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Risikokontakte nicht informiert: Schwerer Patzer in der englischen Corona-Warn-App

Die für England und Wales zuständigen Organisationseinheiten des NHS (National Health Service) haben sich im Zusammenhang mit der Einführung ihrer Corona-Warn-App erneut nicht mit Ruhm bekleckert. Denn wie sich jetzt herausstellt, tat die nicht, wozu sie erdacht wurde. Über Wochen wurden Personen, die nachweislich Kontakt zu potenziell Erkrankten hatten, nicht gewarnt und entsprechend nicht zur Quarantäne aufgefordert.
Welchen Einfluss diese Panne auf den Verlauf der Pandemie hat, kann nur spekuliert werden. Jedenfalls nutzen 19 Millionen Menschen in England und Wales die App, die erst seit dem 24. September überhaupt erhältlich ist. Das entspricht einem Anteil von 40 Prozent der Erwachsenen und liegt damit deutlich höher als in jedem anderen europäischen Land.
Diese hohe Akzeptanz dürfte Ausfluss der Tatsache sein, dass die Regierung sich für die Umsetzung der Corona-Warn-App auf der Basis der zuletzt von Google und Apple fest in ihre Betriebssysteme integrierten Tracking-Funktionalität entschieden hatte. Schon diese Entscheidung stellte eine spektakuläre Kehrtwende und Abkehr von der zunächst präferierten Entwicklung einer eigenständigen App dar.
Was aber nutzt eine hohe Akzeptanz und das damit zum Ausdruck gebrachte Vertrauen, wenn sich die App zwar unter Datenschutzaspekten vorbildlich zeigt, ihrer eigentlichen Funktion aber nicht gerecht wird? Dass das so ist, räumt das Gesundheitsministerium an versteckter Stelle in einem aktuellen Blogbeitrag ein.
Interessierte Leser müssen genau hinschauen, um das Eingeständnis zu finden, dass Warnungen in großem Umfang unterblieben sein könnten. Stattdessen verkauft die Regierung ihren Bürgern das Nachziehen der Funktionalität als Update. Zuerst hatte die Sunday Times über den Fehler berichtet.
Danach handelte es sich offenbar um menschliches Versagen auf der Seite der Entwickler der App oder derer, die die Umsetzung des Pflichtenheftes zu verantworten haben. Was war passiert?
Ursprünglich sollte die NHS-App lediglich anschlagen, wenn Personen für länger als 15 Minuten näher als zwei Meter mit einer später positiv getesteten Person in Kontakt kommen. In diesen Fällen würde die App eine Warnung aussenden und dem Warnungsempfänger eine Quarantäne ans Herz legen.
Kurz vor dem Start der App wurde indes entschieden, dass neben diesen rein maßlichen Vorgaben auch der Beginn der Erkrankung der Person, die die Warnung auslöst, ins Kalkül gezogen werden sollte. Die Entscheidung geht zurück auf eine aktuelle Studienlage, wonach Covid-19-Erkrankte schon mindestens einen Tag vor Ausbruch der Symptome ansteckend sind. So gibt es einen Zeitkorridor von wenigen Tagen, in denen eine Begegnung mit einer erkrankten Person gefährlicher ist als an den Tagen davor oder danach.
Dass diese Risikoabschätzung Teil des Warn-Algorithmus werden sollte, erscheint nachvollziehbar und sogar begrüßenswert. Das Problem bestand nun darin, dass zwar diese Anpassung gemacht wurde, aber die anderen Parameter nicht ins Verhältnis gesetzt wurden. Entsprechend hätten natürlich auch die Zeit- und Abstandsparameter in Abhängigkeit von der Infektiositätsbeurteilung reagieren müssen.
Diese Korrelation wurde indes übersehen. So konnte es also dazu kommen, dass Nutzer, die einem potenziell hochinfektiösen Menschen begegnet waren, trotzdem keine Warnung erhielten, weil der Kontakt eben nicht länger als 15 Minuten und unter zwei Metern Abstand stattgefunden hatte. Der Fehler war den Entwicklern dann selbst aufgefallen, als sie ein Update für die bessere Erkennung von Nahkontakten im Ein-Meter-Bereich vorbereiteten.
Die nun entdeckte Fehlfunktion passt nahtlos in das verheerende Bild, das die britische Regierung im Umgang mit der Coronapandemie von Beginn an bietet. Zuletzt hatte es mediale Entrüstung gegeben, als bekannt geworden war, dass wegen einer „Excel-Panne“ rund 16.000 Positivtests in Großbritannien nicht gemeldet worden waren.
Als Ursache der vermeintlichen Panne stellte sich heraus, dass die Mitarbeiter der Testabteilung des NHS die Daten der positiv getesteten Personen in einer Excel-Datenbank speichern. Die erweitert sich automatisiert als neue Zeile pro Fall. Nun geriet die Excel-Tabelle über die Zeit offenbar so groß, dass sie keine weiteren Zeilen aufnehmen konnte. Dass die automatisiert an die Excel-Tabelle übermittelten Daten nicht gespeichert wurden, fiel den NHS-Mitarbeitern dabei indes erst nach Tagen auf.
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