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MIT Technology Review News

Streit um Gen-Editierung CRISPR: Warum die Erfinderinnen ihre europäischen Patente zurückziehen wollen

Im Kampf um die Kontrolle der Genom-Editierung ist die Entscheidung von Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier eine überraschende Wendung.

Von MIT Technology Review Online
6 Min.
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Die programmierbare Genschere CRISPR schneidet DNA an bestimmten Stellen. (Foto: Billion Photos / Shutterstock)

Im jahrzehntelangen Kampf um die Kontrolle von CRISPR, dem Superwerkzeug zur DNA-Editierung, haben Anwält:innen häufig versucht, Patente von Konkurrenten zu kippen, indem sie auf Fehler oder Ungereimtheiten hinwiesen. Doch jetzt hat das Forscherinnen-Duo, das 2020 den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung von CRISPR erhalten hat, überraschend darum gebeten, zwei seiner eigenen bahnbrechenden Patente zu annullieren.

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Der Antrag der Nobelpreisträgerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna folgt auf ein vernichtendes Urteil eines europäischen technischen Berufungsgremiums im August. Dieses hatte entschieden, dass die erste Patentanmeldung der zwei Forscherinnen CRISPR nicht gut genug erklärt, damit andere Wissenschaftler:innen es nutzen können, und deshalb nicht als echte Erfindung gilt.

Die Anwälte der Nobelpreisträgerinnen kritisierten die Entscheidung als so falsch und ungerecht, dass ihre Mandantinnen keine andere Wahl hätten, als ihre Patente vorsorglich zu annullieren. Diese Taktik der verbrannten Erde soll verhindern, dass das ungünstige juristische Ergebnis als Grund eingetragen wird. „Den Patentinhaberinnen kann nicht zugemutet werden, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Erfindung … den Auswirkungen einer unter solchen Umständen ergangenen Entscheidung auszusetzen“, heißt es in dem 76-seitigen Schreiben, das die deutschen Anwälte am 20. September in ihrem Namen versandt haben.

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Nicht so wild oder ein Weglaufen?

Die Hauptanwältin für geistiges Eigentum an der Universität von Kalifornien, Randi Jenkins, bestätigte den Plan, die beiden Patente zu widerrufen, spielte aber ihre Bedeutung herunter. „Diese beiden europäischen Patente sind nur ein weiteres Kapitel in dieser langjährigen Saga um CRISPR-Cas9“, sagte Jenkins. „Wir werden weiterhin Ansprüche in Europa geltend machen, und wir erwarten, dass diese laufenden Ansprüche eine bedeutende Breite und Tiefe der Abdeckung haben werden.“

Gegner der Patente sehen den Annullierungsantrag dagegen als Bestätigung ihrer Kritik: „Das sind einige der frühesten Patente und die Grundlage ihrer Lizenzen“, sagt Christoph Then, Gründer von Testbiotech, einer deutschen gemeinnützigen Organisation, der MIT Technology Review eine Kopie des technischen Gutachtens und des Antwortschreibens zur Verfügung gestellt hat. „Sie versuchen, die Entscheidung zu umgehen, indem sie davor weglaufen.“

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Die Patente, auf die Charpentier und Doudna jetzt freiwillig verzichten wollen, tragen die Nummern EP2800811 sowie EP3401400, die 2017 und 2019 erteilt wurden. Jenkins zufolge besitzen die Nobelpreisträgerinnen noch ein weiteres in Europa erteiltes CRISPR-Patent mit der Nummer EP3597749 sowie ein anhängiges Patent. In dieser Aufzählung nicht enthalten ist ein Dickicht von Patentansprüchen, die sich auf neuere Forschungen von Doudnas Berkeley-Labor beziehen und separat eingereicht wurden.

Die Entdeckung des Jahrhunderts

CRISPR wurde vor zehn Jahren als die größte biotechnologische Entdeckung des Jahrhunderts gefeiert, doch schon damals tobte der Kampf um die Kontrolle seiner kommerziellen Anwendungen: etwa genveränderte Pflanzen, modifizierte Mäuse und neue medizinische Behandlungen.

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In dem Streit stehen sich vor allem Charpentier und Doudna, die 2012 die Genom-Editierungsmethode im Fachjournal Science beschrieben, sowie Feng Zhang vom Broad Institute des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard University, gegenüber, der behauptet, das Werkzeug zuerst erfunden zu haben.

2014 gelang dem Broad Institute ein großer Coup, als es das maßgebliche US-Patent für die wichtigsten Anwendungen von CRISPR gewinnen und später verteidigen konnte. Aber das Nobelpreis-Duo konnte auf seine europäischen Patente als Lichtblicke in seinem Kampf verweisen und tat dies auch oft. 2017 pries die University of California Berkeley, an der Doudna arbeitet, ihr erstes europäisches Patent als aufregend, „breit“ und „Präzedenzfall“ an.

Schließlich hatte eine Region mit mehr als 30 Ländern nicht nur die bahnbrechende Entdeckung des Paares anerkannt, sondern auch einen Standard für andere Patentämter auf der ganzen Welt gesetzt. Es ließ das US-Patentamt auch wie einen Ausreißer aussehen, dessen Entscheidungen zugunsten des Broad-Instituts auf lange Sicht keinen Bestand haben könnten. Eine weitere Berufung gegen die US-Entscheidungen ist bei einem Bundesgericht anhängig. Nun aber sagt auch das Europäische Patentamt, dass Doudna und Charpentier ihre grundlegende Erfindung nicht beanspruchen können.

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Wichtiges Patent-Detail vergessen?

Es besteht kein Zweifel daran, dass Charpentier und Doudna 2012 in Science als Erste dargelegt haben, wie CRISPR als „programmierbares“ Mittel zur Bearbeitung von DNA funktionieren kann. Ihre Patente in Europa hielten einer ersten Runde von formellen Einsprüchen durch Anwälte stand.

Doch das technische Gremium entschied in einer separaten Analyse, dass die Universität in Berkeley in seiner ersten Patentanmeldung ein wichtiges Detail ausgelassen hatte, sodass „der Fachmann die beanspruchte Methode nicht durchführen konnte“. Das heißt, die Erfindung wurde nicht vollständig beschrieben oder ermöglicht.

Der Vorwurf der Auslassung bezieht sich auf ein Merkmal von DNA-Molekülen, das als „protospacer adjacent motifs“ oder PAMs bezeichnet wird. Diese Merkmale, die ein bisschen wie Landelichter auf der Landebahn aussehen, bestimmen, an welchen Stellen im Genom die CRISPR-Genschere landen und Schnitte machen kann und wo nicht.

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In dem 76-seitigen Antwortschreiben argumentieren die Anwälte der Nobelpreisträgerinnen, dass es nicht wirklich nötig gewesen sei, diese Stellen zu erwähnen, da sie so offensichtlich seien, dass „selbst Studierende im Grundstudium“ gewusst hätten, dass sie benötigt würden.

Der lange Brief lässt zudem keinen Zweifel daran, dass sich das Nobelpreis-Team ungerecht behandelt fühlt. Neben der Aufgabe der Patente versuchen sie, „die Gründe öffentlich zu machen, aus denen wir mit [der] Beurteilung in allen Punkten nicht einverstanden sind“ und „die Unrichtigkeit“ der Entscheidung deutlich zu machen, die, wie sie sagen, „die Natur und den Ursprung der Erfindung nicht anerkennt, das allgemeine Wissen falsch interpretiert und zusätzlich falsche rechtliche Standards anwendet“.

Wie wird sich die Annullierung auswirken?

Die Annullierung der europäischen Patente wird sich auf ein breites Netz von Biotech-Unternehmen auswirken, die Rechte für die Nutzung der Technologie gekauft und verkauft haben. Entweder um kommerzielle Exklusivität für neue medizinische Behandlungen oder die sogenannte „Betriebsfreiheit“ zu erlangen, also das Recht, Gen-Slicing-Forschung unbehelligt von Zweifeln, wem die Technik wirklich gehört, zu betreiben.

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Zu diesen Unternehmen gehören Editas Medicine, das mit dem Broad Institute verbunden ist, Caribou Biosciences und Intellia Therapeutics in den USA, die beide von Doudna mitbegründet wurden, sowie Charpentiers Unternehmen CRISPR Therapeutics und ERS Genomics.

Das in Dublin ansässige Unternehmen ERS Genomics, das sich selbst als „das CRISPR-Lizenzierungsunternehmen“ bezeichnet, wurde in Europa eigens gegründet, um von CRISPR-Anwendern Gebühren zu erheben. Es behauptet, mehr als 150 Unternehmen, Universitäten und Organisationen, die CRISPR in ihren Labors, bei der Herstellung oder bei Forschungsprodukten verwenden, nicht exklusiven Zugang zu seinen „grundlegenden Patenten“ verkauft zu haben.

So stimmte beispielsweise Laura Koivusalo, Gründerin des kleinen finnischen Biotech-Unternehmens StemSight Anfang dieses Jahres einer „Standardgebühr“ zu, weil ihr Unternehmen an einer Augenbehandlung mit Stammzellen forscht, die zuvor mit CRISPR bearbeitet wurden.

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15.000 US-Dollar pro Jahr an Lizenzgebühr für CRISPR-Nutzung

Obwohl nicht jedes Biotech-Unternehmen es für notwendig hält, für Patentrechte zu zahlen, lange bevor es überhaupt ein Produkt verkaufen kann, entschied Koivusalo, dass es das Richtige sei. „Der Grund, warum wir die Lizenz erhielten, war die nordische Mentalität, die sehr ehrlich ist. Wir haben sie gefragt, ob wir eine Lizenz für die Forschung brauchen, und sie haben ja gesagt“, sagt sie.

In einer online verfügbaren Präsentation von ERS wird die Gebühr für kleine Start-ups wie das ihre mit 15.000 US-Dollar pro Jahr angegeben. Koivusalo sagt, sie habe zugestimmt, eine Lizenz für dieselben beiden Patente zu kaufen, die jetzt annulliert werden. Sie fügt hinzu: „Ich wusste nicht, dass sie widerrufen wurden. Ich hätte erwartet, dass sie mich vorwarnen.“

Ein Sprecher von ERS Genomics erklärte, dass die Kunden des Unternehmens in Europa weiterhin durch das verbleibende CRISPR-Patent der Nobelpreisträger und den anhängigen Antrag abgedeckt seien.

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In den USA hat das Broad Institute ebenfalls Lizenzen für die Nutzung von CRISPR verkauft. Die Gebühren können hoch ausfallen, wenn es sich um ein echtes Produkt handelt. Das war letztes Jahr der Fall, als Vertex Pharmaceuticals die Genehmigung für den Verkauf der ersten CRISPR-basierten Behandlung für die Sichelzellenkrankheit erhielt. Um die Rechte an den CRISPR-Patenten des Broad Institute zu erwerben, erklärte sich Vertex bereit, 50 Millionen Dollar zu zahlen, und dazu weitere Millionen in der Zukunft.

Der Artikel stammt von Antonio Regalado. Er ist Redakteur bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review. Regalado schreibt über Themen aus der Biomedizin.
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