwachsenenalter wesentlich häufiger zum Ja-Sager.“ Die Angst vor Ablehnung ist bei diesen Menschen besonders stark ausgeprägt.
Doch auch Personen, die früh lernten, dass Konflikte unter den Teppich gekehrt gehören, entwickeln derartige Verhaltensmuster. Lars Franke – der wie alle Ja-Sager in diesem Text eigentlich anders heißt – ist in so einem Umfeld aufgewachsen und hätte sich mit manch einer Absage schon oft Ärger ersparen können. Als er mit einem Freund vor Jahren eine WG gründete und der Mitbewohner die Küche in Eigenregie renovieren wollte, war Franke zunächst skeptisch. Er wusste, dass sowohl er als auch sein Freund zwei linke Hände haben, jedoch wollte er Krach mit dem oft streitlustigen Kumpel vermeiden. Das Ergebnis war unschön und der Handwerker kam schlussendlich trotzdem. „Wir haben einiges an Geld versenkt“, erinnert er sich.
„Ein überzeugtes Nein erfordert eine reife Persönlichkeit und eine hohe innere Souveränität“, erklärt Karriereberaterin Svenja Hofert. Wer die nicht hat, könne nicht nur alltägliche Nachteile erfahren, sondern sich im schlimmsten Fall auch hohen gesundheitlichen Risiken aussetzen. Ja-Sager neigen nämlich zur Erschöpfung und Unzufriedenheit, da sie ständig am Limit ihrer Leistungskraft und gegen die eigenen Bedürfnisse agieren. Hofert rät, dass Betroffene nicht immer sofort dem ersten Impuls folgen, sondern lieber tief in sich hineinhören sollten. „Lieber eine Antwort vertagen als zu schnell Ja sagen“, meint die Hamburgerin. Ein „Nein” sei immer dann die bessere Antwort, wenn man damit bei sich selbst bleibt und sich nicht zerreißt.
Einfach mal „Nein” sagen: Für sich einzustehen, hebt das Selbstwertgefühl
Für viele Menschen ist das leichter gesagt als getan. Und doch lässt sich das in der Kindheit erlernte Verhalten auch im Erwachsenalter noch abtrainieren. Sie müssen schlichtweg lernen, dass ein „Nein“ oder ein „Später vielleicht“ als alternative Antworten völlig ok sind und vor allem, dass sie Brüche in Kauf nehmen müssen, wenn sie sich im Leben nicht ausnutzen lassen möchten. Wer es alleine nicht schafft, kann auf verschiedene Angebote zurückgreifen – angefangen bei einem simplen Coaching bis hin zu einer professionell begleiteten Psychotherapie. Letzteres kann unter Umständen sogar von der Krankenkasse übernommen werden, wenn das negative Verhaltensmuster auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen ist.
Auch Frida Reimann hat gelernt, Absagen zu formulieren – wenn auch erst im höheren Alter. Die Rentnerin, die sich in einem Hausaufgaben-Projekt ehrenamtlich engagiert, fühlte sich von der Mutter eines Nachhilfeschülers ausgenutzt. Es wurden Klassenarbeiten erfunden, damit die hilfsbereite Dame auch außerhalb der festgelegten Nachhilfestunden mit ihrem Schüler übt. Die Mutter war, anders als sonst, während dieser Zeit jedoch nicht daheim. „Mir fiel schnell auf, dass ich im Grunde nur auf das Kind aufpassen sollte“, verrät die Berlinerin. „Die Extrastunden waren unnötig, aber ich hab mich nicht getraut ‚Nein’ zusagen.“ Erst als ihr eigener Sohn sie dazu drängte, klare Regeln aufzustellen, fasste sie sich ein Herz.
„Ein gehauchtes ‚Nein’, ist wie ein Fähnchen im Wind.“
„Einfach fiel es mir nicht“, erklärt Frieda Reimann und sagt, dass die Mutter des Jungen zunächst eingeschnappt war, als die Rentnerin ihr beim nächsten Mal den Wunsch abschlug. Doch der Unmut legte sich recht schnell und der Beziehung tat das langfristig keinen Abbruch. In der Familie herrscht immer noch große Dankbarkeit, dass sie überhaupt für den Schüler da ist. Das Gefühl sich durchgesetzt zu haben, hob das Selbstwertgefühl der zierlichen Frau schlussendlich an. Zwar neige sie immer noch dazu im Alltag öfter zu- als abzusagen, jedoch lässt sie sich nicht mehr ausnutzen, sondern hilft immer dann, wenn wirklich Hilfe gebraucht wird. „Ich bin halt so“, sagt die engagierte Frau. „Ich helfe ja gerne!“
Doch wie sagt man eigentlich richtig „Nein“? Dieser Text darf natürlich nicht enden, ohne eine Antwort auf diese Frage zu liefern. Die Kunst sei es, die Absage auf eine wertschätzende und freundliche Art zu sagen, verrät Svenja Hofert. Sie soll klar und bestimmt, aber ohne in ein trotziges Abwehrverhalten erfolgen. „Entscheidend ist dabei die persönliche Haltung und das meine ich durchaus im doppelten Sinn: Ein gehauchtes Nein, ist wie ein Fähnchen im Wind, ein bestimmtes wie der Fels in der Brandung“, erklärt die Karriereberaterin. Wer also absagt sagt, sollte das auch mit Nachdruck tun – und so, dass aus einem halbherzigen „Nein” am Ende nicht doch wieder ein „Ja” wird. Nur so wird man auch ernstgenommen.
Übrigens, die US-amerikanische Angel-Investorin Joanne Wilson verriet kürzlich auf ihrem Blog, wie sie sich in einer Männerdomäne nicht unterkriegen lässt. Lies auch: Mit diesem einfachen Trick bleibst du als Frau im Job selbstbewusst