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Analyse

Neues 9-Euro-Ticket: Wieso der ÖPNV-Rabatt zu Chaos führen könnte

Für Bus- und Bahnfahrer wird die Nutzung des Nahverkehrs zeitweise deutlich günstiger – drei Monate lang soll ein Monatsticket nur neun Euro kosten. Allerdings sind noch einige Details zu klären.

3 Min.
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Eine U-Bahn der BVG in Berlin. (Foto: Dante Busquets/Shutterstock)

Eher ein Teilaspekt des Energieentlastungspakets, das die Bundesregierung in der vergangenen Woche beschlossen hat, war das 9-Euro-Ticket, das die Ampelkoalition für den öffentlichen Personennahverkehr plant. Doch jetzt zeigt sich, was schon im Vorfeld absehbar war: Das 9-für-90-Ticket (neun Euro pro Monat, angeboten für 90 Tage) könnte das Projekt mit dem höchsten Verwaltungsaufwand werden.

Es ist kompliziert

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Denn das Nahverkehrswesen ist in Deutschland vielfältig: Während Nordrhein-Westfalen mit gerade einmal vier Verbünden auskommt und die Stadtstaaten sowie das Saarland einen einzigen landesweiten Verbund haben, ist insbesondere in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz das Verbundwesen deutlich komplexer. Teils sind hier der Schienenpersonennahverkehr (also die Nahverkehrszüge der Bahn) eingeschlossen, teils nicht. Baden-Württemberg schließlich hat neben dem Bwtarif, der als eine Art Dachtarif verbundübergreifend angelegt ist, auch die einzelnen Verbünde. Schon aus diesem Grund ist der Umfang dessen, was den Kund:innen für neun Euro monatlich geboten wird, sehr unterschiedlich und kaum vergleichbar.

Denn wofür die jeweiligen Neun-Euro-Tickets gelten werden und wie die Übergangsregeln in den nächsten Verbund gestaltet werden, ist ebenso unklar wie die Frage, wo und unter welchen Bedingungen das Neun-Euro-Ticket bezogen werden kann, ob es namensgebunden ist (von einer Personenbindung ist auszugehen) und ob entsprechende Kundenkarten hierfür erforderlich sein werden. Die Nahverkehrsunternehmen wurden dem Vernehmen nach von dem Vorstoß der Bundesregierung überrascht, sodass zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar ist, wann genau der 90-Tage-Zeitraum sein wird und ob alle Verkehrsbetriebe das Angebot zeitgleich bieten können.

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In der Region Hannover als Träger des Verkehrsverbunds GVH und des Verkehrsverbunds Bremen-Niedersachsen (VBN) sieht Regionspräsident Steffen Krach noch eine Reihe an offenen Fragen, insbesondere wie es nach den drei Monaten weitergehen soll: „Für mich stellt sich allerdings die Frage, was danach kommt. Wenn wir wirklich eine Mobilitätswende schaffen wollen, brauchen wir dauerhaft einen günstigen ÖPNV. Und dafür muss auch langfristig Geld zur Verfügung stehen“, sagte der SPD-Politiker. Krach verwies auch auf Pläne der Region Hannover, ein 365-Euro-Jahresticket einzuführen – eine Idee, die seit Jahren in vielen Gegenden Deutschlands durch Verkehrsexpert:innen propagiert wird und die beispielsweise ein (in der Finanzierung allerdings kaum vergleichbares) Vorbild in Wien hat.

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Zusätzlicher Bedarf schwer vorherzusagen

Wie viele Fahrgäste mehr durch das Neun-Euro-Ticket zum Umstieg bewogen werden, dazu traut sich wohl noch keiner der Beteiligten ein Urteil zu, da ein solches Szenario schon aufgrund der Sondersituation schwer zu evaluieren ist. VBN-Geschäftsführer Rainer Counen etwa bezeichnete eine Steigerung der Fahrgastzahlen als wünschenswert, jedoch gebe es auch gegenläufige Effekte – insbesondere durch Corona: „Hohe Inzidenzen stehen der Nutzung von Bussen und Bahnen immer noch im Wege, durch mobiles Arbeiten sind Fahrtanlässe weggefallen“ – auf der anderen Seite könnten die hohen Preise für Benzin und Diesel zu einer höheren Nutzung des Nahverkehrs führen. „Daher ist es im Moment schwierig zu beurteilen, wie sich das Nutzerverhalten entwickelt.“

Vergleichsweise einig ist man sich in der ÖPNV-Welt dagegen darüber, dass auch Abo- und Bestandskund:innen von der Vergünstigung profitieren müssen. Dazu könnten bestehende Abos um drei Monate verlängert oder Differenzbeträge ausgezahlt werden, schlug Regionspräsident Krach vor. Auch VBN-Geschäftsführer Counen glaubt, eine Berücksichtigung der Bestandskunden sei umsetzbar, weil es in der Regel automatisierte Rechnungsläufe gebe, die angepasst werden können.

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Wirkliches Investieren in die Verkehrswende ist wichtiger

Was dabei allerdings nicht vergessen werden darf: Der Bund hat angekündigt, neben der Erhöhung der Regionalisierungsmittel für die Verkehrsbetriebe auch intensiv in den Nahverkehr zu investieren, um zur Verkehrswende beizutragen. Verkehrsexpert:innen werden intensiv hinschauen, in welchem Umfang dieses (schwammig formulierte) Versprechen eingelöst wird. Denn etwa aus Sicht des Interessenverbandes Pro Bahn wäre es wichtiger, in den generellen Ausbau der Bahn zu investieren – so wie es die Ampel-Koalition bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen hatte. Zu erwarten ist, dass durch das Neun-Euro-Ticket auch jene Zielgruppen Bus und Bahn für sich entdecken (oder bei entsprechend unzureichendem Angebot auch wieder verwerfen) werden, die nur sporadisch und zusätzlich zum Pkw die Öffentlichen nutzen.

Noch einen Schritt weitergehen würde sogar die Verkehrsministerkonferenz – sie schlug nun sogar einen Nulltarif vor, weil das den Aufwand für die Verkehrsverbünde niedriger halten würde. Diese Empfehlung solle in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe geprüft werden, sagte Bremens Senatorin für Mobilität, Maike Schaefer (Grüne). Doch Verkehrsexpert:innen sehen hier ein neues Problem: Denn das Angebot eines wie auch immer bepreisten Tickets führt dazu, dass Verkehrsunternehmen nachvollziehen können, wie intensiv dieses nachgefragt wurde. Und dass sie dies wollen – denn nur so können sie dem Bund gegenüber ihre Ausfälle korrekt nachweisen. Eine flächendeckende Erhebung von Bedarfen wäre dagegen mit einem komplett fahrscheinlosen Nahverkehr nicht möglich. (mit Material von dpa)

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Dein t3n-Team

Oliver

Pessimismus pur … typisch deutsch! Eine objektiv gesehen gute Idee wird schon vor der Umsetzung durch unzählige Abers im Keim erstickt. Kein Wunder, dass sich in Deutschland wenig bewegt … insbesondere im ÖPNV.

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