Der Mythos des Apple-Gründers Steve Jobs ist ungebrochen. Geteilte Erfahrungen aus seiner Karriere finden sich im Internet zuhauf. Lektionen aus seinem Arbeitsleben sind unter erfolgshungrigen Menschen heiß begehrt. Das ist normal. Gründerinnen und Gründer sind, wenn sie Erfolg haben, stets mythische Gestalten. Und es ist ja auch so: Ihre Art und Weise zu denken, zu führen und zu handeln, beeinflussen den Unternehmenserfolg enorm.
Damit steht Steve Jobs nicht allein da. Jeder kennt andere Gründerikonen wie Carl Benz oder Henry Ford. Was Jobs für die Technologie-Branche ist, waren die beiden Herren für die Automobilindustrie. Auch Frauen gründen erfolgreich. Coco Chanel prägt die Modeindustrie bis heute. Deren Weisheiten füllen ganze Bücher. Und dennoch stellt sich die Frage: Welchen Wert besitzen deren Anekdoten für das Gros in der Arbeitswelt?
Steve Jobs verstehen: Was er war und was nicht
Im Jahr 1984 behauptete der Apple-Gründer in einem Interview für „In Search of Excellence”, dass „die besten Leute sich selbst managen“. Dieser Satz prangt auf unzähligen Zitattafeln, die regelmäßig durch das Social Web toben. Dass er das so gesagt hat, erstaunt jedoch diejenigen, die mit seiner Biografie vertraut sind. Steve Jobs galt lange als Micromanager par excellence. Er war unnachgiebig und riss Projekte an sich.
Der populärste Fall war der Macintosh. Erdacht hat den Jeff Raskin, der sich einen Computer mit integriertem Bildschirm und einer Tastatur für 500 bis 1.000 Dollar vorstellte. Nachdem er das Projekt gestartet hat, dauert es nicht lange, bis Jobs eingriff. Anstatt eines kostengünstigen Heimcomputers für jedermann, wollte Jobs einen, der technologisch ein Meilenstein war. Am Ende hat er 5.000 US-Dollar gekostet. Zu viel. Das Produkt floppte zunächst.
Der Apple-Gründer war also nicht unfehlbar, und offenbar ist er diesbezüglich seiner eigenen Aussage nicht gerecht geworden. Aber es ist auch nicht schlau, Sätze nur für sich stehend zu betrachten. Vielmehr müssten Aussagen in den Kontext gestellt werden, um die Rolle, die Jobs eigentlich in sich trug, zu verstehen und die richtigen Lektionen daraus zu ziehen. Steve Jobs war weder Tüftler noch Manager, er war Visionär.
Steve Jobs: Was taugen die Weisheiten?
Der so oft geteilte Satz geht nämlich viel weiter: „Sobald sie wissen, was zu tun ist, werden sie herausfinden, wie sie es tun können. Was sie brauchen, ist eine gemeinsame Vision. Und das ist es, was Führung ausmacht: Eine Vision zu haben, sie so zu formulieren, dass die Menschen um einen herum sie verstehen.“ Das ergibt ein anderes Bild: Die besten Leute managen sich nicht per se selbst, sie tun das nur unter einem leuchtenden Fixstern.
Damit wird auch deutlich, wer sich überhaupt von ihm etwas abschauen kann. Es sind kaum die vielen Fachkräfte in den kleinen, mittleren oder großen Unternehmen, die am Ende ausführen, was ihre Vorgesetzten vorgeben. Es sind auch nicht die Vorgesetzten, die auf ihrer mittleren Hierarchieebene die Prozesse verwalten. Es sind CEOs, die wie Jobs an der Firmenspitze stehen. Andere Vergleiche hinken.
Die Fragen stehen also im Raum: Taugen diese Weisheiten was? Zumindest nicht für das Gros der Arbeitswelt. Sind sie dennoch wertvoll? Natürlich. Sie zeigen jedoch primär Firmenbossen, aus welchem sprichwörtlichen Holz sie geschnitzt sein müssen. Sie müssen diejenigen mitziehen, die den Unternehmenserfolg ermöglichen – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kundinnen und Kunden oder Investorinnen und Investoren.
Auch ein Steve Jobs war nicht unfehlbar
Das konnte Steve Jobs. Und dafür können Menschen ihn auch bewundern. Ob er darüber hinaus als Vorbild taugt, stellen wir mal infrage: Wer heute Steve Jobs brutale Ehrlichkeit als Erfolgsgarant deutet, unterschlägt, dass eben jene – ich nenne es Unverfrorenheit – Apple regelmäßig viele kluge Köpfe gekostet hat. Wer heute Steve Jobs überbordenden Perfektionismus als Tugend auslegt, unterschlägt, dass das fast Apples Ende war.
Die Tech-Ikone ist ganz sicher eine der schillerndsten Unternehmer unserer Zeit. Und er wird zu Recht in einer Reihe mit Carl Benz und Henry Ford oder Coco Chanel genannt. Apples Produkte sind nicht mehr wegzudenken und prägen mit ihrem eigenen Stil die Popkultur. Aber Steve Jobs war auch nur ein Rädchen im und nicht das Getriebe an sich. Und auch er war fehlbar. Oder anders: Auch er hat die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen.