Die Grenzen von Arbeit und Privatem verwischen immer mehr. Die Digitalisierung bewirkt zudem, dass wir alle „always on“ sind. Die Forderung nach einem Recht auf Nichterreichbarkeit wird deshalb auf EU-Ebene debattiert. Und erwartungsgemäß scheiden sich bei diesem Thema die Geister: Wir haben unsere t3n-Leserinnen und -Leser auf Twitter gefragt, wie sie das regeln. Während für die einen Erreichbarkeit zum Service gehört, setzen andere auf Sprechzeiten. Sieben Menschen haben uns einen Einblick in ihre persönliche Handhabe gegeben.
„Mir sind einige Dinge durchgerutscht“
Von Pia Sternberg
Ich bin im Feierabend nicht erreichbar. Das hat für mich auch handfeste Gründe. Seit zehn Monaten arbeite ich in einer Full-Remote-Agentur und zum ersten Mal blieben Laptop und Telefon eben nicht im Büro, sondern lachten mich vom Sofa aus an. Ich konnte nicht widerstehen und habe abends doch „mal eben“ noch Benachrichtigungen gecheckt. Die Folge: Mir sind einige Dinge durchgerutscht, die ich normalerweise direkt via Asana in Aufgaben verwandelt hätte. Und gestresst hat es mich auch, da man in asynchron arbeitenden Teams natürlich immer irgendwie interagieren könnte. Ich möchte nachhaltig mit meiner Zeit und Energie umgehen. Dafür muss ich persönlich abends, am Wochenende und im Urlaub abschalten können. Und ich weiß, dass ich das in meinem Setting guten Gewissens tun kann. Sollte doch mal etwas dringend und wichtig sein, bin ich über soziale Medien erreichbar – kam aber noch nie vor. Es gibt viele Menschen, die es stressen würde, im Feierabend nicht erreichbar zu sein, und welche, die zum Beispiel als Gründerinnen und Gründer eine sehr hohe Verantwortung haben. Ich finde, dass muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden.
„Erreichbarkeit gehört zum Service“
Von Rico-Thore Kauert
Erreichbarkeit im Feierabend hängt stark mit der Branche oder der aktuellen Lebenslage zusammen. Ich übernehme gerade ein paar Monate die Care-Arbeit für das Kind, bis die Kita startet. Da kann ich ohnehin nur eine Stunde mittags und dann wieder nach 20 Uhr arbeiten. Aktuell sind also E-Mails gegen 22 Uhr der Normalfall. Auch mein Beruf als freier PR-Berater bringt es mit sich, dass Journalistinnen und Journalisten sich auch abends melden, und dann gehört Erreichbarkeit zum Service. Dafür kann ich als Selbstständiger nachmittags mal zwei Stunden an den See fahren. Ehrlicherweise sind die meisten Kundinnen und Kunden aber fair und rufen nur dann spät an, wenn Krisenkommunikation ansteht. Ich unterscheide da auch nochmal in Erreichbarkeit per E-Mail und per Telefon. So habe ich kein Problem damit, nachts eine kurze E-Mail zu beantworten, damit jemand am Morgen damit weiterarbeiten kann. Telefonate gehen gerade mit Kleinkind ohnehin nur noch schwer am späten Abend. Ich finde es aber völlig ok, wenn andere Menschen da strikter sind und gerade bei Angestellten ist es richtig und wichtig, dass Feierabend auch Feierabend heißt.
„Ich rufe selbst äußert selten an“
Maximilian van Poele
Als Berater haftet mir oft das Label „Workaholic“ an, wogegen ich mich bewusst wehre. Nicht, weil ich nicht viel arbeite, sondern weil ich mich von der Heroisierung der Allnighter-Kultur und ständigen Verfügbarkeit distanzieren möchte. Ich glaube nicht daran, dass viel per se auch viel hilft. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen Pausen, um exzellente Arbeit abliefern zu können, wie Leistungssportlerinnen und Leistungssportler die Regeneration. Entsprechend froh bin ich, dass mein Arbeitgeber klare Prinzipien hat, in welchen seltenen Fällen der Feierabend gestört werden darf. Wir wenden dabei das Prinzip der Eisenhower-Matrix an: Nur etwas, das wichtig und dringend ist, wird sofort besprochen – im Zweifel auch nach Feierabend. Was wichtig, aber nicht dringend ist, kann immer bis zum nächsten Tag warten. Und auch was dringend, aber nicht wichtig ist, kann meist ebenfalls bis zum nächsten Morgen warten. Entsprechend werde ich nur äußerst selten nach Feierabend angerufen – und rufe selbst äußert selten an. Weil das Prinzip dafür sensibilisiert, was wirklich wichtig ist: achtsam mit den eigenen Pausen und denen anderer umzugehen.
„Ich trage meine Arbeit mit mir herum“
Von Isabell Prophet
Meine Sicht auf das Thema Erreichbarkeit im Feierabend hat sich verändert. In den ersten Wochen nach dem Wiedereinstieg nach der Elternzeit dachte ich noch, ich müsste Flexibilität beweisen, erreichbar sein, Dinge möglich machen. Aber warum eigentlich? Ich spielte ein Spiel mit, das alle Beteiligten gleichermaßen belastet – ohne Zusatznutzen. Heute endet meine Erreichbarkeit um 15.30 Uhr, nach acht Stunden voller Arbeitszeit. Gegen 16 Uhr laufe ich zur Kita. Ich hatte schon immer eine hohe Präferenz für Freizeit, aber als freie Journalistin trage ich mit dem Telefon auch meine Arbeit mit mir herum. Erst seit ich ein Kind habe, erlebe ich echten Feierabend. Ausnahmen mache ich für Menschen, die objektiv betrachtet nicht früher können: Die Hausärztin interviewe ich gern nach 16 Uhr, schließlich muss sie sich vorher um ihre Praxis kümmern. Auftraggeberinnen und Auftraggeber bekommen so eine Ausnahme nicht. Inzwischen hat sich das eingespielt – die meisten Kolleginnen und Kollegen finden es gut zu wissen, wann ich erreichbar bin. Und Familienleben ist schöner, wenn beide Eltern um 16 Uhr sagen können: Jetzt haben wir Zeit für uns!
„Ich habe auch außerhalb der Arbeitszeit ein offenes Ohr“
Von Benjamin Rodgers
Ich bin wie im echten Leben eigentlich immer für alle erreichbar. Der Laptop wird zwar nach meist acht Stunden zugeklappt, Slack wird nach Feierabend gesnoozed und E-Mails nicht auf meinen privaten Endgeräten empfangen, aber wenn es was Spannendes zu tun gibt und mein Energielevel stimmt, dann habe ich auch außerhalb der Arbeitszeit immer ein offenes Ohr und etwas Gehirn für alle parat. Alles, was sich spontan am Telefon klären lässt und Kolleginnen und Kollegen in dem Moment helfen könnte, ist für mich kein wirklicher Mehraufwand. Eine eigene Meinung zu eigentlich jedem Thema, ein Bauchgefühl oder einen fachlichen Rat kann ich eigentlich auch immer geben, egal, ob unter der Dusche, im Club oder auf dem Tennisplatz. Sollte der Aufwand dann gelegentlich auch höher sein, handelt es sich meist um spontane zeitkritische Projekte, auf die ich auch wirklich, wirklich Bock habe. Diese Art von Side-Hustle ist nämlich stets auch immer ein kleiner Ausbruch aus den wiederkehrenden Daily-Tasks, sodass ich gerade in Pandemiezeiten sehr gerne voll darin aufgehen konnte, da sie am Ende auch etwas Abwechslung und Weiterentwicklung in den Arbeitsalltag brachten.
„Ich finde eine klare Kommunikation wichtig“
Von Ina Steinbach
Für mich als Selbständige war Grenzen ziehen zwischen Privatem und Beruflichem schon immer besonders wichtig. Erholungsphasen sind nun einmal essenziell für die Produktivität und Gesundheit. Als Interimsmanagerin vertrete ich verschieden Berufsgruppen, unter anderem auch Pressesprecherinnen und Pressesprecher. Irgendwann schrieben Journalistinnen und Journalisten sonntags Nachrichten auf meine private Nummer, da mir Auftraggeberinnen und Auftraggeber im Gegensatz zu Festangestellten kein Diensttelefon stellen. Ab da an war es Zeit für ein Geschäftshandy. Das kann ich nach Feierabend ausstellen und mache das auch. Akute Projektphasen sind natürlich Ausnahmen, es gibt immer wieder Projekte, die fließendere Grenzen erfordern. Das finde ich ok und treffe mit meinen Kundinnen und Kunden klare Absprachen. Die Pandemie hat die Grenzen etwas aufgeweicht, aber ich stelle sowohl bei mir selbst als auch bei meinen Kundinnen und Kunden fest, dass alle wieder hin zu mehr Struktur gehen. Wie das aussieht, kann bei jeder Person anders sein, je nach Lebensphase und Präferenzen. Ich finde da nur klare Kommunikation wichtig.
„Sonst können wir gerne morgen sprechen!“
Christian Boelling
Als ich 2019 meine Agentur gründete, war es für mich eine große Frage, wie ich meine Erreichbarkeit handhaben sollte. Als angestellte Führungskraft hatte ich stets versucht, mein Team nicht außerhalb der Arbeitszeiten zu nerven. Aber nun bin ich ja Dienstleister; in einem Arbeitsfeld, das wichtig wird, wenn’s brennt – nämlich der Kommunikationsbranche. Aus vermeintlicher Kundenorientierung stellte ich zunächst auf „Feuer frei“ und ich lies sämtliche Benachrichtigungen zu. Doch was zu Beginn noch Spaß machte, raubte mir immer mehr Energie. Per Notification konnte Jede und Jeder zu jeder Zeit andauernd in meine Konzentration oder Entspannung platzen. An einem erschöpften Abend auf unserem Balkon suchte ich mit meiner Frau nach einer Lösung, die wir auch fanden: Seitdem sind bei mir immer alle Benachrichtigungen aus – bis auf SMS und Telefon. Kundinnen und Kunden gehen damit – ohne dass ich sie jemals explizit kommuniziert hätte – überaus verantwortungsvoll um. Es kommen kaum abendliche Anrufe aus dem Nichts. Wenn doch, war die Frage „Ist es wichtig? Sonst können wir gerne morgen sprechen!“ noch für niemanden ein Kündigungsgrund.