Wie psychologische Vorurteile Geschäftsprozesse beeinflussen
Nach klassischen ökonomischen Theorien trifft der Mensch seine Entscheidungen allein aufgrund von Logik und Objektivität. Ein vernunftgesteuertes Wesen; geleitet von der Rationalität. Doch gleich vorweg: Dieser Homo Oeconomicus, der seinen Nutzen rein rational maximiert, existiert nicht. In der Praxis gewinnen oft Emotionen, Vorurteile und äußere Einflüsse die Oberhand über unsere Entscheidungsfindung. Statt eine objektive Entscheidung zu treffen, vernebeln diese Faktoren unser Urteilsvermögen und lassen uns irrationale Urteile fällen. Schlimmer noch: Wir neigen dazu, diese Fehler auch noch zu wiederholen. In der Verhaltensökonomik werden diese psychologischen Effekte Cognitive Bias genannt – kognitive Verzerrungen.
Warum dieser Ausflug in die Psychologie? Überall, wo Entscheidungen getroffen werden müssen, kann man diese Verzerrungen beobachten. Selbstverständlich treten sie somit auch im Unternehmensalltag auf. Vertriebsmitarbeiter aller Branchen – vom Startup bis zum Großkonzern – stehen in schöner Regelmäßigkeit vor der Herausforderung, ein Gegenüber zu überzeugen, das scheinbar für kein gutes Argument zugänglich ist.
Eine Herausforderung im Alltag, gewiss. Mit unserer selektiven und verzerrten Wahrnehmung umzugehen, ist jedoch erlernbar. Die folgenden sieben kognitiven Verzerrungen sind beispielhaft für psychologische Auswirkungen auf den Verkaufsprozess – und lassen sich beeinflussen. Sie öffnen findigen Vertriebsmitarbeitern eine Hintertür zum erfolgreichen Verkaufsabschluss.
1. Der Ankereffekt
Wir geben der ersten Information oft mehr Gewicht als den nachfolgenden. Sie ist dann unser Anker, an dem wir alle nachfolgenden Informationen messen. Gerade Zahlen bleiben oft als Anker hängen – und deshalb ist der Einzelhandel ein perfektes Beispiel für diese kognitive Verzerrung: Ein Rabatt als einmaliges Angebot bleibt beim Kunden hängen. Sieht er ein Produkt bei einem Anbieter für 39 Euro, ist das sein Anker. Sieht er zu einem späteren Zeitpunkt ein ähnliches Produkt in einem anderen Laden zu einem höheren Preis, ist er kaum bereit, diesen zu zahlen.
Aus demselben Grund werden gleiche Produkte in Regalen oft um eine teure Marke herum platziert. Die bekannte Marke setzt den Preis als Anker, die anderen Produkte werden als günstig wahrgenommen. Findige Verkäufer werden immer ein Produkt nennen, das über ihren Preisvorstellungen liegt, damit sie das Produkt, das tatsächlich zu ihrem Budget passt, auch wirklich kaufen.
Der Anker ist von Gegebenheit zu Gegebenheit unterschiedlich. Geschickte Verkäufer versuchen daher, herauszufinden, ob für den Käufer bereits ein kognitiver Anker gesetzt ist – und zwar bevor sie vorpreschen und die zahlreichen Vorteile und Leistungen ihrer Produkte betonen. Begreifen Verkäufer nicht, welche Informationen der Kunde vorher eingeholt hat und welche Lösung er erwartet, können sie ihren Pitch nicht effektiv strukturieren.
2. Der Ambiguitätseffekt
Der Ambiguitätseffekt weckt den Zweifel im Menschen. Wir bevorzugen ein Produkt, dessen Leistung wir kennen. Das unbekannte Produkt mit ungewissem Ausgang übergehen wir in der Konsequenz.
Kunden entscheiden sich aufgrund dieser kognitiven Verzerrung unter Umständen sogar dann für die bekannte Variante, wenn sie mit der Leistung nicht vollständig zufrieden sind, oder es eventuell an Wert für sie verliert.
Grundlage für den Ambiguitätseffekt ist oft ein Informationsdefizit – und genau hier müssen Vertriebsteams ansetzen. Sie müssen das Produkt möglichst vereinfachen und viele Zahlen, Daten und Informationen bereitstellen. Sie müssen helfen, den Mangel an Informationen für den Kunden zu reduzieren und ihm so Vertrauen in die Leistung ermöglichen.
3. Der Mitläufereffekt
Produktrezensionen, Word-of-Mouth-Marketing – Menschen verlassen sich in vielen Fällen auf die Meinung und Erfahrung anderer bei einer Kaufentscheidung. Der soziale Status eines Produktes wird zum Kaufargument. Konsumenten treffen Entscheidungen teilweise ausschließlich, weil andere diese auch getroffen haben. Selbst wenn sie vielleicht anderer Überzeugung sind oder andere Vorstellungen und Wünsche haben.
Dieser soziale Beweis – der Mitläufereffekt – ist von hoher Bedeutung für den Vertrieb. Am besten nutzen Mitarbeiter diesen Effekt, indem sie gemeinsam mit einem Call-to-Action soziale Beweise wie „bereits X zufriedene Kunden“ oder „am meisten gekauft“ platzieren. Relevante und glaubwürdige Studien erwecken Vertrauen in Verkaufsgesprächen und unterstreichen den Nutzen der jeweiligen Leistung.
4. Der Bestätigungseffekt
Der Bestätigungseffekt beschreibt die Vorliebe der Kunden für Dinge, die mit ihren vorgefertigten Meinungen einhergehen. Genauer gesagt betrachten Entscheidungsträger das Verkaufsangebot auch als eine Bestätigung ihrer individuellen Vorurteile, anstatt das Produkt rein aufgrund seiner eigenen Vorzüge in Erwägung zu ziehen. Ein Beispiel ist die sogenannte Filterblase – wir nehmen die wenig rationale Themenausrichtung von Social-Media-Plattformen als angenehm wahr, weil wir unsere Meinungen bestätigt sehen.
Für Vertriebsmitarbeiter ist es daher außerordentlich wichtig, den potenziellen Käufern genauestens zuzuhören, um ihre Vorlieben einzuschätzen. Ausschließlich auf diesem Wege können sie verstehen, was genau die Interessenten brauchen und ihnen die wichtigsten Informationen bereitstellen, um ihre Vorstellungen zu bestätigen.
5. Der Heiligenscheineffekt
Nicholas Boothman beschreibt in seinem Buch „How to Make People Like You in 90 Seconds or Less“, dass Interessenten innerhalb kürzester Zeit entscheiden, ob sie ein Produkt kaufen oder nicht. Dafür brauchen sie eben nicht länger als die angesprochenen 90 Sekunden. Der Heiligenscheineffekt beschreibt daher – grob gesagt – den ersten Eindruck. Laut Gong steigert ein einfaches „Wie geht es Ihnen?“ zu Beginn eines Verkaufsgesprächs die Erfolgswahrscheinlichkeit um über das Sechsfache.
Die Schlussfolgerung: Der direkte Draht ist entscheidend, um vom Heiligenscheineffekt zu profitieren. Die persönliche Bindung, das Vertrauen des Kunden, wird in den ersten Sekunden eines Gesprächs gewonnen oder verloren. Demnach sollte der Fokus des Gesprächsbeginns stets auf dem Aufbauen einer Beziehung liegen.
6. Der Ikea-Effekt
Menschen laden Produkte mit einer deutlich höheren Wertschätzung auf, sobald sie in den Herstellungsprozess involviert sind und Zeit, Mühe und Anstrengung in diesen investiert haben. Diese gesteigerte Wertschätzung für Selbstgemachtes wird auch als Ikea-Effekt bezeichnet. Schrauben wir einen Schrank selber zusammen, ist er für uns wertvoller als das bereits montierte und gelieferte Pendant. Mehr noch: Die Teilnehmer einer Studie der Harvard Business School sahen ihre eigenen Kreationen gleichwertig zu denen von Experten – und erwarteten, dass andere dieses Urteil bestätigen.
Dieses Prinzip gilt auch für Verkaufsprozesse. Sind die Kunden von Beginn an in die Angebotserstellung involviert, erarbeiten sie gemeinsam mit dem Verkäufer eine individuelle Lösung oder ein individuelles Angebot, steigt die Wertschätzung des Kunden für die Offerte deutlich.
7. Eskalierendes Commitment
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch das eskalierende Commitment. Investieren Menschen Zeit, Mühe oder Geld in ein Projekt, binden sie sich an es. In der Folge halten die Betroffenen oft zu lange – und irrational – an Beziehungen, Produkten oder Dienstleistungen fest. Nach ihrer Investition wollen sie nicht so schnell aufgeben. Das macht Bestandskunden so wertvoll, weshalb gute Verkäufer dafür sorgen, dass dieses Commitment des Kunden nie enttäuscht wird.
Dieses Verhaltensmuster stellt Vertriebsteams, die ein neues Produkt verkaufen wollen, vor eine große Herausforderung. Schließlich wird es durch diesen Effekt deutlich schwieriger potenzielle Käufer von einer neuen Lösung zu überzeugen. Verkäufer müssen sie während des Verkaufsprozesses ermutigen, kleinere Verpflichtungen einzugehen. Denn investiert der Kunde Zeit in das Angebot, wird es für ihn schwieriger, es wieder abzulehnen.