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Analyse MIT Technology Review

Schlafapnoe: Medikamente statt Beatmungsgerät​

Viele Patienten, die an schädlichen nächtlichen Atemaussetzern leiden, lehnen die Standardbehandlung mit Beatmungsgeräten ab. Ihnen sollen Wirkstoffe helfen.

Von veronika-szentpetery-kessler
4 Min.
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Bei obstruktiver Schlafapnoe erschlafft die Rachenmuskulatur, dadurch sind die Atemwege zeitweise verschlossen.
(Bild: Pixel-Shot/ Shutterstock.com)

Wer unter obstruktiver Schlafapnoe leidet, also langanhaltenden nächtlichen Atemaussetzern, bekommt oft ein Beatmungsgerät mit Maske ans Bett gestellt. Das sogenannte CPAP-Gerät pumpt Luft in die Atemwege, um sie offenzuhalten. Sonst würde die bei diesen Patienten nachts zu stark erschlaffende Rachenmuskulatur der oberen Atemwege die Luftzufuhr periodisch verschließen. Das Beatmen soll ernste Folgeschäden der Schlafapnoe verhindern. Betroffene fühlen sie sich nicht nur tagsüber wie gerädert, nicken oft kurz ein und haben Konzentrationsprobleme. Auf Dauer steigt auch ihr Risiko für Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, Schlaganfälle, Herzinfarkte und Depression.

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Allerdings lehnen Schätzungen zufolge 40 bis 60 Prozent der Patienten die Beatmungsbehandlung ab oder benutzen sie zu wenig. Sie kann unbequem und schwer zu akzeptieren sein. Deshalb entwickeln Pharma-Unternehmen Medikamente für die Behandlungen der obstruktiven Schlafapnoe.

Apnimed aus den USA will nun mit der Kombination aus zwei Wirkstoffen – Aroxybutynin und Atomoxetin – verhindern, dass die Rachenmuskulatur nachts erschlafft und die Atemwege teilweise (Hypopnoe) oder ganz verschließt (Apnoe). In einer klinischen Phase-2-Studie senkte der abends eingenommene Doppelwirkstoff „AD109“ die Zahl der Apnoe- und Hypopnoe-Ereignisse (Apnoe-Hypopnoe-Index, kurz AHI) im Verlauf von einem Monat deutlich: im Schnitt um 45 Prozent im Vergleich zu einem Placebomittel.

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Bei fast der Hälfte der AD109-Probanden halbierte das Kombimittel den AHI-Wert sogar, oder senkte ihn noch stärker. Parallel dazu verringerte sich auch die Tagesmüdigkeit bei vielen Probanden. Die Ergebnisse wurden Ende letzten Jahres im „American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine“ veröffentlicht.

Weltweit leiden mehr als 936 Millionen Menschen an obstruktiver Schlafapnoe. In Deutschland gibt es 26 Millionen Betroffene. Bei milden Fällen erleiden sie pro Stunde fünf bis 15 Apnoe- und Hypopnoe-Ereignisse vor (Apnoe-Hypopnoe-Index, kurz AHI). Bei der moderaten Form sind es 15 bis 30 und in schweren Fällen mehr als 30.

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Das Gehirn der Betroffenen erhält dann zu wenig Sauerstoff, und der Kohlendioxidlevel in ihrem Blut steigt an, weil das Gas nicht abgeatmet wird. Letzteres löst eine Art Alarm aus, der Körper schüttet Stresshormone aus und steigert die Pulsrate, damit man aufwacht. Ganz munter werden die Betroffenen meist nicht, trotzdem zerhacken solche Stressreaktionen den Schlaf und verhindern die Erholung.

Insgesamt wurden in Apnimeds doppelt-verblindeten Studie 211 Patienten mit schwerer bis milder Schlafapnoe randomisiert, also zufällig in vier Gruppen eingeteilt: Zwei Therapiegruppen erhielten AD109 in verschiedenen Konzentrationen, eine dritte Therapiegruppe bekam nur den Wirkstoff Atomoxetin und die letzte Gruppe erhielt ein Placebomittel.

Über alle drei Therapiegruppen hinweg senkte die medikamentöse Behandlung die Zahl der Atemaussetzer und -störungen teilweise selbst bei schwerer Schlafapnoe auf weniger als zehn Ereignisse pro Stunde: Bei milden Fällen gelang das bei 77 Prozent der Probanden, bei moderater Schlafapnoe bei 42 Prozent und bei der schweren Form bei sieben Prozent. Inzwischen hat Apnimed die erste von zwei geplanten Phase-3-Studien mit jeweils 640 Patienten gestartet. Erste Ergebnisse werden bis Mitte 2025 erwartet.

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Schlafforscher Albrecht Vorster vom Universitätsspital Bern hält den Trend zu Schlafapnoe-Medikamenten für „interessant“, sieht darin allerdings nur eine kurzfristige Lösung, da lediglich Symptome behandelt würden. Entscheidend sei, „ursächlich zu therapieren“, um das Verschreiben einer CPAP-Maskentherapie zu vermeiden.

So sind am häufigsten Fetteinlagerungen im Rachengewebe, die bei Übergewicht entstehen, die Ursache für eine obstruktive Schlafapnoe. In diesem Fall wäre die Empfehlung eine Gewichtsreduktion, also eine Verhaltensänderung. Auch Alkohol, Rauchen, Stress, ungenügende Muskelkraft im Rachengewebe und Schlafen in der Rückenlage können das Risiko für Schlafapnoe erhöhen und stellen Ziele für Verhaltensänderungen dar.

Bisher gibt es noch kein Schlafapnoe-Medikament auf dem Markt. Ärztinnen und Ärzte versuchen seit Jahrzehnten, mit Off-label-Anwendungen von existierenden Mitteln, also abseits ihrer ursprünglichen Einsatzgebiete, Verbesserungen bei der obstruktiven Schlafapnoe zu erzielen. Ausprobiert wurden bereits verschiedene Antidepressiva wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Atemstimulantien, inhalierbare Kortikosteroide, Narkolepsie-Mittel und Nikotinprodukte. Keines der Wirkstoffe hatte eine überzeugende Wirkung, viele lösten ernste Nebenwirkungen aus.

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Als häufigste mildere Nebenwirkungen hat Apnimed für sein höher dosiertes Kombipräparat AD109 trockenen Mund (59 Prozent), Schlaflosigkeit (22 Prozent) und Probleme beim Wasserlassen (22 Prozent) gemeldet. Beim Einzelpräparat trat Schlaflosigkeit am häufigsten auf (27 Prozent). Schwerwiegende Nebenwirkungen meldete Apnimed nicht.

Auch das australische Pharma-Unternehmen Incannex arbeitet an einer als Tablette verabreichbaren Wirkstoffkombination zweier existierender Mittel. IHL-42X enthält eine synthetische Form von Tetrahydrocannabinol (THC) namens Dronabinol, sowie Acetazolamid. Dronabinol soll die Rachenmuskeln aktivieren, damit sie die Atemwege öffnen. Der Enzymhemmer Acetazolamid wiederum lässt den Körper früher auf die steigende Kohlendioxidmenge im Blut reagieren, damit keine Atemaussetzer entstehen.

Das Kombipräparat senkte in einer kleineren Phase-2-Studie mit 44 Patienten die Zahl der Schlafapnoe-Ereignisse um bis zu 80 Prozent. Absolute AHI-Werte nennt das Unternehmen nicht, so dass sich die Wirkung nicht ausreichend beurteilen lässt. Immerhin hat inzwischen auch Incannex ein größere, beschleunigte Phase-2/3-Studie mit mehr als 500 Patienten gestartet, um die Kombiwirkung genauer zu untersuchen.

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Diskutiert werden darüber hinaus als Diabetes-2-Medikation gestartete und inzwischen verstärkt auch zur Gewichtsreduktion verschriebene Mittel wie Wegowy und Ozempic. Ihre neue Karriere hat Hoffnungen geweckt, dass sie auch bei Schlafapnoe helfen könnten – zumindest dann, wenn Übergewicht der Auslöser ist und solange sie injiziert werden.

Noch ganz am Anfang stehen Versuche mit ausschließlich lokal wirksamen Nasensprays wie der von australischen Forschern von der Flinders University in Adelaide, der die Rachenmuskeln über sogenannte Kaliumkanäle aktivieren soll. Das würde theoretischen systemischen Nebenwirkungen vermeiden helfen, muss aber noch in größeren Studien untersucht werden.

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