
Er tritt tausendfach auf Linkedin auf. Mitarbeiter:innen sind es, Chefs sowieso. Am besten gleich die gesamte Arbeitsumgebung. Er wird aber auch von „traditionellen“ Medien kolportiert. Da verdirbt er den Traumjob oder befällt die Arbeitskultur.
Die Rede ist von dem Begriff „toxisch“, der durch seine inflationäre Nutzung nicht nur jede Bedeutung verliert, sondern sogar echte Probleme maskieren kann. Die beim Namen zu nennen, wäre aber der erste Weg für Lösungen.
Kein Mensch ist ein Gift
Was also ist dieses Toxische, das immer nur als Adjektiv genutzt wird? Jemand oder etwas ist toxisch. Die Toxikologie ist die Lehre von Giftstoffen. Sie ist etwa in der Biologie relevant: Bestimmte Pilze sind toxisch. Oder in der Medizin: Eine zu hohe Menge an Alkohol ist toxisch für den Körper.
Ein Begriff mit variabler und damit beliebiger Bedeutung aber ist dieses Toxische in der Psychologie, Psychiatrie oder der Sozialwissenschaft. Die Disziplinen also, die auch in unserer Arbeitswelt eine Rolle spielen. Mehr noch: Forschende in diesen Fachbereichen meiden diesen Begriff. In den Sozialen Medien und den Arbeitsplätzen selbst aber schwingen sich Menschen auf, andere Menschen als toxisch zu bezeichnen, als wäre dieser Begriff selbsterklärend. „Markus ist toxisch“, mit vielsagendem Blick. Also fernhalten von Markus. (Sorry Markus!)
Ich möchte auf zwei Ebenen aufzeigen, wieso diese inflationäre Nutzung eines undefinierten Begriffs keine gute Idee ist. Zunächst: Menschen sind Menschen, keine Gifte. Jemanden als toxisch zu bezeichnen, entmenschlicht ihn. Auch wenn er Mitarbeiter oder Chefin ist. Gifte zerstören, wenn sie eingeatmet oder anderweitig konsumiert werden. Sie wirken einfach. Kein Mensch vergiftet seine Umgebung durch seine reine Existenz.
Die Probleme beim Namen nennen
Freilich, es ist ein Sprachbild. Es sollen Menschen gemeint sein, die ein Verhalten haben, das sich negativ auf die Menschen um sie herum auswirkt. Dieses Verhalten kann bewusst oder unbewusst sein. Es kann eine böse Absicht dahinter stecken oder nicht. Es kann nur gegenüber bestimmten Menschen auftreten, gegenüber anderen aber nicht. Nichts davon trifft auf ein Gift zu.
Ähnlich wie ein Gift es auch kann, verschleiert dieser Begriff aber vor allem, worum es wirklich geht. Das ist die zweite Ebene. Betreibt ein Chef zu viel Micromanagement? Achtet er nicht die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter:innen? Ist er vielleicht sogar beleidigend oder übergriffig? Und die Mitarbeiterin? Betreibt sie Mobbing? Verkauft sie die Erfolge anderer Menschen als ihre eigenen?
Probleme so genau wie möglich zu identifizieren und sie dann anzusprechen, ist die einzige Möglichkeit, um etwas am Arbeitsplatz zu verändern. Um etwa herauszufinden, ob eine Person etwas mit Absicht getan hat. Oder ob die Chefin vielleicht sogar einen Grund für ein bestimmtes Verhalten hat. Nur so begreifen wir Menschen und Probleme einerseits in ihrer Komplexität – und sehen sie gleichzeitig als veränderbar.
Von Natur aus toxisch?
„Toxische Menschen“ aber scheinen unveränderbar. Von Natur aus sind sie giftig und damit zu meiden. Weitere Erklärungen unnötig. Wem aber ist damit geholfen? Wohl nur der Person, die andere als toxisch bezeichnet. Das Wort ist schnell zur Hand, schnell auf Linkedin gepostet. Aber auch diese Person wird auf lange Sicht lernen müssen, dass Menschen nicht toxisch sind, sondern Eigenschaften haben, die einem nicht gefallen. Und andere, die einem gefallen.
Das alles ist subjektiv und keine Wissenschaft. Es gibt keine Behandlung für „toxische Menschen“, keine medikamentöse Lösung. Es ist kein Begriff mit pathologischem Wert. Gelöst werden Probleme im Arbeitskontext erst in der offenen Ansprache. Und wenn der „toxische Chef“ eigentlich jemand ist, der seine Mitarbeiter:innen micromanagt, dann hilft im Zweifelsfall nur der Betriebsrat oder die Personalabteilung. Kein Linkedin-Posting.