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Ratgeber

Was für ein stinknormales Arbeitszeugnis spricht

Jeder Jobwechsel setzt das Arbeitszeugnis auf die Agenda und Mitarbeiter und Chefs stecken jede Menge Energie rein.  Warum sie sich das sparen können.

Von Alexandra Vollmer
5 Min.
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Uniform ist praktisch im Job. Ein Standard-Arbeitszeugnis auch. (Foto: ambrozinio/Shutterstock)

Jürgen verlässt das Unternehmen. Er will sich beruflich verändern. Auch wenn sich das für die, die da bleiben, immer etwas doof anfühlt, ist es letztlich ein ganz normaler Schritt. Passiert jeden Tag – auch in den besten Firmen. Weil das so ist, kommt ein Thema immer wieder auf den Tisch: das Arbeitszeugnis. Auch Jürgen braucht das jetzt für seinen nächsten Job. Und er kriegt es auch. Denn jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis, sprich, ein Arbeitszeugnis mit einer Leistungsbewertung. Diesen Rechtsanspruch auf Leistungsbewertung teilt sich Deutschland übrigens nur noch mit der Schweiz.

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Nach der Rechtsprechung muss das Zeugnis wohlwollend formuliert sein, um dem Arbeitnehmer das „berufliche Fortkommen nicht zu erschweren“. Schön für Jürgen. Aber mal ehrlich, was ist ein solches Zeugnis dann noch wert? Wenn schon vorgegeben ist, dass es ein gutes werden muss? Kaum eine Urkunde wird so dermaßen gebogen wie das Arbeitszeugnis.

Für die Erstellung gibt es in den Unternehmen die unterschiedlichsten Verfahren. In manchen Firmen schreibt es der Chef. Es gibt einen Standardtext, in dem nur die persönlichen Daten angepasst werden. Wieder andere handhaben es so, dass der Arbeitnehmer sich sein Zeugnis selbst schreibt – ein Wunschzeugnis quasi. Jeder weiß, wie so eine Zeugniserstellung läuft – und so richtig viel Aussagekraft hat es nicht.

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3 Gründe gegen einen Alleingang

Was, wenn unser Unternehmen nun aber alles richtig machen will? Was, wenn es wirklich abbilden will, was Jürgen kann? Mal abgesehen davon, dass es auf verlorenem Posten steht, weil „draußen“ jeder weiß, dass so ein Zeugnis nichts wert ist. Mark Poppenborg, Gründer und Geschäftsführer des Netzwerkes intrinsify.me, sieht noch eine andere Tretmine, wenn das Zeugnis plötzlich einen Wahrheitsanspruch bekommt: „Die Kollegen sind beleidigt, wenn ein echter „Schlechtleister“ besser beurteilt wird, als er es aus ihrer Sicht verdient hätte.“ Ein Chef könne sich dabei nur in die Nesseln setzen, denn wie soll er denn Jürgens Leistung als, sagen wir, Marketing-Manager objektiv bewerten?

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Um in diesem Rahmen eine bewusste Entscheidung zu treffen, sollte sich nach Poppenborg jedes Unternehmen diese drei Problemfelder bewusst machen:

  1. Leistung ist nicht objektiv messbar.

Ein grundsätzliches Problem bei der Vergabe von Arbeitszeugnissen ist es, dass kaum ein Mitarbeiter heute noch in einem Feld arbeitet, in dem Einzelleistung objektiv messbar ist. Eine solche Messbarkeit gibt es schließlich nur noch bei Aufgaben, bei denen alle Kriterien der Wertschöpfung bekannt, messbar und damit einem Mitarbeiter klar zurechenbar sind. Die meisten dieser Aufgaben sind jedoch inzwischen automatisiert. Wertschöpfung ist heute zu einem Großteil mehr als die Summe der Einzelleistungen und kann damit eben nicht mehr einem Mitarbeiter klar zugeordnet werden. Kooperation, gegenseitige Unterstützung, das Teilen von Wissen, das Mit- und Vordenken für Kollegen, das Haben und Mitteilen einer Idee – all das ist Wertschöpfung. Und all das ist eben nicht messbar. Es ist nur beurteilbar. Beurteilen ist jedoch kein objektiver Vorgang, sondern immer ein subjektiver. Das heißt, ob jemand viel oder weniger leistet, hängt von der Perspektive des Beobachters und seiner Einschätzung ab.

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Damit ist schon mal klar, dass es ein objektives Arbeitszeugnis gar nicht geben kann. Wer versucht, eine vermeintliche Objektivität herzustellen, erliegt einer handfesten Illusion. Besser ist es, die existierende Subjektivität in der Beurteilung anzuerkennen.

  1. Für die Bewerbung. Punkt.

Wesentlicher Nutzen des Arbeitszeugnisses ist es, den nächsten Karriereschritt zu erleichtern. Nicht mehr und nicht weniger. Unternehmen sollten damit offen umgehen. Schließlich weiß ohnehin jeder, dass es so ist. Also warum nicht das Kind beim Namen nennen? Und den ganzen Pseudo-Feedback-Anspruch rausnehmen?

Eine Option: Jedem Mitarbeiter einen „Einser“, also die bestmögliche Beurteilung, geben. Die entsprechenden „Codes“ sind im Netz frei zugänglich. Jeder weiß letztlich, wie zu formulieren ist, damit die gewünschte Note klar rüberkommt.

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Eine „Eins“ steht beispielsweise hinter dieser Beurteilung:

  • Ihre Leistungen „waren stets sehr gut“.
  • Man war mit seinen Leistungen „außerordentlich zufrieden“.
  • Sie haben „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit gearbeitet“.

„Damit wäre ja wohl der Nutzen für den nächsten Arbeitgeber gleich Null“, melden sich Gegner zu Wort. Sicher. Wenn aber alle ahnen, dass Zeugnisse getürkt sind, dann stellt sich derjenige, der sie noch ernst nimmt, schlechter als die, die das Spiel einfach mitspielen. Das ist keine Einladung zum Betrug. Es ist nur  illusionär zu glauben, dass man einen individuellen Feldzug in Sachen Glaubwürdigkeit starten könnte. Besser, Unternehmen bekennen sich klar zum Sinn und Zweck eines Arbeitszeugnisse und spielen das Spiel einfach mit.

  1. Beurteilung hat Signalwirkung.

„Wieso hat der denn einen Einser? Das ist vollkommen unfair. Ich habe doch viel mehr geleistet als der.“ Jeder, der ein Zeugnis erstellt, muss sich darüber im Klaren sein: Wenn Urteile über Mitarbeiter gefällt werden, dann passiert das nie im luftleeren Raum. Im Gegenteil. Jede Beurteilung ruft unmittelbar die lieben Kollegen auf den Plan.

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Zur Legitimation wird jetzt die Frage wichtig, wer eine solche Beurteilung bestenfalls schreiben sollte. Macht das immer der Abteilungsleiter oder einer der Geschäftsführer? Das hätte auf jeden Fall Gewicht. Was jedoch, wenn diese Vorgesetzten so weit weg vom Mitarbeiter sind, dass sie die Leistung gar nicht beurteilen können? Wenn sie sich beispielsweise bei den Kollegen informieren müssen? Nicht nur, dass dann noch eine weitere Subjektivitätsstufe hinzukommt. Es wird dadurch auch keine Spur fairer. Wenn der Vorgesetzte beispielsweise verschiedene Mitarbeiter befragt, getrennt voneinander, vielleicht sogar anonymisiert, und daraus dann eine Gesamtnote macht, dann wälzt er die Verantwortung einfach auf die Mitarbeiter ab. Und wenn die Kollegen die Bewertung am Ende für „zu gut“ halten, dann haben sie noch nicht mal eine Adresse für ihre Beschwerde.

Doch, was soll’s? An der Stelle lässt sich wieder die Karte Nummer Zwei ziehen: Ein Arbeitszeugnis dient letztlich nur dem weiteren Karriereerfolg, und den kann man jedem, der geht, gönnen. Es sei denn, er hat silberne Löffel geklaut. Also können sich alle wieder entspannen.

Drei handfeste Argumente, die dafür sprechen, ein Arbeitszeugnis tatsächlich als reinen Formalakt zu sehen und allen Mitarbeitern die gleiche Note zu geben – und das auch offen zu kommunizieren. „Letztlich muss das Unternehmen natürlich seinen Weg selbst finden. Ein Patentrezept gibt es nicht“, so Poppenborg.

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Feedback? Klar, aber nicht im Zeugnis

Hat ein Mitarbeiter denn gar keine Chance auf eine realistische und qualifizierte Beurteilung? „Doch. Aber nicht im Arbeitszeugnis“, so der intrinsify.me-Kopf. „Ernsthaftes Feedback braucht einen anderen Kanal. Dafür kann ein Unternehmen beispielsweise kollegiale Feedbackprozesse oder die sogenannten „Kudo Boxen“ einführen.“ Die agile Welt sei voller Ideen dafür.

Mehr zum Thema: Karrierefalle Arbeitszeugnis: Das musst du zum wichtigsten Dokument nach deiner Kündigung wissen

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Kommentare (2)

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Andreas Katrakis

Kann ich nicht unterschreiben. Natürlich sind Zeugnisse per se subjektiv, das hat ja wahrscheinlich jeder bereits in der Schule bei der Vergabe mündlicher Noten erlebt. Aber dass Arbeitszeugnisse immer Einser sind oder man ein Anrecht darauf hätte, ein gutes Zeugnis zu erhalten, stimmt ganz einfach nicht. Das Zeugnis muss wohlwollend formuliert sein, das geht aber auch mit einem Dreier oder Vierer. Bei uns besteht das Zeugnis aus einer detailierten Aufgabenbeschreibung (allein das ist für einen anderen Arbeitgeber interessant) und der Benotung von sechs Kompetenzfeldern mit einer Skala von eins bis vier. Diese basiert auf Feedback, Mitarbeitergesprächen und Zielvereinbarungen. Jeder MA weiß wo er steht. Das ist bei uns zentrale Führungsaufgabe und daraufhin wird jede Führungskraft geschult.

karriereakademie.de

Ein weiterer Artikel aus der Serie „Arbeitszeugnisse sind überflüssig, aber wie es besser geht, wissen wir auch nicht.“ Halte ich für sehr problematisch, beispielsweise weil empirische Studien (basierend auf Zahlenmaterial und nicht basierend auf „Bauchgefühl“) unter Personalmitarbeitern und externen Personalberatern ganz andere Ansichten ermitteln. Selbstverständlich sind Arbeitszeugnisse auch unter Personalmitarbeitern und Headhuntern durchaus umstritten. Aber etwa die Hälfte schaut immer auf den Aufgabenblock, die Gesamtnote und den Schlussabsatz. Bei diesen 50 Prozent lohnt sich der Einsatz für ein besseres Arbeitszeugnis der Note „gut“ oder „sehr gut“ also auf jeden Fall. Mehr dazu hier: https://www.karriereakademie.de/karriereblog/studie-arbeitszeugnisse-selektivleser-und-laien
Und ob das US-amerikanische / UK- / kanadische System der Reference Letters oder persönlichen Referenzen am Telefon wirklich anders ist? Das wage ich zu bezweifeln. Da ist auch viel Subjektivität im Spiel. Spannend ja auch, der t3n eigene Link am Ende des Artikels mit ganz anderen Tipps zum Zeugnis: „Karrierefalle Arbeitszeugnis: Das musst du zum wichtigsten Dokument nach deiner Kündigung wissen“ ;-)

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