Wie Fliegenlarven gegen den Klimawandel helfen sollen

Bioabfälle werden hierzulande kompostiert, zu Biogas vergoren oder auch nur verbrannt. Besonders klimafreundlich ist das alles nicht.
Beim Kompostieren und der so genannten thermischen Verwertung entsteht CO2, beim Vergären vor allem das besonders klimaschädliche Methan, das zwar als Biogas genutzt wird, durch Lecks bei der Lagerung aber in die Atmosphäre entweicht.
Besonders problematisch sind jedoch die Abfallhalden und -deponien, die sich in Entwicklungsländern auftürmen. Hier rotten Speisereste, Holz, Pappe, Papier und Gartenabfälle vermischt mit Plastik unter Luftabschluss stinkend vor sich hin. Ohne Sauerstoff produzieren die Müllbakterien Methan und tragen so erheblich zum Treibhausgaseffekt bei. Hier fehlt das Geld, um Abfälle geordnet zu entsorgen.
Entdeckte Methan-Quellen
Mehr als tausend riesige Deponie-Methanquellen entdeckte Reporter der britischen Zeitung Guardian in Satellitendaten aus den Jahren 2019 bis 2023 vor allem in Pakistan, Indien und Bangladesch, aber auch in Argentinien, Usbekistan und Spanien. Immerhin stammen 20 Prozent des menschengemachten Methans aus Biomüll. Zur Einordnung: 40 Prozent tragen Kohle-, Erdgas- und Ölfelder bei, weitere 40 Prozent steigen aus Rindermägen und Reisfeldern auf.
Dabei gäbe es eine bessere Lösung, als die Biomüllverwertung Mikroorganismen zu überlassen: Nämlich Fliegenlarven, die eine sehr viel effizientere, schnellere und klimafreundlichere Alternative zu Kompostierung und Vergärung sind, wie man heute weiß. Vor allem die Maden der Schwarzen Soldatenfliege Hermetia illucens steht seit einigen Jahren im Fokus von Forschern. Auf das Potenzial wies jüngst ein Wissenschaftlerteam um Kate Tepper und Maciej Maselko von der Macquarie-Universität in Sydney nachdrücklich in einem Perspektivenpapier hin.
Die Hermetia-Larven fressen pro Tag das Doppelte ihres Körpergewichts. Die Bioreste verwandeln sie in Körpersubstanz statt in Treibhausgas, wie Mikroorganismen es tun. Die so gemästeten Maden sind deshalb besonders eiweißreich und dienen vielfach als Tierfutter, genau wie auch andere Insektenlarven. Dabei arbeiten sie sich außerdem noch weit schneller als Mikroben durch den Abfall. Die erwachsenen Fliegen, die man für die Produktion der Entwicklungsstadien braucht, leben nur eineinhalb bis drei Wochen und fressen in dieser Zeit nichts mehr.
Emissionsbilanz der Fliegen
Bereits 2018 hatten Schweizer Forscher eine Emissionsbilanz für diese Art der Biomüllverwertung erstellt. Ein Team um Christian Zurbrügg vom Wasserforschungsinstitut Eawag der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Dübendorf bei Zürich analysierte den gesamten Lebenszyklus der Methode in einer Pilotanlage im indonesischen Surabaya, die die Schweiz seit mehreren Jahren unterstützt. Das Team berücksichtigte dabei nicht nur die Emissionen aus der Verdauung der Larven, sondern den gesamten Energieaufwand für die Zerkleinerung des Mülls vor der Fütterung und für die Trocknung nach der Larvenernte.
Das Ergebnis: Verarbeiten die Larven der Schwarzen Soldatenfliegen organischen Müll, dann sinkt das Treibhauspotenzial der gesamten Emissionen um rund die Hälfte, verglichen mit einer herkömmlicher Kompostierung. Vor allem entsteht dabei sehr wenig des besonders klimaschädlichen Methans.
„Weil die Larven protein- und fettreich sind, können sie als Ersatz für Fischmehl dienen“, erklärt Zurbrügg. So rechnete er in die Analyse zusätzlich die Negativemissionen ein, die Larvenmehl gegenüber Fischmehl hat. „Das macht eine Anlage, wie sie in Surabaya steht, nochmals klimafreundlicher und reduziert die Treibhausgasemissionen um das globale Wärmepotenzial um weitere 20 Prozent“, ergänzt er.
Booster durch Gentechnik
Die australischen Wissenschaftler sind jetzt aber noch einen Schritt weiter gegangen. Die natürlichen Fähigkeiten der Soldatenfliegenmaden wollen sie durch gentechnische Methoden nämlich weiter ausbauen. Bei einer Reihe von Soldatenfliegen, die sie bereits jetzt gentechnisch veränderten, können aus deren Maden auch Enzyme für Arzneimittel extrahiert werden. Gentechnisch ergänzen ließe sich auch die Fähigkeit, Fettverbindungen für Biokraftstoffe und Schmiermittel herzustellen. In ihrem Papier schlagen sie sogar vor, Fliegen so zu manipulieren, dass deren Larven beispielsweise Schadstoffe im Müll in weniger giftige oder in anorganische Verbindungen aufspalten, die sie dann entweder ausdünsten oder in ihren Körpern anreichern, so dass sie sich abtrennen lassen.
Das Problem, dass Gen-Fliegen entkommen und so neue, unbekannte Risiken in der Natur verursachen könnten, wischt Maselko vom Tisch. Er sagt, dass die Fliegen gentechnisch ja auch mit Schwächen ausgestattet werden können, wie beispielsweise der Unfähigkeit zu fliegen.
Lösung für Entwicklungsländer?
Um ihre Entwicklungen zu vermarkten, haben Tepper und Maselko jetzt das Spin-off-Unternehmen EntoZyme gegründet. Damit hoffen sie, bis Ende 2024 über die ersten gentechnisch veränderten Fliegen für den breiten Einsatz in Abfallanlagen zu verfügen.
Die Frage ist nur, ob sich die Entwicklungsländer diese Fliegen und deren Züchtung leisten können. Eine schnelle und gründliche Lösung, wie sie die Menschheit zur Bewältigung des Klimawandels genau jetzt braucht, sind die Larven sicher nicht. Deren Biomüllverarbeitung reduziert zwar die Treibhausgasemissionen, unterbindet sie aber nicht. Dennoch könnte das Verfahren wenigstens ein kleiner Schritt sein, zu dem zumindest in den Überflussländern auch weniger Lebensmittelverschwendung beitragen könnte.