Denken wie ein Unternehmer: Diese Skills solltest du in der digitalen Ära mitbringen
In der zukünftigen Arbeitswelt wird es immer mehr um die Kollaboration von Mensch und Maschine gehen. Welche Arbeit werden Maschinen übernehmen und wo findet der Mensch seinen Platz in dieser Utopie? Patrick Hartigan ist der Vorsitzende des Masterprogramms der EIT Digital, eine der europaweit führenden Ausbildungsstätten für digitale Innovationen und Entrepreneurship, und weiß, welche Skills große Unternehmen wie Volvo in dieser Zeit von ihren Mitarbeitern erwarten.
t3n.de: Herr Hartigan, glauben Sie, dass Entrepreneure in der Digitalisierung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber traditionellen Unternehmen haben?
Patrick Hartigan: Es geht um die unternehmerische Denkweise, nicht um den Unternehmer an sich. Ein traditionelles Unternehmen, das Leute mit der richtigen Denkweise einstellt, kann überleben, wachsen und am digitalen Markt dominieren. Wir stellen zum Beispiel fest, dass Unternehmen Menschen einstellen, mit der Fähigkeit, unternehmerische Denkweisen in ihre Organisation integrieren. Dazu gehören auch Volvo, Philips und Robert Bosch.
t3n.de: Traditionelle sowie junge Unternehmen müssen sich weiterentwickeln, um in der Digitalisierung standzuhalten. Mit welchen Fähigkeiten?
Vor allem müssen Unternehmen heutzutage Technologien und Marktveränderungen, wie den Einfluss auf autonome Systeme durch das Internet der Dinge (Maschinen, die kommunizieren) und Künstliche Intelligenz (Maschinen, die intelligent sind) viel früher adaptieren, als noch vor 30 Jahren. Als ich damals meine Karriere als Ingenieur startete, begann die Revolution der mobilen Kommunikation. Seitdem findet eine enorme Transformation statt, nicht nur hinsichtlich der Technologien, sondern auch wie wir diese benutzen. Die nächste Wandlung wird nicht mehr 30, sondern nur drei bis fünf Jahre dauern. Unternehmen müssen deshalb agil sein, um neue Geschäftsmodelle zu schaffen, die den technologischen Wandel voll ausschöpfen.
t3n.de: Was bedeutet „agil sein“ in diesem Zusammenhang?
Am wichtigsten ist ein tiefes Verständnis für Technologie und Weitblick. Digitale Innovationen wurden einst durch die Gesetzgebung sowie politischen und gesellschaftlichen Wandel ermöglicht. Heute werden solche Veränderungen durch die Art, wie wir leben, hervorgerufen – schaue dir nur einmal die Mediennutzung junger Menschen an. Das Smartphone beherrscht die digitale Veränderung dieser Tage enorm. Ingenieure und IT-Wissenschaftler müssen dies verstehen und antizipieren.
t3n.de: Das ist alles?
Nein, wichtig ist auch die objektive faktenbasierte Vorhersagefähigkeit von Technologiewandel und Geschäftswelt – eine sehr schwierig zu akquirierende Fähigkeit. Sie ist jedoch unerlässlich. Chefetagen sowie Mitarbeiter müssen die neusten Fähigkeiten für Unternehmertum und Business Development anwenden können, die mit der Kreation von neuen digitalen Technologieprodukten und digitalisierten Geschäftskonzepten verknüpft sind. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Dafür benötigen sie Mitarbeiter mit einem neuen Mindset.
t3n.de: Welcher Mindset ist das?
Technologisches Know-How und unternehmerisches Denken sind die Attribute, die in einer, von Big Data, autonomen System und dem Internet der Dinge dominierten, Zukunft von Innovatoren verlangt werden. Dazu gehören eine Grundausbildung in Mathematik, das Verständnis für Computerprogrammierung und wie Geschäftsmodelle in der digitalen Welt funktionieren. Mitarbeiter brauchen diese Fähigkeiten, um der intransparenten Zukunft zu begegnen.
t3n.de: „Intransparent“?
Die Zukunft ist intransparent, da neue Bereiche, wie zum Beispiel Data Science Antworten zu Fragen liefern werden, die wir uns noch nicht einmal gestellt haben.
t3n.de: Kenntnisse wie Programmierung gehören zu den sogenannten Hard Skills. Wie wichtig sind diese Skills für Unternehmen?
Daten sammeln und kombinieren, sodass wir Antworten auf Fragen generieren können, die wir noch nicht mal gestellt haben – das ist Data Science, einer der wichtigsten Hard Skills in der digitalen Ära. Es wäre jedoch ein Trugschluss, zu glauben, dass Datenanalyse der Schlüssel zum Wirtschaftswachstum ist. Erfolgsgarant ist es, Lösungswege für Probleme zu entwickeln und immer der Erste zu sein. Datenanalyse mag ein Faktor sein, mehr jedoch nicht. Wir brauchen Macher, Innovatoren, Unternehmer und Ingenieure wesentlich dringender als Analysten.
t3n.de: Und diese Innovatoren brauchen nicht nur Hard Skills, oder?
Betrachte zum Beispiel, wie sich die Einstellung vieler Menschen hinsichtlich ihrer Privatsphäre geändert hat: Vor zehn Jahren konnte sich nur wenige vorstellen, ihre gesamten Daten in einer von einem Unternehmen betriebenen Cloud zu speichern.
Richtig. Unsere Mission bei EIT Digital beispielsweise ist es, das Leben der Menschen und die Wirtschaft in Europa zu verbessern. Wir wollen deshalb, dass junge Menschen lernen, wie sie neue Geschäfte entwickeln, die das Ziel haben, die Gesellschaft zu verbessern. Das bedeutet: über Marktbedürfnisse hinausdenken und auf die sozialen Implikationen des Technologiewandels schauen.
Schließlich resultieren einige der größten wirtschaftlichen Innovationen der vergangenen Jahrzehnte aus dem Wechsel der sozialen Normen. Betrachte zum Beispiel, wie sich die Einstellung vieler Menschen hinsichtlich ihrer Privatsphäre geändert hat: Vor zehn Jahren konnte sich nur wenige vorstellen, ihre gesamten Daten in einer von einem Unternehmen betriebenen Cloud zu speichern.
t3n.de: Würden Sie deshalb sagen, dass Sektoren wie Tech von der digitalen Ära am stärksten betroffen sind?
Jein. Betroffen sind Industrie, Infrastruktur, der Gesundheitsbereich, Städteplanung und der Finanzsektor. Das heißt, es ist so ziemlich das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftsgefüge davon betroffen. So können auch im Bildungsbereich dramatische Veränderungen erwartet werden, beispielsweise durch MOOCs. Bei EIT Digital unterrichten wir auch über MOOCs.
Die traditionelle Campus-basierte Universität ist genauso unter Druck, wie Sektoren wie Transport oder Einzelhandel. Auch hier gilt deshalb: Die konstante digitale Produktevolution ist der Schlüssel zum Überleben. Für den Bereich Bildung bedeutet das, dass Hochschulen den richtigen Mix zwischen Online und Offline-Lehre finden müssen, mit dem Ziel, die zeitliche und örtliche Abhängig von Bildung aufzulösen, während die akademische Qualität erhalten und verbessert wird.
t3n.de: Ist es dafür nicht zu spät?
Ja, einige Wirtschaftssektoren erleben bereits eine gravierende Schrumpfung durch die Digitalisierung. Sämtliche administrativ unterstützenden Rollen (Assistenten) sind in vielen Bereichen verschwunden. Ein OECD-Report zeigt auf, dass mehr als zwölf Prozent der deutschen Arbeitsplätze durch Digitalisierung bedroht sind, was im Vergleich zu anderen Ländern sehr viel ist. Viele Unternehmen haben rechtzeitig erkannt, dass sie etwas verändern müssen. Generell sollte jedes Unternehmen darüber nachdenken, wie die Digitalisierung ihre Strategie beeinflusst.
Die Chefetagen müssen einen disruptiven Wettbewerb erwarten und sich vor ihn setzen. Für Unternehmer, die ihre Strategie in Bezug auf die Digitalisierung noch nicht betrachtet haben, empfehle ich „The Fourth Industrial Revolution“ von Klaus Schwab. Es gibt einen exzellenten Überblick, worum es in der Digitalisierung überhaupt geht. Zum Beispiel beleuchtet es, welche Wirtschaftssektoren besonders und welche am wenigsten betroffen sind.
t3n.de: Darin geht es auch um Künstliche Intelligenz?
Natürlich. Stell dir vor, dass der Algorithmus, der dir in den sozialen Netzwerken Freunde oder Bekannte vorschlägt, seinen Weg ins Rechtssystem, in die medizinische Diagnose oder Investmententscheidungen findet. Tatsächlich ist dies bereits der Fall. Wenn Künstliche Intelligenz genauso produktiv und akkurat funktioniert wie der Social Media-Algorithmus, könnte die Wahrscheinlichkeit von rechtlicher Fairness, akkurater medizinischer Diagnose und profunder Investmententscheidungen substantiell steigen. Dabei gibt es jedoch einen Haken: Ein Algorithmus kann immer einen Fehler verbergen oder gehackt werden.
t3n.de: Was bedeutet das für Gesellschaft und Wirtschaft?
Es bedeutet, dass viel mehr in Technologien für Sicherheit und Privatsphäre investiert werden muss, um negative Konsequenzen von Künstlicher Intelligenz zu vermeiden.
t3n.de: Ist es also verständlich, dass Menschen sowie Unternehmen Angst vor Künstlicher Intelligenz haben?
Wir leben in einer Welt, in der die Gesetzgebung und (bis zu einem gewissen Grad) die Strafverfolgung der Technologie um Jahre, manchmal Jahrzehnte, hinterherhinken. Es ist eine Gesellschaft, in der eine bösartige Ausnutzung von Technologiefehlern stattfindet. Erinnerst du dich an die weltweiten Hackerangriffe der vergangenen Wochen wie „Wannacry“? Ähnlich ist es beim „Internet der Dinge“, also intelligenten Geräten wie Apples Siri oder Amazons Alexa. Wenn Dinge denken, sollte man sich Gedanken darüber machen, wie viel man sie wissen lässt. Wenn Dinge besser denken können, als ich es kann, weiß ich, dass sie zu viel wissen. Fazit: Ängste sind berechtigt, solange das Recht dem Wandel hinterher hängt.
t3n.de: Wie kann man das ändern?
Wir benötigen Technologieexperten, die die rechtlichen und gesellschaftlichen Implikationen ihrer Arbeit verstehen. Gleichzeitig benötigen wir Leute auf der Seite der Legislatur, die Technologien verstehen. Wir bei EIT Digital adressieren bereits den ersten Teil. Letzteres sollte jedoch auch Teil der jeweiligen Ausbildung sein.
t3n.de: Welche Rolle spielt Cybersicherheit dabei?
Der heutige Druck auf Cybersicherheit und die Relevanz für die Cloud machen Security, Privacy und Cloud Computing zu sehr wichtigen Aufgabenbereichen, die jeder Ingenieur und jedes Unternehmen beherrschen müssen. Überlegungen zur Sicherheit (und Privatsphäre) müssen deshalb in sämtlichen Prozessen vonstattengehen. Security-by-design und Privacy-by-design sind essentiell für eine sichere Zukunft. Es macht keinen Sinn, sich den Kopf über Sicherheitslücken in Produkten zu zerbrechen, die bereits auf dem Markt sind. Produktdesigner müssen schon über Lösungen nachdenken, bevor Produkte auf den Markt kommen.
t3n.de: Sie haben das Thema Sicherheit angesprochen. Gab es jemals eine derartige wirtschaftliche (!) Entwicklung wie die Digitalisierung, in der man Angst um seine Sicherheit hatte?
Ja. Die Massenproduktion sah das Ende von Industrie 1.0 in den 1920er-Jahren. Damals hieß es „Auf Wiedersehen“ zu Schmieden und Metallgießereien. Elektronische Geräte ersetzten mechanische Geräte in den 1980er-Jahren – „auf Wiedersehen“ zu Schreibmaschinen und Produkten der Industrie 2.0. Nun sehen wir das Ende von Industrie 3.0. Es wird Massenarbeitslosigkeit verursachen, Industrien werden verschwinden.
t3n.de: Zum Beispiel?
Das Privatkundengeschäft in Bankfilialen ist bereits unter enormem Druck durch Innovationen. Im Logistik- und Warenlagerbereich werden bereits autonome Systeme eingeführt. Auch im Transportsektor wird es bald Veränderungen geben. Fahrer werden durch autonome Fahrzeuge ersetzt – große Hersteller wie Daimler und MAN arbeiten längst daran.
t3n.de: Haben Sie rosigere Aussichten?
Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Das trifft auch auf Unternehmen zu, die von der Digitalisierung betroffen sind. Wenn sie ihre Geschäftsmodelle stets durch Innovationen verbessern und anpassen, und diese durch Technologie erleichtern, garantiert das mindestens ein Überleben, wenn nicht sogar einen wirtschaftlichen Aufschwung. Nicht zuletzt sollte die Digitalisierung aber nicht unternehmerische Werte unterwandern. Denn unsere Werte zählen, ganz egal in welcher wirtschaftlichen Veränderung wir uns gerade befinden.
t3n.de: Herr Hartigan, vielen Dank für das Gespräch.
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Guter Artikel, allerdings fehlen mir zu viele „traditionelle“ Soft Skills, siehe https://www.profilanalysen.de/karriere-mit-soft-skills/ (insbesondere Offenheit für Neues) und auch Hard-Skills in einer sich rasant ändernderden Welt wie z.B. Methodenkompetenz im Projektmanagement inkl. iteratives Vorgehen und rollierende Planung / Durchführung.