So funktioniert Gamification nicht – Nudging aber schon
Seit vier Jahren lerne ich Niederländisch mit der Duolingo-App. Meine Erfolge können sich sehen lassen: Ich habe einen 550-Tage-Streak, insgesamt 63.002 XP gesammelt, bin seit 57 Wochen in der Diamond League, habe in sechs Achievements das höchste Level erreicht und kann für jeden Monat seit August 2021 eine lückenlose Sammlung an Badges vorweisen.
Leider kann ich immer noch kein Niederländisch. Beim letzten Urlaub kam ich kaum über eine gestotterte Essensbestellung hinaus. Sprachen lernt man vor allem durch Sprechen, schon klar. Ich habe auch nie ernsthaft erwartet, allein durch eine App irgendwann flüssig parlieren zu können. Trotzdem: So grottig hatte ich mir das digitale Lernen nicht vorgestellt.
Alle erdenklichen Elemente der Gamification
Wirklich virtuos funktioniert bei Duolingo vor allem das „Nudging“, und zwar nach dem Schrotflinten-Prinzip: Alle erdenklichen Elemente der Gamification werden gleichzeitig auf die User losgelassen – irgendetwas wird schon treffen. Sozial beflissene Menschen können Freund:innen einladen, wettbewerbsorientierte an Challenges teilnehmen, prestigesüchtige ihren Avatar aufbrezeln, Sammlernaturen Auszeichnungen anhäufen. Und pausenlos wird man für die trivialsten Dinge gelobt, mechanisch und völlig undifferenziert – wahrscheinlich, weil irgendein Entwickler in einem Motivationshandbuch etwas über „positive Verstärkung“ gelesen hat.
Das Ärgerlichste an diesem Ansatz: Er funktioniert. Irgendwo hat eben jeder seinen weichen Fleck. Auch ich. Das ganze Punktesammeln ist mir eigentlich ziemlich wurscht. Aber aus einer einmal erreichten Liga absteigen? Niemals!
Erklickbare Erfolgserlebnisse hatten mich angefixt
Dass mich die kleinen, billigen, stets zwischendurch schnell erklickbaren Erfolgserlebnisse tatsächlich angefixt hatten, musste ich mir eingestehen, nachdem ich für ein halbes Jahr zum Konkurrenten Babbel gewechselt hatte. Babbel ist so etwas wie Duolingo für Erwachsene. Früher hatte ich den Eindruck, dass bei Babbel Leute mit einem sprachpädagogischen Konzept und Liebe zum Detail involviert sind. Doch mittlerweile, in den späteren Lektionen, erscheint es mir genauso hirnlos und schematisch wie Duolingo.
Duolingo-App selbst ist nur begrenzt lernfähig
Dahinter mag eine didaktische Philosophie stecken, aber ich bezweifle das. Es macht halt viel weniger Arbeit, den einmal erstellten Fundus an Beispielsätzen immer wieder auszuspielen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Duolingo-App selbst nur begrenzt lernfähig ist. Ständig ist zwar von „personalisierten Übungen“ die Rede, aber was genau daran personalisiert sein soll, erschließt sich mir nicht.
Auch der begriffsstutzigste Algorithmus hätte eigentlich merken müssen, dass ich zum Beispiel gewisse Probleme mit den verschiedenen Demonstrativ-Pronomen („dit“, „dat“, „deze“) habe. Doch statt gezielt an dieser Schwäche zu arbeiten, legt mir die App immer wieder eine wahllose Mischung aus Übungen vor, die ich schon tausend Mal richtig beantwortet habe. Würden die Duolingo-Macher:innen nur einen Bruchteil ihrer Nudging-Begeisterung für wirklich individualisiertes Lernen aufbringen, sollte so etwas nicht vorkommen.
Nudging, du hast gewonnen
Trotz all dieser Nervfaktoren bin ich nach einem halben Jahr Babbel wieder zurück zu Duolingo gewechselt. Mir fehlte irgendwann einfach die regelmäßige Infusion an mentalen Streicheleinheiten. Es ist wie mit Kartoffelchips: Das Wissen darum, dass es auch gesündere Lebensmittel gibt, führt nicht automatisch dazu, die Finger aus der Tüte zu lassen. Nudging, du hast gewonnen.