Morgens Yoga, mittags den Youtube-Channel zum gesunden Kochen gucken und abends dann noch schnell zum Spanischkurs. Dazwischen arbeiten, arbeiten und nochmal arbeiten. So ein Tag kann schon einmal zwölf Stunden lang sein. Am Wochenende heißt es dann: Freunde einladen, um die Kochkünste vorzuführen. Vorher aber noch schnell eine Runde joggen und im neuen Ratgeber blättern. Klingt nach einem aufregenden und erfüllenden Leben, oder? Isabell Prophet möchte das nicht abstreiten, aber sie sieht darin auch die Gefahr zum Überperformen, wenn jede freie Minute mit Aufgaben gefüllt wird.
Menschen optimieren ihr Zeit – jedoch nicht, um entspannter zu leben, sondern vielmehr, um sich noch mehr To-dos aufzubürden als sowieso schon. Dieses ständige Mehr sei zu einer Volkskrankheit geworden, glaubt sie. Selbstoptimierung sei Selbstbetrug. In ihrem Buch „Wie gut soll ich denn noch werden?“ (Amazon, Thalia, Bücher.de), das am 18. Juni erschienen ist, geht sie kritisch mit dem Trend der Selbstoptimierung um. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was daran falsch ist, seine Möglichkeiten weiter auszuschöpfen, und woran man erkennt, dass man sich im Hamsterrad befindet.
„Selbstoptimierung ist zu einer Volkskrankheit geworden“ – Isabell Prophet
Liebe Isabell, ist es falsch an sich zu arbeiten?
Auf keinen Fall! Es wäre ja furchtbar, wenn wir nach nichts mehr streben würden. Dass wir besser sein wollen, Lösungen für Probleme suchen und komplizierte Dinge vereinfachen wollen, das hat uns erst das gute Leben gebracht, das wir heute führen dürfen.
Trotzdem behauptest du, Selbstoptimierung sei Selbstbetrug. Wie meinst du das?
Wenn ich etwas im Wortsinn optimiere, erreiche ich mehr durch weniger Einsatz. Du kannst die Leistung deines Computers optimieren oder deinen Tagesablauf am Morgen. Das Ziel ist immer: Vereinfachung. Aber was machen wir stattdessen? Wir machen nicht weniger, wir machen dann eher noch mehr. Mehr Sportarten, mehr Diäten, mehr Lebensweisheiten, die uns jedoch wieder nicht klüger machen. Uns wird eine große Masse von Methoden und Produkten gezeigt und es kommt immer etwas nach. Doch zehn Minuten Sport am Morgen oder 20 Minuten Yoga haben am Ende doch nichts geändert – wir mussten nur früher raus oder haben Stress, weil der Kurs gleich anfängt. Dieses ständige „Mehr“ ist Selbstbetrug. Es führt nicht zur Optimierung. Es führt nur dazu, dass wir sehr genau darauf achten, wo unsere eigenen Schwächen und wo die Stärken der anderen liegen, und wo wir uns angeblich weiter optimieren müssen.
Wie lässt sich dieser Kreis des ständigen Mehr durchbrechen?
Ich würde immer damit anfangen, wertzuschätzen, was ich bereits bin. Ich stehe im Zentrum meines Lebens. Natürlich sind auch ein paar andere Dinge wichtig, aber nur ich führe mein Leben. Und dann sollten wir uns bewusst machen, wo wir im Alltag verführt werden und mit welchen Methoden. Wenn wir unsere Antennen schärfen, können wir den Verlockungen der Selbstoptimierungsindustrie ziemlich gut entsagen.
Wir sollen uns also selbst in unseren Möglichkeiten beschneiden?
Etwas Selbstbeschränkung wäre eine sehr gute Idee, ja. Selbstoptimierung ist zu einer Volkskrankheit geworden. In allen Bereichen wollen wir glänzen. Und das können wir auch. Dann sind wir vielleicht in ganz vielen Fähigkeiten besser geworden, aber das Leben, das ist kein bisschen besser als vorher. Es ist nur voller. Wir haben also nichts gewonnen.
Gib uns doch mal ein konkretes Beispiel, wo jeder bei sich selbst ansetzen kann.
Beispielsweise vor dem Display. Wir hinterlassen Spuren im Netz, viele Menschen haben Angst vor staatlicher Überwachung. Tatsächlich überwacht werden wir aber von den Konsumunternehmen, so verdienen sie ihr Geld. Sie zeigen uns in Online-Werbeanzeigen immer wieder Produkte, die unser Leben besser machen sollen. Die Botschaft ist: Kauf dies, dann schöpfst du deine Möglichkeiten aus. Und weil sie ziemlich viele Daten über uns haben, wissen sie über jeden Einzelnen, wofür er empfänglich ist. Sich das bewusst zu machen, hilft. Statt eines neuen Produktes oder eines neuen Trends kann ich meine echten, eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen – und priorisieren: Möchte ich fitter werden? Okay, dann habe ich aber vielleicht keine Zeit mehr für den Spanischkurs.
Da schwingt also auch ein wenig Technik- und Kapitalismuskritik mit.
Uns allen könnte es ziemlich gut gehen, der Kapitalismus steht dem nicht automatisch entgegen, die Technik sowieso gar nicht. Natürlich brauchen wir Fortschritt. Gesellschaftliche Veränderungen und Umschwünge brauchen Zeit, Energie und Vorbereitung – und einen allgemeinen Konsens. Für uns selbst können wir aber sofort etwas tun. Da gibt es widerstrebende Interessen: Unternehmen wollen verkaufen, ich will ein gutes Leben. Kluge Unternehmen versprechen mir das gute Leben, lassen es mich aber nie erreichen. Das liegt ganz natürlich in ihrem Interesse: Sie wollen und müssen Gewinne erzielen. Das geht am besten, wenn wir Angst haben, nicht gut genug für unser eigenes Leben zu sein. Das kann man zwar verurteilen, nur aufreiben sollte man sich an diesen Gedanken nicht. Wenn wir uns selbst bewusst machen, wie diese neue Selbstoptimierungsindustrie funktioniert, können wir bewusster wählen, was wir wirklich wollen.
Wann bist du der Selbstoptimierungsindustrie zuletzt so richtig auf den Leim gegangen?
Ich habe beispielsweise eine sehr teure Mitgliedschaft im Sportstudio – mit sehr langer Laufzeit und viel Budget auf der Karte für die Fitnessbar. Wie oft gehe ich hin? Seit Längerem gar nicht mehr. Ich mache sehr gern allein Sport, daheim, mit Hanteln oder dem Körpergewicht. Dafür brauche ich keine Halle voller Geräte. Ich will lieber nicht nachrechnen, was das Studio jetzt gekostet hat.
Und war das der Punkt an dem du sagtest: Darüber schreib ich jetzt ein Buch!
Tatsächlich gab es den einen Moment nicht. Das Thema wächst schon seit Jahren in mir – und übrigens auch in ziemlich vielen anderen Menschen. Hätten wir nur eine Baustelle, kämen wir ja prima klar. Ein Ziel ist okay, das können wir verfolgen. Aber es sind viele, und es kommen ständig neue dazu, während wir den alten nachtrauern. Das zehrt uns aus, zusätzlich zum echten Alltag. Und dann schauen wir in die Werbung und hey – ein neues Ziel, auch dieses könnte ich erreichen.
In deinem Buch gibst du eine ganze Reihe von Fragen an die Hand, die uns dabei helfen sollen, den Selbstoptimierungsdrang zu verstehen. Eine davon lautet: „Ist das Gefühl realistisch?“ Wie ist diese Frage gemeint und was soll sie bewirken?
Manchmal fühlen wir uns schlecht, ungenügend, vielleicht wie ein Hochstapler. Und dann investieren wir – Zeit, Geld, Energie. Doch diese Gefühle sind meist unbegründet. Wir optimieren an uns herum – dabei sind wir längst gut, vielleicht sogar hervorragend. Uns wird nur suggeriert, wir seien es nicht.
Klingt schwierig, diese Frage immer richtig zu beantworten.
Wenn du eine leichte Lösung suchst, dann kauf dir einen Ratgeber für mehr Leichtigkeit. Das wird dann aber vermutlich nicht besonders lange gut gehen. Vielleicht ist es manchmal schwierig, zu erkennen, was man wirklich will. Aber wer seine eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, der lebt mittelfristig entspannter und zufriedener. Wer sich selbst nicht eingesteht, gut genug zu sein, der tut das oft aus falscher Bescheidenheit. Und die nutzt wirklich niemandem.
Da hast du wohl Recht. Danke dir für dein Zeit.
Dafür nicht.
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Der Beitrag ist allein schon genug Selbstbetrug vom Autor