Warum wir trotz Müdigkeit nicht ins Bett gehen – und was wir dagegen tun können
„Nur noch mal kurz Instagram/X/Facebook checken, dann geh ich ins Bett“ – diesen Plan, der eigentlich vernünftig klingt, haben wir wohl alle schon mal gefasst. Nur um dann eine Stunde später festzustellen, dass wir immer noch auf dem Sofa sitzen und doomscrollen. Obwohl wir eigentlich müde sind und wissen, dass der Wecker morgen früh keine Gnade kennt. Zum Glück gibt es für dieses Phänomen einen fancy Namen – und Lösungsmöglichkeiten.
Revenge-Bedtime-Prokrastination – was soll das sein?
Bedtime-Prokrastination bedeutet zunächst nur, dass wir nicht ins Bett gehen und schlafen, obwohl wir wissen, dass es sinnvoll wäre. Das Konzept wurde 2014 das erste Mal von niederländischen Wissenschaftlerinnen untersucht und beschrieben. Es hat – wenig überraschend – viel mit Selbstregulierung und -disziplin zu tun.
Um den Faktor Revenge – also Rache – wurde es dann im Zuge der Corona-Pandemie ergänzt; an sich existiert das Konzept sicherlich schon deutlich länger. Dabei geht es darum, dass das lange Wachbleiben als Akt des Widerstands gegen äußere Lebensumstände gesehen wird, die einem wenig Verfügungsgewalt über die eigene Zeit lassen. Soll heißen: Wer große Teile seiner (Lebens-)Zeit mit Lohnarbeit, Sorgearbeit und anderen Verpflichtungen „von außen“ verbringt, nutzt Revenge-Bedtime-Prokrastination, um wenigstens etwas frei und selbst verfügbare Zeit für sich zu gewinnen. Selbst wenn es bedeutet, unvernünftig oder am nächsten Tag unausgeschlafen zu sein. Nimm das, Alltag!
Was können Betroffene tun?
Besonders anfällig für Prokrastinationen aller Art sind laut den Forscherinnen oft Menschen, die impulsiv sind, sich leicht ablenken lassen oder sich allgemein nicht gut selbst regulieren können. Gerade für Letztere könnte die Zeit vor dem Schlafengehen der einzige Moment am Tag sein, um das Erlebte zu verarbeiten, inklusive Stress, Wut, Frustration und aller Gefühle, die man davor unterdrückt habe.
Wichtig ist laut Schlafexpert:innen vor allem, eine Routine für die Zeit vor dem Ins-Bett-gehen zu entwickeln und sie auch einzuhalten. Das bedeutet jedoch weit mehr, als nur eine feste Uhrzeit zu bestimmen, zu der das Licht ausgeknipst wird. Um Körper und Geist aufs Schlafen vorzubereiten, kann es beispielsweise helfen, langsam herunterzufahren. Etwa eine Stunde solltet ihr dafür einplanen:
- Die ersten 20 Minuten werden für Dinge reserviert, die getan werden müssen – Klamotten für den nächsten Tag raussuchen oder ein Mittagessen fürs Büro vorbereiten.
- Die nächsten 20 Minuten sind für die Körperpflege reserviert – Duschen, Zähneputzen und Co.
- Die letzten 20 Minuten dienen der Entspannung – wer möchte, kann beten, meditieren, ins Tagebuch schreiben oder einfach mit geschlossenen Augen dasitzen.
Smartphone und Co. haben während dieser letzten Stunde selbstredend nichts mehr in euren Händen verloren. In der konkreten Umsetzung kann es auch helfen, die einzelnen Schritte an feste Uhrzeiten zu knüpfen – „wenn es 23 Uhr ist, gehe ich hoch und putze meine Zähne“ ist eben viel konkreter als „ich gehe gleich Zähneputzen“. Gedimmtes Licht, möglichst wenig Ablenkung und entspannende Tätigkeiten helfen ebenfalls.
Mit der Zeit etabliert ihr so eine feste Routine, die auch das Unterbewusstsein auf das Schlafengehen vorbereitet.
Das Problem ist nicht das Ins-Bett-gehen
Normalerweise prokrastinieren wir ja Tätigkeiten, die wir nicht gerne ausführen. Beim Revenge-Bedtime-Prokrastinieren ist jedoch weniger das Schlafen an sich das Problem – wer schläft schon ungern? Vielmehr richte sich die Abneigung gegen das, was vorher komme. Zähneputzen, umziehen, die ganze Ins-Bett-geh-Routine sei es eher, was Menschen nicht mögen, so Floor Kroese, eine der niederländischen Studienautorinnen. Oder sie hätten schlicht keine Lust, die Tätigkeit zu beenden, die sie davor ausführten.