Softwareentwicklung ist wie Boxen – welche Fragen ein CEO der IT-Abteilung stellen muss
Dass wir unsere Unternehmen digitalisieren müssen, ist hinreichend bekannt. Wie genau das passieren soll, ist hingegen eine ganz andere Frage. Oft scheitert es bereits daran, dass sich betriebswirtschaftliche Entscheidungsträger damit schwertun, den Status quo ihrer IT richtig einzuschätzen.
Natürlich muss nicht jeder CEO ein begnadeter Techniker sein. Er sollte aber die richtigen Fragen stellen können, um die digitalen PS auf die Straße zu bekommen.
Dabei kann eine einfache Metapher aus dem Boxsport helfen, den Dialog zwischen der betriebswirtschaftlichen und technischen Welt zu optimieren. Eine gute Softwareentwicklung kann man nämlich durchaus mit einem guten Boxer vergleichen. Dessen Fähigkeiten lassen sich anhand der folgenden Kriterien beurteilen:
- Ein guter Boxer erzielt Wirkungstreffer, im Idealfall einen KO. Mike Tyson ist ein Paradebeispiel für einen solchen Boxertyp, der im Laufe seiner Karriere selten mehr als zwei bis drei Runden im Ring stand.
- Ein guter Boxer ist technisch versiert. Ein Beispiel für diesen Boxertyp ist Henry Maske. Er war weniger für seine physische Stärke oder Wirkung bekannt als für seinen technischen Boxstil, der sich in den meisten Fällen über zwölf Runden zog.
- Ein guter Boxer ist offen für das Feedback seines Trainers und kann es im Ring umsetzen. Auf Basis dieser Fähigkeit konnte sich zum Beispiel der britische Boxer David Haye in seinem WM-Schwergewichtskampf gegen den körperlich überlegenen Boxer Nikolai Walujew durchsetzen, indem er die Anweisung seines Trainers befolgte, lieber vor dem Gegner wegzulaufen, als auf einen offenen Schlagabtausch einzugehen.
Wirkungstreffer: Beeinflusst die IT die wichtigsten Geschäftsmetriken positiv?
Software ist schon lange keine Dienstleistungsabteilung mehr, die das Geschäft unterstützt und bei der es primär um die Kostenoptimierung geht.
Spätestens seit dem Mantra „Software is eating the World“ von Marc Andreessen wissen wir, dass in vielen Wirtschaftszweigen bereits heute Software das Geschäft ist beziehungsweise sein sollte. In diesem Fall muss der IT-Bereich folglich die Unternehmensziele und die daraus abgeleiteten Geschäftskennzahlen positiv beeinflussen. Im Idealfall erfolgt so ein Wirkungsnachweis auf Grundlage eines eindeutigen Stimmzettels.
Im Gegensatz zur Boxwelt sind diese Stimmzettel in der Softwareentwicklung zum Glück sehr präzise, da Kundenexperimente zum Alltag gehören (sollten), um den Mehrwert neuer Lösungen aufzuzeigen.
Am bekanntesten sind sicherlich A-B-Tests, bei denen den Kunden zwei Varianten einer Website beziehungsweise Funktion angezeigt werden. Der Gewinner ist die Variante, die statistisch signifikant besser als die konkurrierende Variante abschneidet, indem sie zum Beispiel ganz klar zu mehr Transaktionen führt.
Jedes Unternehmen im digitalen Umfeld muss darüber Auskunft geben können, wie viele solcher Tests es durchführt, welche Metriken beeinflusst wurden/werden und bei wie vielen solcher Tests es wirklich zu einem Wirkungstreffer gekommen ist.
Grundsätzlich gilt: Ein guter Tech-Bereich beeinflusst die wichtigen Geschäftskennzahlen positiv und kann aufzeigen, dass diese Entwicklung nicht vom Zufall getrieben ist! Diskutiert deshalb in eurem Team die Frage, anhand welcher Kennzahlen ihr die Wirksamkeit der Softwareentwicklung beurteilt.
Technische und methodische Versiertheit: Wie oft veröffentlichen die Teams neuen Code?
Ein Boxer kann einen physisch überlegenen Gegner bezwingen. Henry Maske ging in den meisten Fällen ganz bewusst über die volle Distanz, da er kein KO-Boxer war.
Was die zwölf Runden im Boxsport sind, das sind regelmäßige und häufige Releases in der Softwareentwicklung. Das sagt viel darüber aus, wie es etwa um die Softwarearchitektur oder Arbeitsweise des Unternehmens im Allgemeinen bestellt ist. Gute Teams sind dazu in der Lage, solche Releases mehrmals am Tag durchzuführen. Bei Unternehmen mit technischen Schulden ist es hingegen nicht ungewöhnlich, dass sich dieser Prozess mitunter über Tage, Wochen oder gar Monate hinzieht.
Die einfache Frage danach, warum der Status quo nun so aussieht, wie er nun einmal aussieht, führt dann schnell zu Themen wie der Qualität oder Testbarkeit des Codes oder der Arbeitsweise und Erfahrung des Teams.
Die Neugier und Offenheit, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen, ist viel wichtiger als die Fähigkeit, alle diese Dinge im Alltag selbst bis ins letzte Detail angehen zu können. Viele Digitalisierungsvorhaben scheitern nämlich genau deshalb, weil viele Entscheidungsträger diese technische Neugier nicht hinreichend an den Tag legen.
CEO sollen daher mit ihrem IT-Bereich darüber sprechen, wie oft im Unternehmen neue Releases veröffentlicht werden.
Feedback: Wie schnell kann das Datenteam Fragen der Fachabteilung beantworten?
Ein Boxtrainer sieht den Kampf analytischer als der Boxer in der Hitze des Gefechts. Diese Fähigkeit ist wichtig, um den Boxer in der Ringpause wieder aufzurichten oder korrigieren zu können. Der unmittelbare Austausch zwischen Trainer und Sportler erscheint uns als normal.
Im Gegensatz dazu haben sich viele von uns im Alltag daran gewöhnt, dass Analysen zu bestimmten Geschäftsvorfällen durchaus länger dauern können, was allerdings erstaunt: Ähnlich wie bei einem Boxkampf müssen wir auch als Unternehmen dazu in der Lage sein, möglichst schnell auf veränderte Gegebenheiten oder Kundenfeedback reagieren zu können.
Gute Tech-Bereiche sind dazu in der Lage, die erforderlichen Daten zur Beantwortung fachlicher Fragen aus dem Effeff bereitzustellen. Dabei geht es nicht nur um Daten zur Umsatzentwicklung.
Es sollte heutzutage ohne größeren Aufwand möglich sein, Kundenkohorten zu analysieren oder die Kundenakquisitionskosten segmentspezifisch dem Customer-Lifetime-Value einer Kundenbeziehung gegenüberstellen zu können.
Wenn solche Auswertungen viel Zeit in Anspruch nehmen, sagt dies mindestens zwei Dinge aus: Zum einen besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass womöglich noch gar keine richtige Datenorganisation existiert, zum anderen sollte man sich in diesem Fall aber auch die Frage stellen, warum man als Unternehmen im Jahr 2022 noch nicht so weit ist und ob man die Bedeutung von Daten für ein erfolgreiches Digitalgeschäft hinreichend verstanden hat.
Als grobe Faustregel können wir somit festhalten: Je länger die Antwort des Datenteams bei grundlegenden Fragen auf sich warten lässt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in puncto Datenkompetenzen noch nicht da ist, wo man sein sollte.
Fazit
Drei Fragen zu stellen, kann ohne tiefgreifende technische Kompetenzen aufzeigen, wie es um die eigene IT und deren Arbeitsweise bestellt ist. Dabei geht es weniger darum, ein Urteil im Sinne eines „gut“ oder „schlecht“ zu fällen. Die hier skizzierten Fragen sollten vielmehr dazu beitragen, den Dialog zwischen betriebswirtschaftlich und technisch versierten Abteilungen zu verbessern.
Je größer beziehungsweise geringer das gemeinsame Verständnis zwischen diesen Bereichen ausfällt, desto effektiver und effizienter lässt sich ein Digitalgeschäft aufbauen oder gegen die Wand fahren – im Idealfall sollten CEO sich auf den Aufbau konzentrieren.