- Verena Mayer: Nie mehr Petersilie sein
- Irmgard Hesse: Die Welt ist bunt – aber nur, wenn die Augenhöhe stimmt
- Klea Simon: Selbstverständlichkeit der gelebten Gleichberechtigung mit Leben füllen
- Laura Schwarz: Familienvereinbarkeit als Wettbewerbsvorteil
- Julia Peglow: Traumtänzerin oder Machthaberin?
- Janine Nemec: Gesellschaft ist meilenweit von Gleichberechtigung entfernt
- Anya Bergmann: Gleiche Behandlung für alle, überall!
- Bahar Jawadi: Feminin gelesene Eigenschaften zu häufig negativ assoziiert
- Tanja Freudenthaler: Führungsrollen teilen, Doppelspitzen etablieren
Realitätscheck in Sachen Gleichberechtigung
Verena Mayer: Nie mehr Petersilie sein
2007 fing ich in einer großen renommierten Agentur als Projektmanagerin an. Schon an meinem ersten Arbeitstag wurde ich mit zu einem Kundentermin genommen. „Was ist meine Rolle bei dem Termin?“, habe ich gefragt. „Nichts. Du bist einfach als Petersilie dabei.“ Von diesem Tag an habe ich versucht, als Frau der bessere Mann zu sein, noch härter zu arbeiten, um nie mehr die Petersilie zu sein – mit der Folge, dass ich selbst eine Härte entwickelt habe, die ich leider auch bei vielen anderen Frauen in Spitzenpositionen erlebe.
Was ich mir wünsche: dass wir Frauen mit all ihren inneren Stärken sehen. Wenn wir erkennen, wie stark weibliche Führung ist – weil sie unter anderem meist verbindend und integrierend ist – und wenn wir erkennen, dass wir gerade jetzt mehr davon brauchen, dann haben wir einen guten Schritt in Richtung Zukunft gemacht.
Verena Mayer, Co-Gründerin bei Von Helden und Gestalten
Irmgard Hesse: Die Welt ist bunt – aber nur, wenn die Augenhöhe stimmt
Also, wir haben sie im Team, unsere Creative-Directorin, die Leiterin Brand-Strategy, unsere Design-Direktorinnen, die Geschäftsführerin. Männer haben wir natürlich auch, auf allen Positionen, genau wie die weiblichen Expertinnen. Sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Kund:innen stellen das auch gelegentlich in einem ersten Termin fest: „Lauter Frauen?“ Die Antwort ist: „Ja!“ Ganz viele tolle Frauen, die beraten, konzipieren, planen, entwerfen, texten, kurz: die den Laden schmeißen. Und auch auf der Auftraggeberseite treffen wir immer mehr Kundinnen, die Vielfalt und weibliche Sparringspartner schätzen.
Vielfalt steigert die Qualität – aber eben nicht die Art von „Vielfalt“, die meint, sie sei bunt, wenn die Jungs die Führungsebenen besetzten und das Fußvolk weiblich ist. Von dieser Zeit sollten wir uns ganz dringend verabschieden! Echte Vielfalt entsteht nur dann, wenn Austausch auch hierarchisch auf Augenhöhe stattfindet. Nur so entsteht echte Qualität. Und davon wollen wir doch alle mehr.
Irmgard Hesse, geschäftsführende Gesellschafterin bei Zeichen & Wunder
Klea Simon: Selbstverständlichkeit der gelebten Gleichberechtigung mit Leben füllen
Damit Frauen gleichberechtigt Karriere machen können, müssen Männer gleichberechtigt das Leben außerhalb der Arbeit organisieren. Aus meiner Perspektive hat Homeoffice in den letzten zwei Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet und sichtbar gemacht, was Frauen mit einer Selbstverständlichkeit leisten: ihrer Arbeit gerecht zu werden, während es einen Haushalt zu führen, gesellschaftlichen und sozialen Verpflichtungen nachzukommen und die Bedürfnisse der Familienmitglieder zu berücksichtigen gilt – all das teilweise unter widrigsten Bedingungen. Dieses neu gewonnene Verständnis muss jetzt in den Alltag nach Corona integriert werden.
Klea Simon, Managing Director People & Culture der Liganova Group
Laura Schwarz: Familienvereinbarkeit als Wettbewerbsvorteil
Vor einigen Tagen ging ein Foto der Münchner Sicherheitskonferenz durch die Social-Media-Kanäle. Man sah ein CEO-Lunch mit 30 weißhaarigen Männern. Ist das die Realität 2022? Die Frage, die wir uns stellen müssen: Wie bringt man Frauen an diesen Tisch? Es muss ein Umdenken der Arbeitswelt, wie wir sie bisher gekannt haben, geben. Die Realität zeigt: Viele Frauen in Führungsrollen sehen keine Möglichkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie verzichten daher auf den nächsten Karriereschritt. Die Verantwortung liegt bei den Unternehmen, Jobs und Prozesse zu schaffen, die für Frauen attraktiv sind, weil sie eine Vereinbarkeit ermöglichen.
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Ganz nebenbei würden diese neu geschaffenen Prozesse ebenso positive Auswirkungen für Männer haben, die sich mehr und mehr um die Vereinbarkeit von Familie und Job bemühen. Es muss ein generelles Umdenken geben in der Branche – weg von Leistungsbeurteilung über zeitliche Verfügbarkeit, hin zu Familienfreundlichkeit. Um Frauen (und Männern) die Wahl zu geben, eine Karriere zu verfolgen und ebenso das Privatleben zu managen. Schon heute sieht man, dass Unternehmen die in diese Richtung gehen, mehr Zulauf von Frauen erhalten und eine diversere Belegschaft haben. Vereinbarkeit zu fördern ist keine Frage der Frauenförderung mehr, sondern eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit.
Laura Schwarz, Director of Sales EMEA bei Airship
Julia Peglow: Traumtänzerin oder Machthaberin?
Junge Frauen saugen das Narrativ, ihnen stehe die Welt offen, mit der Muttermilch auf – und das ist gut so! Lange scheint es auch super zu laufen: In Schule, Studium und in den ersten Berufsjahren outperformen wir die Jungs oft. Das harte Erwachen kommt meines Erachtens später. Wenn wir Kinder großgezogen haben (und ich meine damit nicht nur die ersten Monate und Kita-Jahre, über die Millennial-Mütter so aufgeregt auf Instagram berichten). Wenn wir merken, dass wir Frauen uns 10, 15, 20 Jahre mit dem für uns typischen Perfektionismus und Leistungsbereitschaft einzig und allein an der Beweisführung aufgerieben haben, „alles“ schaffen zu können, eine Familie UND eine Karriere – während unserer Männer mit grauen Schläfen leise in die Aufsichtsräte vorrücken. Dann auf einmal geht uns auf, dass wir zwar lange in der ersten Reihe getanzt haben – wie die Revuetänzerinnen im Friedrichstadtpalast, aber nach der Choreografie von anderen.
Die Frage ist: Bist du Tänzerin? Oder führst du Regie? Gehört dir das Theater? Wenn wir wirklich was ändern wollen, müssen wir gezielt dahin, wo die echten Einflussbereiche sind – ohne unsere Energien schon auf dem Weg dahin zu verschleudern.
Julia Peglow, Buchautorin und t3n-Kolumnistin
Janine Nemec: Gesellschaft ist meilenweit von Gleichberechtigung entfernt
Ich persönlich hatte beim Thema Gleichberechtigung, beruflich gesehen, nie ein Mangelempfinden. Ich bin Teil einer Leitungsrunde, die zu 50 Prozent weiblich ist. Mein eigenes Team zählt mehr Frauen als Männer. Die Bezahlung in unserer Organisation richtet sich selbstverständlich nach der individuellen Leistung, nicht nach dem Geschlecht. Eltern sind willkommen. Das Elternwerden ebenfalls.
Seit Kurzem bin ich selbst Working Mum – und mir wurde klar, dass mein nicht vorhandenes Mangelempfinden ein nicht ausreichendes Auseinandersetzen mit dem Thema war. Die Gesellschaft ist meilenweit von Gleichberechtigung entfernt. Es gibt Leuchttürme, ja, aber noch mehr Brandherde. Wir sollten als Kreativbranche nicht auf das gesetzliche Briefing warten, sondern vorangehen – schneller, tiefer im Beta-Modus. Unsere Wirkungsbereiche als Führungskräfte nutzen – egal, ob Frau oder nicht -, um Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein. Und um zumindest die Arbeitswelt zu einem gleichberechtigteren Ort zu machen.
Janine Nemec, Managing Partner bei Oddity
Anya Bergmann: Gleiche Behandlung für alle, überall!
Zuerst einmal: Die aktuelle Diskussion ist total wichtig. Und jeder Beitrag hilft, aufmerksam zu machen und zu verändern. Ich habe bisher – Gott sei Dank – persönlich keine negativen Erfahrungen in der Branche machen müssen. Bei uns in der Agentur sehe ich keine unterschiedliche Behandlung zwischen Frauen und Männern. Aufgrund unserer flachen Hierarchien haben wir viele Frauen in verantwortungsvollen Positionen. Gleichbehandlung ist bei uns eigentlich normal. So wird sich beispielsweise um die speziellen Belange von Eltern (also Frauen und Männern gleichermaßen) gekümmert – mit einem Team, das sich mit der Vereinbarkeit von Kind und Job sowie New Work beschäftigt. Ähnlich ist es bei der Weiterbildung. Hier heißt es einfach: Wer lernen will, darf lernen.
Vor diesem Hintergrund sind für mich die Genderunterschiede – vor allem in einer Branche, die immer hip, jung und am Puls der Zeit sein will – nur schwer nachvollziehbar. Deshalb: Schluss mit Reden. Und ab sofort gleiche Behandlung für alle. Überall.
Anya Bergmann, Creative Director und Head of Content bei Sassenbach Advertising
Bahar Jawadi: Feminin gelesene Eigenschaften zu häufig negativ assoziiert
Ein positiver Trend, den ich bereits in der Zusammenarbeit mit anderen Agenturen und Kunden sowie auch in der Bewerberstruktur wahrnehme: Der Anteil an Frauen in den MINT-Feldern nimmt stetig zu. Dennoch ist es noch ein langer Weg, wenn es darum geht, Frauen in diesen Bereichen nicht nur auszubilden, sondern ihnen eine adäquate Karriere zu ermöglichen.
Bei uns sind Frauen in Führungspositionen bereits stark vertreten. Das wirkt sich positiv auf das Unternehmen aus, aber darauf möchten wir uns nicht ausruhen. Denn in Deutschland scheint es immer noch ein universelles Erlebnis zu sein, dass feminin gelesene Eigenschaften mit fehlender Führungsqualität und teilweise sogar Inkompetenz assoziiert werden. Hier sind andere Regionen der Welt bereits deutlich weiter.
Deshalb sehen wir uns in der Verantwortung, dieses Thema auch hierzulande aufzubrechen und deutlich zu machen, dass althergebrachte Genderklischees keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft haben: Wir begegnen der Sache deshalb mit fachlicher Kompetenz, unter anderem mit Fort- und Weiterbildungen unseres HR & People Departments in den Bereichen Social Justice & Diversity und den entsprechenden Maßnahmen bei der Förderung von Mitarbeiter:innen.
Bahar Jawadi, CTO von INTEGR8 und Partner bei MYTY
Tanja Freudenthaler: Führungsrollen teilen, Doppelspitzen etablieren
Bei 365 Tagen im Jahr erscheint ein Weltfrauentag wie ein Trostpflaster. Gleichberechtigung und Solidarität sind Werte, für die es tagtäglich einzustehen gilt. Und trotzdem: Die Aufmerksamkeit, die ein solcher Tag generiert, ist absolut wichtig und richtig. Im Arbeitsalltag sind auf Kundenseite weiterhin ein Großteil der Entscheidungsträger:innen männlich – das Foto vom Business-Lunch der Münchener Sicherheitskonferenz zeigt das sehr anschaulich. Ich selbst bin niemand, der schwarz/weiß denkt – warum nicht öfters mal Doppelspitzen etablieren, die sich fachlich und menschlich ergänzen? Warum Führungsrollen nicht teilen, damit die Karriere nicht mit der Entscheidung für Kinder endet?
Als Teil des Strichpunkt-Diversity-Teams, das die Gleichstellung aller Geschlechter dauerhaft auf der Agenda hat, habe ich die Möglichkeit, hier mitzugestalten und die Kolleg:innen zu aktivieren. Und das an 365 Tagen im Jahr.
Tanja Freudenthaler, Creative Director & Unit Lead bei Strichpunkt Design