Der Guardian bezeichnet es als einen „Bank-Run in Zeitlupe“, den der Multimilliarden-Dollar-Stablecoin Tether derzeit sieht. Seit Beginn des Krypto-Absturzes Anfang Mai 2022 sind schon mehr als zehn Milliarden US-Dollar „abgehoben“, respektive wieder in Dollar umgewandelt worden.

Allein am vergangenen Wochenende musste Stablecoin-Herausgeber Bitfinex Blockchain-Daten zufolge Tether im Wert von einer Milliarde Dollar zurücknehmen. Dabei wurde die Kryptowährung an das Unternehmen zurückgegeben und als Teil des „Abhebungsprozesses“ vernichtet. Wenige Tage zuvor waren bereits 1,5 Milliarden Dollar auf die gleiche Weise zurückgenommen worden.

Der bisher zurückgegebene Gesamtbetrag soll mittlerweile etwa einem Achtel der behaupteten Gesamtreserve des Unternehmens entsprechen. Die „Abhebungen“ hatten sich nach dem Terra-Crash beschleunigt, was Beobachter auch auf eine Tether-Erklärung von Ende März zurückführen.

Seinerzeit hatte Bitfinex aktualisierte Informationen dazu gegeben, wie sich seine Reserven zusammensetzen. Bitfinex ist zu einer quartalsweisen Aktualisierung dieser Informationen verpflichtet. Sie ist Teil eines Deals mit dem New Yorker Generalstaatsanwalt. Der hatte die Aussage, jeder Tether sei mit einem US.-Dollar besichert, angezweifelt und wollte sich das nachweisen lassen.

Daraufhin hatte das Unternehmen eingeräumt, dass diese behauptete Besicherung zumindest nicht immer der Fall sei. Stattdessen sei der Tether durch „Tethers Reserven“ gedeckt. Die müssen nun einmal im Quartal näher spezifiziert werden, was in Krisenzeiten natürlich genauestens beobachtet wird.

Die jüngste Erklärung behauptet, dass Tether etwa 20 Milliarden Dollar in Geldmarktpapieren, sieben Milliarden Dollar in Geldmarktfonds und fast 40 Milliarden Dollar in US-Schatzwechseln lagert. Weitere sieben Milliarden Dollar werden jedoch in „Unternehmensanleihen, Fonds und Edelmetallen“ sowie in „anderen Anlagen (einschließlich digitaler Token)“ gelagert.

Zwar erscheint dieser Anteil zunächst gering, würde aber im Falle eines Crashs mit einiger Sicherheit dazu führen, dass der Tether eben gerade nicht „vollständig abgesichert“ ist. Stripe-Analyst Patrick McKenzie hält es für möglich, dass dieser Fall latent bereit eingetreten ist. Er gibt zu bedenken, dass Tether laut Unternehmensangaben über 162 Millionen Dollar mehr an Reserven, als es insgesamt Token ausgegeben hat.

Das klinge zwar gut, beinhalte aber auch einige durchaus spekulative Anlagen, darunter etwa eine über rund 63 Millionen Dollar in die Krypto-Investmentplattform Celsius. Das bereitet ihm Sorge:

„Tether hat 62,8 Millionen Dollar der Reserven in das Celsius-Netzwerk investiert … Celsius befindet sich aufgrund der aktuellen Marktverwerfungen im freien Fall; der Wert ihres nativen Tokens ist um über 86% gesunken.“

Damit habe die Investition „eindeutig eine Wertminderung von mehr als 20 Millionen Dollar erlitten. Die Wertminderung von 1 % eines Postens in ihrer Bilanz hat mehr als 10 % ihres Eigenkapitals aufgefressen.“

Davon will Tether-CTO Paolo Ardoino nichts wissen. Er sagt:

„Tether hat seine Stabilität durch sehr volatile Marktbedingungen hindurch aufrechterhalten. Selbst in seinen dunkelsten Tagen hat Tether nie eine Rücknahmeanfrage eines seiner verifizierten Kunden nicht erfüllt.“

Vielmehr unterstreiche die jüngste Information über die Zusammensetzung der Reserve, dass „Tether vollständig abgesichert ist und dass die Zusammensetzung seiner Reserven stark, konservativ und liquide ist.“

Dass der Tether-CTO die Aussage so trifft, entspricht der offiziellen Sprachregelung des Unternehmens. Sie ist dennoch oder gerade deswegen mit besonderer Vorsicht zu genießen. Zu beachten ist vor allem, dass alle Angaben zu den Sicherungswerten rein auf Unternehmensangaben, nicht auf Nachweisen beruhen.

Wie die meisten Stablecoins setzt auch Tether auf die Bindung an den US-Dollar. Ein Tether soll damit immer exakt einen Dollar wert sein. Das Unternehmen erreicht dies, indem es eine große Reserve an stabilen Vermögenswerten unterhält.

Während Kleinanleger Tether an Kryptowährungsbörsen kaufen oder verkaufen können, können institutionelle Anleger auch einfach Geld direkt an Tether zahlen, um neu geprägte Token zu erhalten. Umgekehrt können sie ihre Token im Austausch gegen Bargeld auch an das Unternehmen zurückgeben.