Nicht erst seit der Me-too-Kampagne ist klar, dass sexuelle Belästigung in der Arbeitswelt kein Einzelfallproblem ist. Immer wieder kommt es zu Aufdringlichkeiten durch Kollegen, Vorgesetzte oder Dritte. Vielen Betroffenen, aber auch Arbeitgebern ist wenig über Präventions- oder Schutzmaßnahmen bekannt. Manch eine Person schlittert auch ungewollt in den Verdacht einer Grenzüberschreitung. Diesen Menschen fehlt das Bewusstsein für die Thematik. Doch wo fängt sexuelle Belästigung eigentlich an? Wie sollten Betroffene und Arbeitgeber reagieren, wenn der Arbeitsplatz zum Schauplatz des Geschehens wird? Wir haben mit Guido Völkel, einem Fachanwalt für Arbeitsrecht der international agierenden Anwaltssozietät Bird & Bird, zu dem Thema gesprochen.
„Sexuelle Belästigung kann verschiedenste Gestalt annehmen“ – Guido Völkel von Bird & Bird
t3n.de: Herr Völkel, meine Kollegin begrüßt mich morgens immer mit „Hallo, Hase!“ und ich antworte darauf in der Regel mit „Morgen, Schatz!“ Kann das zum Problem werden?
Guido Völkel: Ja, solche Aussagen können mitunter problematisch sein. Verbale Äußerungen wie die von Ihnen genannten können ebenso wie sexuelle Handlungen eine Belästigung darstellen. Auch die Verwendung von Kosenamen durch Fremde kann je nach Situation und Intensität dazu geeignet sein, in die Privat- oder sogar Intimsphäre des Betroffenen einzugreifen. Ob eine gewisse Aussage in der konkreten Situation als sexuelle Belästigung einzustufen ist, hängt in erster Linie davon ab, ob dies mit dem Einverständnis des Gegenübers geschieht.
Sie sprechen vom harmlosen Flirt?
Genau, insoweit ist eine Belästigung von einem auf Gegenseitigkeit beruhenden Flirt zu unterschieden. Wenn Bezeichnungen als „Schatz“ oder „Hase“ jedoch von dem jeweiligen Kollegen gänzlich unerwünscht sind und ausdrücklich abgelehnt werden, kann das Verhalten als sexuelle Belästigung eingestuft werden. Eine solche Ablehnung kann übrigens schon durch offensichtliche Passivität des Gegenübers angezeigt werden.
Welche Verhaltensweisen zählen zur sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz noch dazu?
Eine sexuelle Belästigung kann verschiedenste Gestalt annehmen. Dabei fängt die Benachteiligung nicht erst bei unerwünschten Berührungen, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen oder diffamierenden Äußerungen an. Auch ein non-verbales Verhalten, wie beispielsweise anzügliche Gesten, permanentes Anstarren oder das Zusenden pornographischer, sexueller Inhalte kann eine Belästigung darstellen. Bei den vielfältigen Verhaltensformen ist mitunter schwierig zu beurteilen, wann genau die Schwelle überschritten ist.
Wie kann man dann wissen, wo die Grenze verläuft?
Sobald die Ablehnung der Annäherungsversuche der belästigenden Person bekannt wird, das Verhalten aber dennoch nicht aufhört, handelt es sich definitiv um eine Grenzüberschreitung. Allgemein gesprochen können Verhaltensweisen, die unerwünscht, sexualisiert, geschlechterbezogen, herabwürdigend oder kränkend sind, auf eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz hinweisen.
Während anzügliche Bemerkungen oder unsittliche Berührungen relativ eindeutig sein dürften, sorgt vor allem der sogenannte Altherrenwitz eher für Verwirrung. Wie steht es darum?
Bei Altherrenwitzen ist die Abgrenzung zwischen einem bloßen Witz oder Kompliment und tatsächlicher Belästigung schwierig. Sofern aber die Würde der betroffenen Person herabgesetzt wird, kann eine sexuelle Belästigung angenommen werden. Sie kann insbesondere dann angenommen werden, wenn die sogenannten Witze trotz Aufforderung zur Unterlassung wiederholt werden. Schließlich beurteilt sich die Grenze aber nach dem konkreten Einzelfall.
Die Hans-Böckler-Stiftung, die zu dem Thema kürzlich forschte, riet Unternehmen dazu, dass sie in die Betriebsvereinbarungen eine Definition für sexuelle Belästigung festschreiben sollen. Mitarbeiter würden so genau wissen, wo die Grenze verläuft. Ist es wirklich so einfach?
Jein. Die vom Unternehmen festgelegte Grenze der Verhaltensformen und die daraus resultierenden Konsequenzen werden durch eine in der Betriebsvereinbarung genannten Definition für die Arbeitnehmer zumindest transparent. Das ist in jedem Fall gut. Die Nennung in der Betriebsverfassung unterstreicht zudem die Wichtigkeit dieser Thematik und kann ein stärkeres Bewusstsein innerhalb des Betriebes schaffen. Insoweit kann eine Festlegung der Definition als eine Art Orientierungshilfe bei der Abwägung für alle Arbeitnehmer zumindest sachdienlich sein.
Und was spricht dagegen?
Nun ja, auf der anderen Seite lässt sich eine starre Definition nicht unbedingt auf alle möglichen Vorfälle anwenden. Insbesondere kommt es auf die subjektiven Wahrnehmungen der Betroffenen an. Diesbezüglich hat jede Person unterschiedliche Schmerzgrenzen, sodass das Gefühl einer sexuellen Belästigung auch von der Person des Betroffenen abhängig ist. Insofern kann eine abschließende Definition nur bedingt Belästigungen vorbeugen. Wenn auch Beispiele oder bestimmte Verhaltensweisen in die Definition der Betriebsvereinbarung einfließen, ist zu beachten, dass diese gerade wegen der subjektiven Einschätzungen keine abschließenden Fallgruppen bilden können.
„Das AGG verpflichtet den Arbeitgeber bei einem Vorfall, Maßnahmen zu ergreifen.“
Wie müsste so eine Definition lauten? Beziehungsweise an welchem Vorbild sollte sie sich am besten orientieren?
Eine Definition hält das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 3 Abs. 4 bereit und umschreibt dort, wann eine sexuelle Belästigung eine berufliche Benachteiligung darstellt. Neben der beispielhaften Aufzählung von Verhaltensweisen, die dazu geeignet sind, eine sexuelle Belästigung darzustellen, fordert die Definition, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird oder dies zumindest bezweckt ist. Gerade diese letzte Komponente ist stark von der subjektiven Wahrnehmung der betroffenen Person abhängig, was eine trennscharfe Definition erschwert.
Angenommen ein grenzüberschreitendes Verhalten steht im Raum. Was würden Sie Betroffenen raten, sobald sie sich belästigt fühlen?
Sexuelle Belästigungen können für die Betroffenen langfristige Gesundheitsschäden nach sich ziehen und den Betriebsfrieden in erheblicher Weise beeinträchtigen. Deshalb gilt: Betroffene müssen aktiv gegen Belästigungen vorgehen. Auf keinen Fall dürfen solche Verhaltensweisen als unvermeidbares Übel hingenommen werden. Teilweise kann es hilfreich sein, mit der belästigenden Person selbst das Gespräch zu suchen und diese auf das Fehlverhalten hinzuweisen. Sofern dies der betroffenen Person nicht möglich ist, sollte sie sich entweder an eine Vertrauensperson, an den Arbeitgeber oder eine betrieblich eingerichtete Beschwerdestelle wenden. Außerdem stehen viele öffentliche Beratungsstellen und Rufnummern zur Verfügung, die in solch einer Situation beratend zur Seite stehen.
Und der Arbeitgeber muss dann handeln, sobald die Geschichte ausgesprochen ist?
Ja, für den Arbeitgeber bestehen nach dem AGG Schutzpflichten gegenüber seinen Arbeitnehmern und dies gilt mitunter auch dann, wenn die Belästigungen von einem Dritten, also etwa von einem Lieferanten, ausgehen. Zudem kommen nach dem AGG Ansprüche des Arbeitnehmers auf Schadensersatz, Entschädigung sowie ein Leistungsverweigerungsrecht in Betracht.
Was für Maßnahmen muss ein Arbeitgeber dann ergreifen?
Das AGG verpflichtet den Arbeitgeber bei einem Vorfall, Maßnahmen zu ergreifen. So ist er im Falle einer Belästigung durch einen Arbeitnehmer dazu angehalten, Ermahnungen oder Abmahnungen und bei schwerwiegenden Belästigungen auch die Kündigung auszusprechen. Auch an Umsetzungen oder Versetzungen von Betroffenem oder dem Beschuldigtem innerhalb des Unternehmens ist zu denken, um zu vermeiden, dass die betroffene Person weiteren Belästigungen ausgesetzt ist. In jedem Fall sollten Gespräche mit den Beteiligten gesucht werden.
Und was kann er darüber hinaus tun?
Vor allem auch präventive Maßnahmen treffen, die Belästigungen am Arbeitsplatz vorbeugen können. Wir sprachen bereits drüber: Durch das Zurverfügungstellen von Informationen zu sexueller Belästigung, zu Rechten aus dem AGG und zu Beratungsstellen kann im Unternehmen ein Bewusstsein für das Thema geschaffen werden. Ebenfalls ist es ratsam, eine betriebliche Beschwerdestelle für Betroffene einzurichten und diese bei den Beschäftigten bekannt zu machen.
Herr Völkel, vielen Dank für Ihre Zeit!
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